Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Gerhardus K***** und David K***** jeweils (richtig:) mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt.
Danach haben sie in M***** „im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter dadurch, dass sie Gewinne der G***** Gesellschaft mbH an die in ihrem Einflussbereich stehende steuerbegünstigt in der Schweiz ansässige O***** AG überwälzten, indem sie für die G***** Gesellschaft mbH eingekaufte Handelswaren zum Schein an die O***** AG fakturieren ließen und von dieser mit ungerechtfertigten Aufschlägen an die G***** Gesellschaft mbH weiterfakturierten, sodass Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, zu niedrig festgesetzt wurden, vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt, und zwar in der Zeit von Anfang 1996 bis September 2005 Kapitalertragssteuer in der Höhe von € 619.556,89 und Körperschaftssteuer in der Höhe von € 496.498,85 (strafbestimmender Wertbetrag € 1.116.055,74), wobei es ihnen darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.“
Rechtliche Beurteilung
Die Fassung des Urteilsspruchs gibt Anlass zu folgenden Anmerkungen (vgl 13 Os 154/09k):
Die Einkommensteuer in der Erhebungsform der Kapitalertragsteuer ist keine (bescheidmäßig) festzusetzende, sondern eine selbst zu berechnende Abgabe (vgl § 33 Abs 3 lit b FinStrG; Reger/Hacker/Kneidinger, FinStrG³ § 33 Rz 44). Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Empfänger der Kapitalerträge; zum Abzug der Kapitalertragsteuer verpflichtet ist hingegen (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) der Schuldner der Kapitalerträge (hier: die von den Beschwerdeführern vertretene G***** Gesellschaft mbH), der die Steuer binnen einer Woche nach dem Zufließen der Erträge mit einer entsprechenden Anmeldung abzuführen hat (§§ 95 Abs 1 bis Abs 3, 96 Abs 1 Z 1 lit a und Abs 3 EStG [die hier maßgebliche Rechtslage blieb seit dem Tatzeitraum trotz mehrfacher Novellierungen und daraus resultierender unterschiedlicher Gesetzessystematik unverändert]). Eine (bescheidmäßige) Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben (hier: der Kapitalertragsteuer) ist nur ausnahmsweise - insbesondere bei Verletzung der beschriebenen abgabenrechtlichen Pflichten - vorgesehen (vgl § 201 BAO).
Bei (bescheidmäßig) festzusetzenden Abgaben wird - bezogen auf ein Steuersubjekt - mit Abgabe einer unrichtigen Jahreserklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG verwirklicht. Die Abgabe unrichtiger Jahreserklärungen begründet mehrere realkonkurrierende Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG, wenn sie eine Steuerart mehrere Veranlagungsjahre hindurch oder unterschiedliche Steuerarten im selben Jahr betreffen. Solcherart bildet eine Jahreserklärung zu einer Steuerart - allenfalls auch als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte - eine selbständige Tat iSd § 21 Abs 1 FinStrG.
Selbständige Tat im Bereich der Kapitalertragsteuer ist jeweils das Unterlassen der Abfuhr der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuer unter Verletzung der korrespondierenden Anmeldungspflicht (RIS-Justiz RS0124712), und zwar auch dann, wenn es aus den zuvor genannten Gründen ausnahmsweise zu einer (bescheidmäßigen) Festsetzung dieser Abgabe kommt.
Der gegenständliche Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), in dem mehrere Finanzvergehen über mehrere Tatzeiträume und - aufgrund unterschiedlicher Erhebungs-formen der betroffenen Abgaben - verschiedenartige Begehungsweisen zusammengefasst dargestellt werden, verfehlt den Zweck dieses Referats der entscheidenden Tatsachen, nämlich einer deklarativen resümierenden Darstellung, auf welche Taten (im materiellen Sinn) sich der Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) bezieht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 273; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 6 f).
Zudem nehmen das Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und die Entscheidungsgründe (US 5 und 9 f) auf - überdies erst seit 13. Jänner 1999 (dem Inkrafttreten des AbgÄG 1998 [BGBl I 1999/28]) für Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG vorgesehene - gewerbsmäßige Begehung Bezug, ohne diese Qualifikation in den Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) aufzunehmen. Bei der Strafbemessung wurde gleichwohl der (demzufolge falsche) Strafrahmen des § 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 zu Grunde gelegt, was Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO zur Folge hat (13 Os 87/08f).
Den gegen die Schuldsprüche aus den Gründen der Z 4, 5, 5a, 9 lit a und b sowie 10 des § 281 Abs 1 StPO (von beiden Angeklagten in gemeinsamer Ausführung) ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden kommt Berechtigung zu.
