European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00044.15T.0610.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Tamara K***** sowie die Berufung der Genannten und des Angeklagten Milos N***** wegen Schuld werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Tamara K***** und Milos N***** jeweils gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft und über die Beschwerden des Angeklagten Milos N***** und der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten Tamara K***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde ‑ soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ‑ Tamara K***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (I/) und des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und 2 StGB (II/) schuldig erkannt.
Danach hat sie am 18. Oktober 2014 in L***** in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Milos N***** als Mittäter dadurch, dass Milos N***** dem Taxilenker Hakif H***** eine Schreckschusspistole gegen den Hals richtete, ihm drohte, dass er ihn umbringen werde, und ihn aufforderte, Geldbörsen und alles, was er bei sich habe, auf den Beifahrersitz zu legen, und Tamara K***** die Geldbörsen samt Bargeld an sich nahm und sie sodann mit dem Taxi wegfuhren, sohin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB), dem Hakif H*****
I/ Bargeld in der Höhe von zumindest 650 Euro, mithin fremde bewegliche Sachen, mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, abgenötigt, wobei sie den Raub unter Verwendung einer Waffe verübte;
II/ das Taxi Marke Mercedes 300TD, sohin ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch genommen, wobei sie die Tat beging, indem sie sich die Gewalt über das Fahrzeug durch eine in § 131 StGB geschilderte Handlung verschaffte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a sowie 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Tamara K*****, der keine Berechtigung zukommt.
Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS‑Justiz RS0106268). Hievon ausgehend nennt das Gesetz fünf Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen:
Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn ‑ nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, also aus objektiver Sicht ‑ nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS‑Justiz RS0117995 [insb T3 und T4]).
Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316).
Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder der allgemeinen Lebenserfahrung nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 270 Abs 2 Z 4 StPO [§ 260 Abs 1 Z 1 StPO]), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0119089).
Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS‑Justiz RS0116732, RS0118317).
Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431).
Wo das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit Verfahrensergebnissen abstellt (Z 5 zweiter Fall und Z 5 fünfter Fall) ist überdies der entsprechende Aktenbezug herzustellen (RIS‑Justiz RS0124172).
An den dargestellten Kriterien prozessordnungskonformer Ausführung der Mängelrüge orientiert sich die Beschwerde nicht. Vielmehr beschränkt sie sich darauf, mit weitwendigem Vorbringen die von den Tatrichtern hinreichend gewürdigte, jegliche Tatbeteiligung bestreitende Verantwortung der Beschwerdeführerin (US 10 ff) ‑ unter besonderer Betonung ihres angeblich blinden Vertrauens in und ihrer behaupteten emotionalen Abhängigkeit vom Angeklagten Milos N***** ‑ zu wiederholen und wendet sich damit nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).
Die Behauptung eines Widerspruchs, weil es „nicht möglich“ sei, dass der Angeklagte Milos N***** mit der ihm von der Beschwerdeführerin übergebenen Waffe in der Hand seine Hose öffnen und urinieren konnte (vgl US 7), ohne dass dies der Taxilenker bemerkt hätte, richtet sich weder gegen eine entscheidende Tatsache noch zeigt sie einen Widerspruch im Sinn von Z 5 dritter Fall auf. Solcherart verkennt die bloß eigene Erwägungen anstellende Rüge erneut den Anfechtungsrahmen der Mängelrüge.
Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).
Soweit in der Tatsachenrüge (Z 5a) einleitend um „Wiederholungen zu vermeiden“ „das gesamte bisherige Berufungsvorbringen auch unter diesem Berufungspunkt erhoben“ wird, ist zu entgegnen, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich die Nichtigkeitswerberin für beschwert erachtet. Die pauschale Verweisung auf das Vorbringen der Mängelrüge entspricht daher nicht der Strafprozessordnung (RIS‑Justiz RS0115902).
Die Beschwerdekritik, es sei unrichtig, dass die Rechtsmittelwerberin sinngemäß gesagt hätte, der Angeklagte Milos N***** solle den Taxifahrer H***** wohl besser draußen umbringen, damit das Auto nicht voller Blut sei, lässt den erforderlichen konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel vermissen (RIS‑Justiz RS0118780).
Auch die bloße Behauptung, die Tatbegehung mache für die Nichtigkeitswerberin „überhaupt keinen Sinn“, orientiert sich nicht am dargestellten Anfechtungsrahmen der Tatsachenrüge.
Mit eigenen beweiswürdigenden Erwägungen darüber, welche „Dummheit“ der Angeklagte Milos N***** seiner Ehefrau gegenüber zugestanden habe (vgl US 5), wendet sich die Nichtigkeitswerberin nicht gegen eine entscheidende Tatsache.
Gegenstand der Rechtsrüge (Z 9) ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen mit dem festgestellten Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810 [T31]). Diesen Bezugspunkt verfehlt die Behauptung (Z 9 lit a), die Beschwerdeführerin habe mit dem gesamten Überfall nichts zu tun.
Soweit die Nichtigkeitswerberin Feststellungen zu einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit dem Angeklagten Milos N***** und ihrem vollständigen Vertrauen in den Genannten vermisst, leitet sie nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb diese Konstatierungen für die Tatbestände der §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB sowie § 136 Abs 1 und 2 StGB subsumtionsrelevant sein sollten (RIS‑Justiz RS0118580, vgl auch RS0116565).
Der Einwand (Z 9 lit a), der einzige Fehler der Beschwerdeführerin habe darin bestanden, nicht nach der Tat Milos N***** verlassen und die Polizei gerufen zu haben, orientiert sich prozessordnungswidrig nicht am Urteilssachverhalt (US 7 ff).
Im Übrigen bekämpft die Rechtsrüge (Z 9 lit a) erneut unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung.
Das weitere, ausdrücklich auch auf die Strafberufung verweisende Beschwerdevorbringen (nominell Z 9 lit b) stellt mit der ausschließlich gegen die Strafbemessung gerichteten Behauptung, die Schuld der Beschwerdeführerin sei gering und ihre Bestrafung sei weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen erforderlich, jedenfalls aber sei „eine unbedingte Haft“ von fünfeinhalb Jahren „weit überhöht und nicht nachvollziehbar“, bloß ein Berufungsvorbringen dar.
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass die Wertung der mangelnden Verantwortungsübernahme der Nichtigkeitswerberin als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache (US 17) eine unrichtige Gesetzesanwendung im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 StPO darstellt. Diese bietet jedoch keinen Anlass für amtswegiges Vorgehen, weil sie sich (noch) nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin auswirkt, ist sie doch im Rahmen der Entscheidung über deren ohnedies erhobene Berufung wegen Strafe korrigierbar (RIS‑Justiz RS0090897).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung ebenso sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO) wie die zur Anfechtung schöffengerichtlicher Urteile nicht vorgesehene (vgl § 283 Abs 1 StPO) Berufung beider Angeklagter wegen Schuld (RIS‑Justiz RS0098904).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche sowie über die Beschwerden (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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