Spruch:
Fred L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Text
Gründe:
Das Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte mit Beschluss vom 29. November 2012 (ON 48) über Fred L***** die Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht-, der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2, 3 lit a und 3 lit b StPO und setzte diese am 13. Dezember 2012 (ON 59) sowie am 14. Jänner 2013 (ON 71) aus denselben Haftgründen fort.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Fred L***** (ON 72) gegen den letztgenannten Beschluss nicht Folge und ordnete die Haftfortsetzung aus den Gründen des § 173 Abs 2 Z 3 lit a und 3 lit b StPO an.
Dabei erachtete das Beschwerdegericht Fred L***** dringend verdächtig, seit „zumindest dem Jahr 2009 bis zu seiner Festnahme vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge angeboten, überlassen oder verschafft zu haben, indem er Kokain in sogenannter 'Steinform' von ausgezeichneter Qualität (Reinheitsgrad rund 50 %) von Pierre N***** anlässlich regelmäßig stattfindender Treffen ankaufte und nach einem Preisaufschlag gewinnbringend an Abnehmer weiterveräußerte“. In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht dabei den dringenden Verdacht des Verbrechens des Suchtgifthandels nach (gemeint [zur stillschweigenden Subsidiarität des vierten Falles des § 28 Abs 1 SMG gegenüber dem fünften und dem sechsten Fall dieser Norm siehe 13 Os 67/11v, EvBl-LS 2011/161 sowie RIS-Justiz RS0127080, zum Begriffsinhalt des „Verschaffens“ Schwaighofer in WK² SMG § 27 Rz 42]) § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des (nunmehrigen: ON 86) Angeklagten Fred L***** ist im Recht.
Zwar greift - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - die Argumentation, die Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts zur dringenden Verdachtslage (§ 173 Abs 1 erster Satz StPO) in Bezug auf die objektive Tatseite tragen die Subsumtion bloß nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, nicht jedoch überdies jene nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG, zu kurz, weil es insoweit nur auf die Subsumierbarkeit unter (irgend)eine - freilich hafttragende (Kier in WK² GRBG § 2 Rz 38 mwN) - strafbare Handlung ankommt (vgl auch RIS-Justiz RS0119859; 13 Os 127/07m, SSt 2007/82). Die Annahme, der Beschwerdeführer sei dringend verdächtig, rund drei Jahre hindurch in zahlreichen Angriffen mehreren Abnehmern insgesamt 450 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgrad von 44 % bis 49 % verkauft zu haben (BS 3), trägt (§ 173 Abs 1 StPO) die - im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung (erst) etwas mehr als zwei Monate dauernde - Untersuchungshaft aber unter dem Aspekt der Subsumtion (bloß) nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG sehr wohl.
Mit Recht wendet die Beschwerde hingegen das Fehlen einer Sachverhaltbasis in Bezug auf die subjektive Tatseite ein.
Setzt das Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung (§ 87 Abs 1 StPO) die Untersuchungshaft fort, muss es nämlich selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung, ob durch die solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen - objektiv wie subjektiv - eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird, ermöglichen (RIS-Justiz RS0120817; 13 Os 49/07s, SSt 2007/42; 14 Os 135/07w, 140/07f, SSt 2007/83). Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, indem sie sich zum Vorsatz auf die Überlegung, das „Vorliegen der subjektiven Tatseite schloss der Erstrichter zutreffend aus dem äußeren Tatgeschehen“ (BS 4), beschränkt.
In diesem Zusammenhang sei insbesonders darauf hingewiesen, dass der - hier ersichtlich angenommene (BS 2, 3) - Verkauf mehrerer, die Grenzmenge (§ 28b SMG) nicht für sich allein, sondern erst in Summe erreichender Teilmengen nach ständiger Judikatur (RIS-Justiz RS0112225) nur dann (nicht bloß § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG, sondern) § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG zu subsumieren ist, wenn die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von vornherein vom Willen des Angeklagten (§ 5 Abs 1 StGB) umfasst waren. Diesbezüglich ist (wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei) auch dem der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden erstrichterlichen Beschluss (ON 71) nichts zu entnehmen.
Die von der Grundrechtsbeschwerde zutreffend aufgezeigten Defizite der Sachverhaltsannahmen erfordern die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen, nicht jedoch die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; 14 Os 59/06t, 60/06i, 61/06m, SSt 2006/47; 14 Os 135/07w, 140/07f, SSt 2007/83; Ratz, Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415 [419]; Reiter, Grundrechtsschutz durch den OGH, ÖJZ 2007, 391 [403]). Da der Beschwerdeführer nach einer am 26. März 2013 beim Obersten Gerichtshof eingelangten Mitteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 21. März 2013 gegen Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) enthaftet worden ist, wird diese Klärung im Rahmen einer Beschlussfassung (§ 35 Abs 2 StPO) im Sinn des § 177 Abs 4 StPO zu erfolgen haben (vgl Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 177 Rz 14).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.
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