Der Vorwurf der Rechtsrüge (Z 9 lit a), es fehlten Feststellungen dazu, welche abgabenrechtlichen Verpflichtungen die Angeklagten (durch welchen Vorgang) verletzt haben sollen, trifft in Bezug auf die Schuldsprüche wegen Hinterziehung von Kapitalertragsteuer zu. Den Entscheidungsgründen ist (dem Beschwerdevorbringen zuwider) zwar gerade noch hinreichend deutlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) zu entnehmen, durch welche wirtschaftlichen Vorgänge - nämlich durch (im Ergebnis als verdeckte Gewinnausschüttungen [vgl § 93 Abs 2 Z 1 EStG idgF] gewertete) über die O***** AG abgewickelte Zuflüsse an die Beschwerdeführer - jeweils eine Steuerpflicht ausgelöst wurde (US 3 f). Eine Verletzung der daraus resultierenden, eingangs dargestellten abgabenrechtlichen Pflichten in Bezug auf die Kapitalertragsteuer als Selbstberechnungsabgabe kommt hingegen durch den - bloß in Ansehung der Körperschaftsteuer ausreichenden - Hinweis auf die Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen (US 4) weder objektiv noch subjektiv zum Ausdruck.
Überdies wird nominell im Rahmen der Rechtsrüge (der Sache nach Z 5 vierter Fall [vgl 13 Os 26/11i, EvBl 2011/159, 1095; 13 Os 66/11x]) im Ergebnis zutreffend reklamiert, dass die Feststellung zur Summe der jeweiligen Verkürzungsbeträge (§ 33 Abs 5 erster Satz FinStrG) offenbar unzureichend begründet ist. Das Erstgericht beruft sich dabei auf die „Berechnungen der Finanzbehörden“ und deren Abschlussbericht (vgl ON 53) sowie das „Gutachten des Sachverständigen Dr. Ko*****“ (US 9), entnimmt die Verkürzungsbeträge aber offenbar einem E-Mail der Finanzstrafbehörde (ON 63), in welchem unter Hinweis auf eine „Berufungsentscheidung vom 16.7.2009“ (gemeint offenbar: eine Berufungsvorentscheidung dieses Datums) eine Neuberechnung dieser Beträge vorgenommen wurde, ohne dass die Grundlagen dieser Neuberechnung auch nur ansatzweise dargestellt wurden. Klärung vermochte diesbezüglich auch der Sachverständige in der Hauptverhandlung nicht zu verschaffen (ON 64 S 59); seine Berechnung im schriftlichen Gutachten (ON 56 S 468) ging - ebenso wie der Abschlussbericht der Finanzstrafbehörde (ON 53 S 8) - noch von anderen Beträgen aus. Der (konkrete) Verweis auf Berechnungen des Finanzamts oder des Sachverständigen reicht zur Fundierung der Feststellungen zum strafbestimmenden Wertbetrag unter dem Aspekt mängelfreier Begründung nur dann, wenn die bezughabenden Fundstellen im Akt ihrerseits eine schlüssige und nachvollziehbare Berechnung enthalten (vgl RIS-Justiz RS0119301; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 396).
Da der aufgezeigte Begründungsmangel sämtliche Schuldsprüche und Verkürzungsbeträge betrifft, stellt er die gerichtliche Strafbarkeit insgesamt in Frage (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 626).
Aufgrund der aufgezeigten Mängel war den Nichtigkeitsbeschwerden - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO) und das gesamte Urteil aufzuheben; eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens erübrigt sich daher.
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.
Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf verwiesen, dass entgegen der weiteren Rechtsrüge (Z 9 lit b) absolute Verjährung der im Jahr 1996 begangenen Abgabenhinterziehungen nicht eingetreten ist. Verjährungsbestimmungen sind zwar in den Günstigkeitsvergleich (§ 4 Abs 2 FinStrG) einzubeziehen, vermögen die Rechtslage aber nur dann zu Gunsten des Täters zu beeinflussen, wenn das die Strafaufhebung aktualisierende Fristende auf einen Zeitpunkt fällt, zu dem die jeweilige Verjährungsnorm noch in Geltung ist (RIS-Justiz RS0116876; Marek in WK² § 57 Rz 23). Die hier in Rede stehende Regelung des § 31 Abs 5 FinStrG idF BGBl 1985/571 ist aber - soweit sie das gerichtliche Finanzstrafverfahren betraf - mit Inkrafttreten des AbgÄG 1998 am 13. Jänner 1999 aus dem Rechtsbestand ausgeschieden.
Im zweiten Rechtsgang wird - im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs - auf eine den eingangs dargestellten Kriterien entsprechende Fassung des Urteilstenors ebenso zu achten sein wie auf die mit 1. Jänner 2011 in Kraft getretenen Änderungen durch die FinStrG-Novelle 2010 (vgl insbesondere § 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG). Überdies setzt ein Schuldspruch auch begründete Feststellungen voraus, ob und in welchem Zeitraum jeder der beiden Angeklagten die abgabenrechtliche Verantwortung für die G***** Gesellschaft mbH getragen hat (vgl 13 Os 116/10y).
Die schon jetzt unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer wird ausdrücklich als Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) anzuerkennen und durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung gemäß § 34 Abs 2 StGB auszugleichen sein (RIS-Justiz RS0121600; 13 Os 80/08a).
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