Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Einziehung der „bei Mamadu E***** und Ibrahim C***** sichergestellten SIM-Karten" aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Dem Angeklagten Bubacar C***** fallen auch die auf sein Rechtsmittel entfallenden Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten wurde Bubacar C***** mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 3 erster Fall SMG schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, mehrfach ein Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er
I. von 12. September bis 11. Oktober 2005 „zumindest 335 Gramm Heroin brutto" (mit einem Reinheitsgehalt von jedenfalls 2 %; S 397/IX) an Ibrahim C*****, Bettina M*****, Sabine R***** und Unbekannte sowie
II. am 11. Oktober 2005 240 Gramm Heroin brutto mit einer Reinsubstanz von 18 Gramm an den abgesondert verfolgten Joao Jose T***** übergab.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Annahme eines 18 Jahre zu den Tatzeitpunkten übersteigenden Alters gerichteten, nominell aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Dass Tatbegehung vor Vollendung des 18. Lebensjahres für sich allein nach § 4 Abs 2 Z 1 JGG schuldunfähig mache, behauptet der Beschwerdeführer nicht mit Bestimmtheit (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO), sodass der Sache nach allein Z 11 erster Fall iVm Z 4, 5 und 5a geltend gemacht wird. Überschreitung der Strafbefugnisgrenze wäre nämlich auch dann gegeben, wenn eine unter Missachtung des § 5 JGG ausgemessene Strafe - wie die vorliegend verhängte Freiheitsstrafe von 15 Monaten - innerhalb des danach zu bildenden Strafrahmens liegt (Schroll in WK2 JGG § 5 Rz 12; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 22, 27, 670, 673).
Die beantragte „medizinische Untersuchung des Angeklagten zwecks Altersfeststellung" (S 369/IX) wurde vom Schöffengericht nur deshalb nicht veranlasst, weil dieser trotz „mehrfacher intensiver" Befragung keine Zustimmung zu der für erforderlich gehaltenen „Röntgenuntersuchung der Knochenentwicklung" erteilt hatte. Da eine gesetzliche Eingriffsermächtigung für eine Röntgenuntersuchung dem geltenden Strafverfahrensrecht nicht zu entnehmen ist, war diese mangels Zustimmung des Angeklagten undurchführbar, sodass der gerügte Verfahrensmangel nicht vorliegt (Z 11 erster Fall iVm Z 4; vgl 15 Os 18/06w; Birklbauer, WK-StPO Nach § 149 Rz 6 ff, 73, 84; vgl auch Ratz, RZ 2005, 74 [79]). Auf das Erfordernis einer derartigen Untersuchung hat das Schöffengericht den Angeklagten ausdrücklich aufmerksam gemacht, ohne dass der Beweisantrag durch ein Vorbringen ergänzt worden wäre, welche Erkenntnisse ein medizinischer Sachverständiger ohne eine solche Befundaufnahme über allgemeine, auch sämtlichen Mitgliedern des erkennenden Gerichts zuzugestehende Erfahrungswerte hinaus zur Altersabklärung hätte beitragen können. Sachverständige sind nämlich nur beizuziehen, wenn - nach der auf den Einzelfall bezogenen Wertung des Obersten Gerichtshofes - nicht jedes Mitglied des in der Schuldfrage (im Fall der Z 11 erster Fall iVm Z 4: in der Sanktionsfrage) erkennenden Spruchkörpers die erforderlichen Fachkenntnisse für die Beurteilung einer Tatfrage besitzt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327, 346; vgl auch Hinterhofer, WK-StPO Vorbem zu §§ 116 ff Rz 6).
Ein anderes deutlich und bestimmt vorgetragenes Begehren (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 311) in Richtung einer Beweisaufnahme zu diesem Thema hat der Beschwerdeführer, wie er selbst einräumt, nicht gestellt.
