Spruch:
In der Strafsache gegen Christian S***** wegen § 105 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 31 E Vr 2136/93 des Landesgerichtes Salzburg, verletzen der Beschluß des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz vom 26.September 1994, GZ Jv 7456-17.3/94-2, und jener dieses Gerichtes vom 5.Oktober 1994, AZ 9 Bs 198/94, § 68 Abs 3 StPO.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden diese Beschlüsse aufgehoben.
Dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz wird die neuerliche Entscheidung über die Anzeige der Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden und der Mitglieder des Senates 9 dieses Gerichtes ebenso aufgetragen wie diesem Obrlandesgericht neuerlich die Entscheidung über die Beschwerde des Verurteilten Christian S***** gegen die Abweisung seines Antrages auf Wiederaufnahme mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 6.Mai 1994 (ON 18).
Text
Gründe:
Christian S***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 27. August 1993, GZ 31 E Vr 2136/96-7, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen schuldig erkannt. Seiner dagegen wegen Schuld und Strafe erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Linz (unter Mitwirkung der Richter Dr.F*****, Dr.S***** und Dr.G*****) nach Beweiswiederholung nicht Folge (ON 13).
Nach Abweisung eines Wiederaufnahmeantrages des Verurteilten durch das Landesgericht Salzburg (ON 18) erhob Christian S***** Beschwerde an das Oberlandesgericht Linz, das - nachdem der Präsident dieses Gerichtshofes der Anzeige der Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden und der Mitglieder des Senates 9 mit dem im Spruch bezeichneten Beschluß nicht Folge gegeben hatte - in der bereits dargestellten Zusammensetzung der Beschwerde mit Beschluß vom 5.Oktober 1994 (ON 29) keine Berechtigung zuerkannte.
Rechtliche Beurteilung
Der bezeichnete Beschluß des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz sowie die Zusammensetzung des Beschwerdegerichtes verletzen, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, das Gesetz.
Gemäß § 68 Abs 3 StPO (in der Fassung des StPÄG 1993, BGBl Nr 526) ist von der Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag (§ 357 StPO) unter anderem ausgeschlossen, wer in derselben Sache als Richter an der früheren Hauptverhandlung teilgenommen hat. Der Gesetzgeber hielt es in diesem Zusammenhang für erforderlich, den Ausschließungsgrund der Vorbefaßtheit auf jene Richter auszudehnen, die bereits im früheren Verfahren als (Untersuchungsrichter oder) Richter in der Hauptverhandlung tätig gewesen sind. Dadurch sollte nicht zuletzt das Gericht gegen den Vorwurf geschützt werden, schon durch das Grundverfahren voreingenommen zu sein, und dem Verurteilten die naheliegende Besorgnis genommen werden, die Richter des Grundverfahrens könnten infolge des verurteilenden Erkenntnisses für das Wiederaufnahmeverfahren nicht die nötige Objektivität aufbringen (1157 BlgNR XVIII.GP, 7; bei Pleischl/Soja, StPO, S 56).
Die Grundzüge der zu § 68 Abs 2 StPO bereits entwickelten Judikatur (SSt 31/123; 11 Os 20/91) sind somit auch auf die (neu eingefügte) Regelung des § 68 Abs 3 StPO anzuwenden, weswegen sowohl jene Richter von einer Entscheidung (in erster oder zweiter Instanz) im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen sind, die im Grundverfahren (als Untersuchungs- oder über die Anklage erkennende Richter) in erster Instanz mitgewirkt als auch jene, die in diesem Verfahren (erst) als Rechtsmittelrichter die Tat- und Schuldfrage (unmittelbar) entschieden haben. Hat (wie hier) der Berufungssenat seine Entscheidungen auf die Ergebnisse der Beweiswiederholung (für die die Vorschriften für die Hauptverhandlung in erster Instanz gelten; §§ 473 Abs 1, 489 Abs 1 StPO) gestützt, so ist die (durch die damit einhergehende eigenständige Würdigung der Verfahrensergebnisse) mögliche Beeinträchtigung der Unbefangenheit der im Rechtsmittelsenat befaßten Richter jener der in erster Instanz erkennenden gleichzusetzen.
Die analoge Anwendung des § 68 Abs 3 StPO auch auf in einer höheren Instanz tätige Richter des Grundverfahrens entspricht somit auch dem gemäß Art 6 Abs 1 MRK verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruch des Angeklagten, daß seine Sache in billiger Weise vor einem unparteiischen Gericht gehört werde (12 Os 49,50/96-4, ebenfalls betreffend eine Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz zu AZ 9 Bs 325/95 in einem Wiederaufnahmeverfahren). Vorliegendenfalls kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß sich die gesetzwidrige Zusammensetzung des Beschwerdesenates des Oberlandesgerichtes Linz bei seiner Entscheidung vom 5.Oktober 1994 zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat. Dieser Beschluß war somit ebenso wie jener des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz vom 26.September 1994 zu kassieren und diesem ebenso aufzutragen, über die Anzeige der Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden und der Mitglieder des Senates 9 neuerlich zu entscheiden wie dem Oberlandesgericht Linz als Beschwerdegericht über die Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers gegen die Abweisung seines Antrages durch das Landesgericht Salzburg (in gesetzeskonformer Besetzung), wobei diese Rechtsprechungsorgane gemäß § 293 Abs 3 StPO an die Rechtsansicht gebunden sind, die dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugrunde liegt.
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