Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten Fuat G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten, wurde Fuat G***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall und Abs 4 Z 3 SMG aF, §§ 12 zweiter Fall, 15 StGB (A/I/1 und 3) und nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 4 Z 3 SMG aF (A/III) schuldig erkannt.
Danach hat er in Salzburg und andernorts,
A. „den bestehenden Vorschriften zuwider Heroin, mithin ein Suchtgift, in einer großen Menge ein- und ausgeführt sowie in Verkehr gesetzt", wobei er die Taten in Beziehung auf eine zumindest das 25-fache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG aF) ausmachende Suchtgiftmenge begangen hat und die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind, und zwar:
I. zusammen mit Hakan K***** den Mesut Y***** dazu bestimmt, ca 3.470 Gramm Heroin (zumindest 1.044 Gramm Reinsubstanz Heroinbase) von Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen, und zu bestimmen versucht, weitere ca 6.350 Gramm Heroin von Deutschland aus- und nach Österreich einzuführen, indem
1. er dem Hakan K***** um den 15. Juli 2007 in Darmstadt aufgetragen hat, er solle dem (sich in Deutschland aufhaltenden) Mesut Y***** mitteilen, dass ihn „Mario" am Freitag, den 3. August 2007, in Salzburg erwarten würde;
3. zusammen mit Hakan K***** und Mesut Y***** am 2. August 2007 im Zug eines von ihnen initiierten Internet-Telefonats die Lieferung von 10 kg Heroin nach Salzburg forderte,
wobei bereits nach einem zwischen Fuat G*****, Hakan K***** und Mesut Y***** am 15. Juli 2007 geführten Gespräch klar war, dass Mesut Y***** beabsichtigte, ca 10 kg Heroin zu verkaufen;
III. zusammen mit Hakan K*****, Kemal A***** und Mesut Y***** am 4. August 2007 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken ca 3.470 Gramm Heroin (zumindest 1.044 Gramm Reinsubstanz Heroinbase) durch Verkauf an die verdeckten Ermittler des BKA Wien „Mario" und „Siegi" in Verkehr gesetzt.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten aus Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.
Der Angeklagte macht geltend, Opfer staatlich veranlasster Tatprovokation geworden zu sein. Ursprünglich seien keinerlei Verdachtsmomente gegen ihn vorgelegen. Polizisten hätten ihn durch einen verdeckten Ermittler immer wieder „und über zwei Jahre andauernd" zur Tat provoziert, was „jenseits einer jeden rechtsstaatlichen Grenze anzusiedeln" sei. Die Salzburger Polizei habe dabei den Hintergedanken verfolgt, einen Verwandten des Angeklagten aus seinem Versteck zu locken, „jahrelang die finanzielle Notlage des verheirateten Vaters Fuat G***** bewusst und gezielt ausgenützt und diesen unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel nach mehreren Jahren schlussendlich dazu gebracht, ja geradezu bestimmt, die gegenständliche kriminelle Handlung durchzuführen". Die vorgekommene Tatprovokation sei „mit der nunmehr gültigen StPO 2008 nicht in Einklang zu bringen".
Das Schöffengericht nahm im angesprochenen Zusammenhang einen Milderungsgrund an, indem es „das grenzwertige Vorgehen der verdeckten Ermittler (welches in Hinkunft an den in § 131 StPO in der Fassung des Strafprozessreformgesetzes normierten formellen Anwendungsvoraussetzungen, die eine derartig lange verdeckte Ermittlung trotz mehrfacher entschiedener Ablehnung durch den Observierten jedenfalls ausschließen, scheitern würde)" - allerdings nicht zahlenmäßig fassbar - zu Gunsten des Angeklagten „entsprechend" berücksichtigte (US 22, 23).
Weshalb die Bestrafung eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens ausgeschlossen sein soll, weil es auf eine staatlich veranlasste Tatprovokation zurückgeht, wird in der Beschwerde, die ihre Behauptung weder zur Gänze auf Urteilsgründe stützt, noch insoweit Feststellungsmängel geltend macht (vgl RIS-Justiz RS0118580) und sich darauf konzentriert, die Konventionswidrigkeit der Tatprovokation hervorzuheben, nicht aus dem Gesetz abgeleitet (vgl aber 13 Os 151/03, JBl 2004, 531 [Burgstaller] = SSt 2003/98).
Im Übrigen:
1. Die Rechtsprechung des EGMR lässt zur Frage der Zulässigkeit staatlich veranlasster Tatprovokation folgende Prinzipien erkennen:
Grundsätzlich steht die Konvention dem Einsatz von verdeckten Ermittlern und Lockspitzeln im Stadium des Ermittlungsverfahrens nicht im Weg (Teixeira gegen Portugal, EGMR 9. 6. 1998, Nr 44/1997/828/1034 = ÖJZ 1999/14 [MRK], Z 36; vgl auch Meyer-Ladewig, EMRK2 Art 6 Rz 58; Peukert in Frowein/Peukert, EMRK² Art 6 Rz 112). Ihr Einsatz verletzt daher von sich aus noch nicht die Bestimmung des Art 6 Abs 1 MRK (Ramanauskas gegen Litauen, EGMR 5. 2. 2008, Nr 74.420/01 = NL 2008, 21, Z 51).