Soweit die Beschwerde der Sache nach unterlassene amtswegige Beweisaufnahme releviert, legt sie nicht dar, wodurch der Angeklagte an rechtzeitiger Antragstellung - erforderlichenfalls auch auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Vorbereitung der Verteidigung in Betreff der vom Schöffengericht aufgeworfenen Altersfrage (vgl § 262 erster Satz StPO) - gehindert worden sein soll (Z 11 erster Fall iVm Z 5a; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; 12 Os 38/05p, EvBl 2005/162, 764), wurde er doch in einer dem Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und b MRK vollends entsprechenden Weise nachdrücklich auf die Möglichkeit einer von den Angaben der Anklageschrift (S 383/VIII) abweichenden Altersfeststellung aufmerksam gemacht (S 367 ff/IX). Warum angesichts der Tatsache, dass sich das Schöffengericht wegen mehrerer Aliasnamen außerstande sah, den wirklichen Namen des Angeklagten mit Sicherheit festzustellen, gegen das ne-bis-in-idem-Verbot verstoßen worden sein soll (der Sache nach Z 3 [§ 260 Abs 1 Z 1 StPO]), macht die Beschwerde nicht klar. Dritte davor zu schützen, nicht mit dem Angeklagten verwechselt zu werden, hinwieder ist nicht Gegenstand eines Nichtigkeitsgrundes. Die Entscheidungsgründe bringen deutlich zum Ausdruck, aufgrund welcher Überlegungen die Tatrichter von einem 18 Jahre übersteigenden Alter des Angeklagten ausgegangen sind (S 405, 407/IX). Soweit der Beschwerdeführer die Beweiskraft einzelner dazu erwogener Urkunden in Frage stellt, bekämpft er bloß unzulässig die Beweiswürdigung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410). Der portugiesische Identitätsausweis des Angeklagten (vgl S 123/IX und ON 266) wurde gar wohl erörtert (S 407/IX).
Die Zuordnung von Aliasnamen und die Konstatierung, dass der wirkliche Name nicht feststellbar sei, stehen zueinander nicht im Widerspruch. Auch in der Annahme eines zwar 18, nicht aber 21 Jahre übersteigenden Alters liegt nach Denkgesetzen und Lebenserfahrung kein Gegensatz. Warum trotz fehlender Zweifel am Überschreiten jener Altersgrenze ein Alter von über 21 Jahren nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, ist nicht undeutlich geblieben (vgl S 405/IX). Von offenbar unzureichender Begründung der Altersannahmen kann ebenfalls keine Rede sein.
Erhebliche Bedenken dagegen vermag die Tatsachenrüge (Z 5a) durch Hinweis auf die - vom Erstgericht nicht angezweifelte - Echtheit des erwähnten Identitätsausweises mit Blick auf die vom Schöffengericht gegen die inhaltliche Richtigkeit der daraus ersichtlichen Personaldaten ins Treffen geführten Überlegungen, welche das Rechtsmittel außer Acht lässt, nicht zu wecken.
Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung zur Folge (§ 285i StPO).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, dass in Betreff der Angeklagten Mamadu E***** und Ibrahim C*****, hinsichtlich welcher von keiner Seite Nichtigkeitsbeschwerde erhoben wurde, das Gesetz bei der Einziehung sichergestellter SIM-Karten unrichtig angewendet worden ist (§§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall, 285e erster Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Einziehung setzt nämlich nach § 26 Abs 1 StGB voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstandes geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten" die Deliktstauglichkeit des Gegenstandes an.
Selbst wenn darauf gefährliche Daten, wie etwa sonst nicht zugängliche Adressen von Suchtgiftabnehmern oder -lieferanten, gespeichert sind, wäre den Berechtigten vor einer Einziehung nach § 26 Abs 2 StGB angemessen Gelegenheit zu geben, diese besondere Beschaffenheit zu beseitigen (Ratz in WK2 § 26 Rz 6, 15, 18). Eine weitere Ausnahme ist für den Fall denkbar, dass die Erreichbarkeit des Täters für Suchtgiftabnehmer oder -lieferanten von der mit der SIM-Karte untrennbar verbundenen - den genannten Personen bekannten - Telefonnummer abhängt. Feststellungen dazu wurden nicht getroffen (Ratz, WK-StPO § 285i Rz 4).
Von einer besonderen Deliktstauglichkeit von SIM-Karten kann in aller Regel nicht die Rede sein.
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Kosten für das amtswegige Einschreiten des Obersten Gerichtshofes fallen ihm nicht zur Last (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).
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