European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00040.17G.0517.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Marian M***** des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 2 (zu ergänzen:) erster und zweiter Fall, Abs 4 vierter Fall StGB (1) sowie der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB (2 und 3) schuldig erkannt.
Danach hat er in L***** und andernorts durch wiederholte, im Urteil einzeln beschriebene Misshandlungen am Körper und vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben – in Ansehung der Adriana M***** auch gegen die Freiheit – längere Zeit hindurch fortgesetzt und länger als ein Jahr Gewalt ausgeübt, nämlich
1) von Juni 2009 bis 3. März 2016 gegen seine damalige Ehefrau Adriana M*****, wobei die Tat eine umfassende Kontrolle ihres Verhaltens herstellte und eine erhebliche Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung bewirkte,
2) von Juni 2009 bis 3. März 2016gegen seine am 1. Juni 2001 geborene Tochter Isabelle M*****, sohin bis zum 1. Juni 2015 gegen eine unmündige Person,
3) etwa ab Herbst 2010 bis 3. März 2016 gegen seine am 17. Oktober 2003 geborene Tochter Jaqueline M*****, sohin gegen eine unmündige Person.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse (Sanktionsfragen werden von der Beschwerde nicht angesprochen) – über schuld‑ oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS‑Justiz RS0106268).
Hievon ausgehend nennt das Gesetz fünf Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen:
Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn – nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, also aus objektiver Sicht – nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS‑Justiz RS0117995 [insbes T3 und T4]).
Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316).
Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander in Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0119089).
Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS‑Justiz RS0116732 und RS0118317).
Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431).
In Bezug auf alle fünf Fehlerkategorien ist die Mängelrüge nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt (RIS‑Justiz RS0119370).
Wo das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit Verfahrensergebnissen abstellt (Z 5 zweiter Fall und Z 5 fünfter Fall), ist überdies der entsprechende Aktenbezug herzustellen, was bei – wie hier – umfangreichem Aktenmaterial die genaue Angabe der jeweiligen Fundstelle erfordert (RIS‑Justiz RS0124172).
Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Beschwerde mit den pauschalen Behauptungen eines „Widerspruchs“ zwischen der Verantwortung des Angeklagten und den Aussagen der Opfer sowie einer „Undeutlichkeit“, weil es, wie eingewendet wird, aufgrund der „durchgeführten Zeugeneinvernahmen strittig geblieben ist, ob tatsächlich der Angeklagte die Taten begangen hat oder nicht“.
Der Sache nach bekämpft der Nichtigkeitswerber bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die dem Schöffensenat vorbehaltene Beweiswürdigung.
Der Zweifelsgrundsatz („in dubio pro reo“) kann der Beschwerdebehauptung zuwider niemals Gegenstand der Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO sein (RIS-Justiz RS0102162, RS0117445).
Entgegen dem – ohne Aktenbezug erhobenen – Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) haben sich die Tatrichter mit der Aussage der Zeugin Valentina B***** eingehend auseinandergesetzt (US 21).
Ebenso ausführlich legten sie dar, warum sie der Verantwortung des Angeklagten nicht folgten (US 12 ff), die Aussagen der Opfer aber als glaubwürdig werteten (US 14 ff). Der der Überzeugung der Tatrichter von der
Glaubwürdigkeit zugrunde liegende kritisch-psychologische Vorgang als solcher aber ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen. (RIS-Justiz RS0106588 [T11, T14]).
Das nicht näher substantiierte Vorbringen, es sei nicht „klar herausgearbeitet“, warum die Tatrichter den Angaben der „anderen Zeugen“ (vgl aber RIS-Justiz RS0124172 [T4]) keinen Glauben geschenkt hätten (vgl jedoch die eingehende Würdigung US 20 ff), bringt die Mängelrüge ebenso wenig prozessordnungskonform zur Darstellung.
Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) „vollinhaltlich“ auf das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) verweist, verkennt sie den grundsätzlich verschiedenen Anfechtungsrahmen (RIS-Justiz RS0115902).
Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungs-kraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583). Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).
Mit dem neuerlichen pauschalen Hinweis auf „Widersprüche“ zwischen der Verantwortung des Angeklagten und den Aussagen der Opfer weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) keine erheblichen Bedenken gegen Feststellungen entscheidender Tatsachen (RIS-Justiz RS0099674).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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