Die Verwendung solcherart erlangter Beweise im folgenden Strafverfahren als Grundlage der Verurteilung eines Angeklagten betrifft eine andere Frage; sie muss streng an Hand der Vorgaben der MRK geprüft werden (EGMR Teixeira gegen Portugal [s oben] Z 35; vgl Meyer-Ladewig, EMRK Art 6 Rz 58).
Beim Einsatz derartiger Ermittlungsmethoden ist jedenfalls ausreichender Rechtsschutz zu gewähren, um das Verfahren als solches nach Art 6 Abs 1 MRK fair zu halten; dies selbst dann, wenn es um schwerwiegende Verbrechen wie zB Drogenhandel geht (EGMR Teixeira gegen Portugal Z 36; EGMR Ramanauskas gegen Litauen [s oben] Z 53; Meyer-Ladewig, EMRK2 Art 6 Rz 58).
Liegt eine dem Staat zurechenbare Anstiftung zu einer strafbaren Handlung vor, so ist diese unzulässig, wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Tat auch ohne die Intervention der staatlichen Ermittlungsbehörden begangen worden wäre (EGMR Teixeira gegen Portugal Z 39; EGMR Ramanauskas gegen Litauen Z 73; vgl Meyer-Ladewig, EMRK2 Art 6 Rz 58). Der EGMR stellt also bei der Prüfung der Zulässigkeit der Tatprovokation darauf ab, ob die Begehung der Straftat von den staatlichen Verfolgungsbehörden gravierend beeinflusst wurde (vgl dazu Rene Müller gegen Österreich, EKMR 28. 6. 1995, Nr 22463/93 = NL 1995, 181).
In der schon zitierten Entscheidung Ramanauskas gegen Litauen betonte der EGMR seine Ansicht, dass der Einsatz besonderer Ermittlungsmethoden wie insbesondere verdeckter Ermittler als solcher zwar nicht das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art 6 Abs 1 MRK verletzt, dieser Einsatz sich aber dennoch im Rahmen gewisser Grenzen halten muss (Z 51 der Entscheidung). Diese Grenzen umschreibt der Gerichtshof damit, dass das Verfahren an sich fair bleiben muss (Z 52) und dass angemessene und ausreichende Garantien gegen Missbräuche bestehen müssen, wie insbesondere ein klares und vorhersehbares Verfahren für die Genehmigung, Durchführung und Überwachung der fraglichen Ermittlungsmethoden (Z 53). Art 6 Abs 1 MRK wird nur dann entsprochen, wenn der Beschwerdeführer eine konkrete Möglichkeit hatte, im Strafverfahren die staatlich veranlasste Anstiftung vorzubringen (Z 69). Dabei liegt nach dem EGMR die Beweislast in Bezug darauf, dass keine Anstiftung vorgenommen wurde, bei der Anklagebehörde, und zwar so lange, als sich nicht die Behauptungen des Beschwerdeführers als völlig unglaubwürdig erweisen. Die Anklagebehörde hat dann bei Feststellung der Anstiftung die entsprechenden, nach der Konvention gebotenen Schritte zu setzen (Z 70).
2. Zur Frage der rechtlichen Einordnung unzulässiger staatlich veranlasster Tatprovokation liegt gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Demnach hindert Art 6 MRK nicht, dass der Angeklagte im Fall des gesetzlichen Nachweises seiner Schuld (Art 6 Abs 2 MRK) selbst im Fall einer einem staatlichen Organwalter zurechenbaren Tatprovokation dennoch für die Tat verurteilt wird. Denn aus diesem Konventionsverstoß ist weder ein materieller Straflosigkeitsgrund noch ein Verfolgungshindernis für die provozierte Straftat abzuleiten. Allerdings muss das Vorliegen einer Tatprovokation durch Organwalter des Staates bei der Sanktionsfindung angemessen in Rechnung gestellt und ein gerechter Ausgleich dafür gefunden werden, dass der Angeklagte das - dessen ungeachtet - verpönte Verhalten ohne diese Einflussnahme nicht gesetzt hätte (grundlegend 11 Os 126/04, EvBl 2005/106, 468 = JBl 2005, 531 [Pilnacek] = RZ 2006/3 = SSt 2005/1; jüngst 15 Os 72/07p, EvBl 2007/153, 831 = JBl 2007, 810; s RIS-Justiz RS0119618). Dabei ist der mit Blick auf die Beseitigung der sog Opfereigenschaft aus Art 34 MRK folgenden Verpflichtung zu entsprechen, die Berücksichtigung einer solchen Tatprovokation durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung zum Ausdruck zu bringen (Grabenwarter, EMRK² § 13 Rz 15, Meyer-Ladewig, EMRK² Art 34 Rz 15d, je mwN). Unzulässige Tatprovokation kann demnach auch noch im Berufungsverfahren geltend gemacht werden. Darauf abzielende Beweisanträge sind - anders als zur Schuldfrage (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) - auch noch in diesem Verfahrensstadium zulässig (erneut 15 Os 72/07p, EvBl 2007/153, 831 = JBl 2007, 810).
