OGH 13Os54/21x

OGH13Os54/21x29.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen * K* wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 11 Hv 74/20t des Landesgerichts Steyr, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 14. Oktober 2020 (ON 11) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterinnen der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, und der Privatbeteiligten, Mag. Scharer, des Verurteilten * K* und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Arbacher‑Stöger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132973

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 11 Hv 74/20t des Landesgerichts Steyr verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 14. Oktober 2020 (ON 11)

1. im Schuldspruch wegen des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB (A) diese Bestimmung und

2. in jenem wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach „§ 84 Abs 2 StGB“ (B) diese Bestimmung sowie § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO.

Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit rechtskräftigem, in gekürzter Form ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO) Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Steyr vom 14. Oktober 2020, GZ 11 Hv 74/20t‑11, wurde * K* je eines Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB (A) und der schweren Körperverletzung nach (richtig) §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB zu einer – für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen – Freiheitsstrafe sowie zu einer Geldstrafe verurteilt.

[2] Danach hat er am 5. Juli 2020 in S*

(A) den Polizeibeamten BI * G* während einer Amtshandlung dadurch tätlich angegriffen, dass er diesem einen heftigen Schlag gegen den Oberkörper und das linke Handgelenk versetzte und

(B) durch die zu A beschriebene Tathandlung an einem Beamten während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) begangen, wodurch BI G*eine Schwellung und eine Prellung des linken Handgelenks erlitt.

[3] Weitere – über das wiedergegebene Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hinausgehende – als erwiesen angenommene Tatsachen (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) enthält das Urteil nicht.

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzt dieses Urteil mehrfach das Gesetz:

[5] 1. Ein tätlicher Angriff auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB ist eine vorsätzliche, unmittelbar auf dessen Körper zielende Einwirkung (RIS‑Justiz RS0095909). Steigert sich jedoch bei einem einheitlichen Tatgeschehen– wie hier – die Tätlichkeit gegen einen Beamten zu einer (zumindest mit Misshandlungsvorsatz begangenen) Körperverletzung, wird das Vergehen des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB durch jenes der schweren Körperverletzung nach §§ 83 (Abs 1 oder 2), 84 Abs 2 StGB konsumiert (RIS‑Justiz RS0092960, Danek/Mann in WK2 StGB § 270 Rz 7, Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 84 Rz 111).

[6] Demzufolge verletzt das Urteil in seinem Schuldspruch wegen des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB (A), der zusätzlich zu jenem wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach (richtig) §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (B) erfolgt ist, das Gesetz in § 270 Abs 1 StGB.

[7] 2. Nach § 270 Abs 4 StPO (der gemäß § 488 Abs 1 erster Satz StPO auch für das Hauptverfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts gilt) hat eine gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 4 Z 1 StPO) sowie im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) zu enthalten. Es muss daher auch aus einer gekürzten Urteilsausfertigung hervorgehen, welcher Tat der Angeklagte für schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, worunter nichts anderes zu verstehen ist, als die für die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0101786 [T4], 11 Os 156/17a). Durch ein vollständiges Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) wird dem Gesetz insoweit Genüge getan (RIS‑Justiz RS0125764 [T2]). Liegt (wie hier) nur ein solcher Ausspruch vor, ist dieser der alleinige Bezugspunkt für die materiell-rechtliche Beurteilung (vgl RIS‑Justiz RS0125764 [T4], Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 60).

[8] Die Erfüllung des Tatbestands der schweren Körperverletzung nach (hier) §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB erfordert Feststellungen zur Tatbegehung an einem Beamten „während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten“. Solche Konstatierungen sind dem Urteil zum Schuldspruch B, der insoweit bloß die verba legalia anführt, jedoch nicht zu entnehmen. Auch aus der Bezugnahme des Schuldspruchs B auf den Schuldspruch A ergibt sich diesbezüglich kein ausreichendes Sachverhaltssubstrat, weil auch er sich (soweit hier relevant) auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts („während einer Amtshandlung“) beschränkt (ON 11 S 2). Damit haftet dem Urteil im Schuldspruch B ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl RIS‑Justiz RS0119090) an, der die rechtliche Annahme der (unselbständigen [RIS‑Justiz RS0132358]) Qualifikation des § 84 Abs 2 StGB nicht trägt.

[9] Dass das in gekürzter Form ausgefertigte Urteil diese entscheidenden Tatsachen nicht nennt, verletzt des Weiteren § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO.

[10] Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten auswirken (1) oder eine solche Wirkung nicht auszuschließen ist (2), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[11] Das Urteil war zur Gänze aufzuheben, um im neuerlichen Verfahren bei entsprechenden Feststellungen und im Hinblick auf das Geständnis (ON 11 S 3) und die keine einschlägigen Vorstrafen ausweisende Strafregisterauskunft (ON 7) die Möglichkeit eines diversionellen Vorgehens (§§ 198 ff StPO) zu eröffnen (vgl RIS‑Justiz RS0119278).

[12] Hinzuzufügen ist, dass das Urteil – wenngleich durch Bemessung des Tagessatzes in der Mindesthöhe (§ 19 Abs 2 zweiter Satz StGB, ON 11 S 2) für den Angeklagten nicht nachteilig – entgegen § 270 Abs 4 Z 2 StPO auch die diesbezüglich maßgebenden Umstände nicht enthält.

[13] Klarstellend wird zudem darauf verwiesen, dass der Beginn einer (im weiteren Rechtsgang allenfalls ausgesprochenen) Probezeit mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft des ursprünglichen Strafausspruchs festzuhalten sein wird (RIS‑Justiz RS0092039).

[14] In Ansehung der Privatbeteiligtenzusprüche steht der Zulässigkeit der Durchbrechung der Rechtskraft die im Sinn des Art 1 des 1. ZPMRK geschützte Position der Privatbeteiligten nicht entgegen, weil bei (wie hier) untrennbar mit dem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2, § 369 Abs 1 StPO) im Strafverfahren stets der Schutz des Angeklagten prävaliert (RIS‑Justiz RS0124740).

[15] Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichermaßen als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

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