European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00090.14F.1009.000
Spruch:
Im Verfahren AZ 32 HR 43/12s des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzt der Vorgang des Unterlassens einer Aufforderung an den Beschuldigten Daniel T*****, einen Verteidiger zu bevollmächtigen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu beantragen, § 61 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StPO.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ordnete am 25. Jänner 2012 im von ihr zu AZ 10 St 32/12d wegen des Verdachts mehrerer dem Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2 StGB subsumierter Taten gegen Daniel T***** geführten Verfahren (gerichtlich bewilligt) dessen Festnahme an (ON 14) und beantragte für den Fall deren Vollzugs gemäß § 173 Abs 1 und 2 Z 1 und 3 lit b StPO, über ihn die Untersuchungshaft zu verhängen (ON 1 S 4).
Daniel T***** wurde am 1. Juni 2014 wegen des Verdachts eines von ihm durch Einbruch begangenen Diebstahls auf frischer Tat betreten gemäß §§ 170 Abs 1 Z 1, 172 Abs 2 Z 1 StPO festgenommen und am nächsten Tag in die Justizanstalt St. Pölten eingeliefert (ON 21 und 23). Wegen der zufolge seiner Rückkehr in das Bundesgebiet während eines aufrechten Aufenthaltsverbots (ON 23 S 5) gemäß § 133a Abs 5 letzter Satz StVG (ex lege) zu vollziehenden Strafhaft ( Pieber in WK 2 StVG § 133a Rz 30 vgl RIS‑Justiz RS0124405 [T1]; vgl ErläutRV 487 BlgNR 24. GP 10) wurde nach gerichtlicher Vernehmung des Beschuldigten am 3. Juni 2014 ‑ (der Sache nach) gemäß § 173 Abs 4 StPO ‑ von einer Verhängung der Untersuchungshaft abgesehen und dieser (mit Wirkung per 1. Juni 2014) in Strafhaft übernommen (ON 25 und 27).
Mit Urteil vom 8. Juli 2014, GZ 41 Hv 42/14h‑45, hat das Landesgericht Wiener Neustadt Daniel T***** des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2, 15 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Nachdem der ‑ im Verfahren zuvor nicht durch einen Verteidiger vertretene ‑ Angeklagte gegen dieses Urteil im Anschluss an dessen Verkündung und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung Berufung angemeldet und einen darauf gerichteten Antrag gestellt hatte (ON 44 S 7), wurde ihm mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 8. Juli 2014 gemäß § 61 Abs 2 StPO ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben und ein solcher mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich bestellt (§ 62 Abs 1 StPO [ON 49a]). Über die von diesem Verteidiger ausgeführte Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe hat das Oberlandesgericht noch nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 1. August 2014, GZ 41 Hv 42/14h‑57, hat das Landesgericht Wiener Neustadt über Daniel T***** (nach dem Vollzug der restlichen Strafhaft gemäß § 133a Abs 5 letzter Satz StVG [ON 54] und dessen Vernehmung zu den Haftvoraussetzungen) die Untersuchungshaft (aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und c SPO) verhängt.
Rechtliche Beurteilung
Das Unterbleiben einer an den Beschuldigten gerichteten Aufforderung, einen Verteidiger zu bevollmächtigen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu beantragen, steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Gemäß § 61 Abs 1 Z 1 StPO muss der Beschuldigte im gesamten Verfahren, wenn und solange er in Untersuchungshaft oder gemäß § 173 Abs 4 StPO in Strafhaft angehalten wird, durch einen Verteidiger vertreten sein (notwendige Verteidigung). In einem solchen Fall ist der Beschuldigte (sofern er noch nicht durch einen Verteidiger vertreten ist) im zuvor genannten Sinn aufzufordern. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, hat ihm das Gericht von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger), soweit nicht die (wirtschaftlichen) Voraussetzungen für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers vorliegen (§ 61 Abs 3 StPO).
Die Einzelrichterin des Landesgerichts Wiener Neustadt (§ 31 Abs 1 StPO) hätte daher angesichts des Vollzugs der Strafhaft gemäß § 173 Abs 4 StPO für die Vertretung des Beschuldigten durch einen Verteidiger zu sorgen gehabt (§ 61 Abs 3 StPO).
Diese Gesetzesverletzung war festzustellen. Zu einer ‑ von der Generalprokuratur angeregten ‑ Verknüpfung dieser Feststellung mit konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO) sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil der Schutzzweck der notwendigen Verteidigung nach § 61 Abs 1 Z 1 StPO die Einhaltung aller haftrelevanten Vorschriften ist ( Ratz , WK‑StPO § 468 Rz 36), für deren Verletzung die Aktenlage keinen Anhaltspunkt liefert (im Zeitpunkt der ‑ unbekämpft gebliebenen ‑ Verhängung der Untersuchungshaft am 1. August 2014 war der Angeklagte bereits durch einen Verteidiger vertreten). Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 61 Abs 1 Z 5 StPO lag hier nicht vor; eine ‑ aus der gesetzwidrigen Situation resultierende ‑ Beeinträchtigung von Verteidigungsinteressen wird im Übrigen auch in der Berufung nicht vorgebracht (zum Ganzen Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 164 und § 468 Rz 29 ff).
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