3. Die Literatur ist uneinig, was die rechtlichen Folgen einer unzulässigen Tatprovokation betrifft. Einerseits stimmt sie nämlich der Ansicht des Obersten Gerichtshofs zu, die unzulässige Tatprovokation sei ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen (Pilnacek, JBl 2005, 533 ff; zustimmend wohl auch Burgstaller, ÖJZ 1986, 524 f, und Grabenwarter in Korinek/Holoubek Kommentar zum B-VG Art 6 MRK Rz 107; vgl auch Kirchbacher/Schroll, RZ 2005, 173; Ratz, RZ 2005, 110 f; ders, RZ 2007, 169 f; ders, ÖJZ 2006, 323 f). Andererseits aber sind Stimmen zu finden, die sich gegen diese Lösung aussprechen und davon ausgehen, dass die unzulässige Tatprovokation ein Verfolgungshindernis (Stuefer/Soyer, ÖJZ 2007, 140), ein die Schuldfrage betreffendes „Beweisverwertungsverbot" (zB Ambos, ÖJZ 2003, 667 f) oder einen materiellen Straflosigkeitsgrund (Fuchs, ÖJZ 2001, 497 f) darstelle.
4. Die Rechtsprechung in Deutschland kommt zum gleichen Ergebnis wie die österreichische. Sie sieht die Tatprovokation für unzulässig an, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird (Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK). Dieser Verstoß ist in den Urteilsgründen festzustellen und bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu kompensieren. Das Maß der Kompensation für das konventionswidrige Verhalten ist dabei gesondert zum Ausdruck zu bringen. Die unzulässige Tatprovokation führt daher weder zu einem Verfahrenshindernis noch zu einem Beweisverbot, sondern ist im Rahmen der Strafzumessung als besonderer Strafmilderungsgrund geltend zu machen (Strafzumessungslösung). Die Strafmilderung wird dabei als gerechte Entschädigung (Art 41 MRK) des betroffenen Angeklagten für die erlittene Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK angesehen (vgl BGH 18. 11. 1999, 1 StR 221/99, 21 BGHSt 45, 321).
5. Die jüngste Strafprozessreform führt zu keiner anderen Beurteilung.
Das Strafprozessreformgesetz (BGBl I 19/2004) hat einerseits die Regelung des § 25 StPO aF nahezu wortgleich in das neue Recht übernommen (§ 5 Abs 3 StPO) und andererseits erstmals die zulässige verdeckte Ermittlung und das Scheingeschäft in der StPO normiert (§§ 131 f StPO). § 5 Abs 3 StPO verbietet - wie bereits vorher § 25 StPO aF - den Einsatz eines „agent provocateur" (Pilnacek/Pleischl, Vorverfahren Rz 28). Demnach ist eine Tatprovokation jedenfalls unzulässig, wenn durch sie der Beschuldigte oder eine andere Person zur Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer Straftat verleitet wird. Verstöße der Strafverfolgungsbehörden gegen diese Vorschrift sind den Materialien zufolge (RV zum Strafprozessreformgesetz [im Folgenden kurz RVStPRefG], 25 BlgNR 22. GP, 31) - soweit sie nicht gar strafrechtlich relevant sind - in erster Linie dienst- und disziplinarrechtlich zu ahnden. Als sachgerechte Konsequenz für die unzulässiger Weise zur Tat veranlasste Person kommt allerdings nicht Straffreiheit, sondern nur Strafminderung in Betracht (RVStPRefG 31).
Mit den neuen Vorschriften über die verdeckte Ermittlung (§ 131 StPO) und das Scheingeschäft (§ 132 StPO) wurde eine Anpassung an die Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR unter gleichzeitiger Ermöglichung der genannten Ermittlungsmethoden intendiert. Sie dienen dem Ziel, zulässige von unzulässigen Ermittlungsmaßnahmen abzugrenzen (RVStPRefG 182 ff), sagen aber nichts über die Folgen unzulässiger dem Staat zuzurechnender Tatprovokation aus.
6. Demnach hält der Oberste Gerichtshof daran fest, dass ein in unzulässiger, dem Staat zuzurechnender Tatprovokation gelegener Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) zwar ausdrücklich im Urteil festzustellen ist, aber nicht zur Straffreiheit des Täters führt, vielmehr mit Blick auf Art 34 MRK durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung auszugleichen ist. Die auf die unzulässige Tatprovokation entfallende Strafreduktion ist demnach in den Strafbemessungsgründen zu benennen und zu beziffern.
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