Spruch:
In der Strafsache gegen Gerold J*** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB., U 167/81 des Bezirksgerichts Persenbeug, sind durch die Einleitung des ordentlichen Verfahrens und durch das Urteil vom 3.März 1982, GZ. U 167/81-9, trotz der Rechtswirksamkeit einer diese Tat betreffenden, wenngleich noch nicht zugestellten Strafverfügung, ON. 3, die Bestimmungen der §§ 460 Abs. 2 und 462 Abs. 1 StPO. verletzt.
Das Urteil des Bezirksgerichts Persenbeug vom 3.März 1982, GZ. U 167/81-9, wird aufgehoben.
Dem Bezirksgericht Persenbeug wird aufgetragen, das Verfahren dem Gesetz gemäß fortzusetzen.
Text
Gründe:
Mit der Strafverfügung des Bezirksgerichts Persenbeug vom 21. Oktober 1981, GZ. U 167/81-3, wurde Gerold J*** des am 14. August 1981 in Persenbeug zum Nachteil des Johann S*** begangenen Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB. schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Tage) verurteilt. Der Bezirksanwalt verzichtete am 4. November 1981 auf einen Einspruch gegen diese Entscheidung (S. 20), die dem Beschuldigten in der Folge allerdings nicht zugestellt werden konnte, weil er an der von ihm angegebenen Adresse nicht mehr wohnhaft war. Nach erfolglosen Erhebungen über dessen Wohnsitz wurde seine Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung veranlaßt (S. 1 a).
Die Strafverfügung ist dem Beschuldigten bis heute nicht zugestellt worden.
Als das Bezirksgericht Persenbeug im Februar 1982 von einer damaligen Anhaltung des Gerold J*** im Gefangenenhaus des Kreisgerichts St. Pölten erfuhr, ordnete es statt der gebotenen Zustellung der Strafverfügung eine Hauptverhandlung über den Verfahrensgegenstand an (S. 1 a verso). In dieser in Anwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung wurde er mit dem durch einen Vermerk gemäß § 458 Abs. 2 StPO. beurkundeten rechtskräftigen Urteil vom 3.März 1982 (ON. 9) wegen der in der Strafverfügung bezeichneten Tat (abermals) des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB. schuldig erkannt und nunmehr zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Außerdem erging ein Erkenntnis über privatrechtliche Ansprüche, welches in der vermerkten Fassung ("§ 89/1 StPO wird dem Privatbeteiligten der Betrag von S 1.000,-- zugesprochen") den Erfordernissen eines Exekutionstitels nicht entsprach und keinen Sinnzusammenhang mit dem darin enthaltenen Gesetzeszitat erkennen läßt.
Gerold J*** hat die über ihn verhängte Freiheitsstrafe verbüßt (ON. 21).
Rechtliche Beurteilung
Die Einleitung und auch die weitere Durchführung des ordentlichen Verfahrens ohne vorangegangenen Einspruch des Bezirksanwalts oder des Beschuldigten gegen die Strafverfügung vom 21. Oktober 1981 durch die Anordnung einer Hauptverhandlung verstoßen gegen die Vorschriften der §§ 460 Abs. 2 und 462 Abs. 1 StPO. Nach diesen Bestimmungen kann nämlich das ordentliche Verfahren im Anschluß an die Erlassung einer Strafverfügung - von einer Maßnahme nach § 292 letztem Satz StPO. abgesehen - nur auf Grund eines Einspruchs einer Partei eingeleitet werden. Bis dahin bleibt das Gericht an seine ab der Übergabe der Entscheidung an die Geschäftsstelle (zur Ausfertigung) wirksame Strafverfügung gebunden, welche ein temporäres Verfolgungshindernis eigener Art darstellt. Dieses Hindernis kann mit der Erhebung eines Einspruchs oder mit der Aufhebung der Strafverfügung zum Wegfall kommen; mit Eintritt deren materieller Rechtskraft geht es in die dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung und dem § 480 Abs. 1 StPO. zugrundegelegte Sperrwirkung über (siehe hiezu Mayerhofer-Rieder, StPO. 2 , ENr. 2, auch 4, zu § 77 und ENr. 20 zu § 460; 10 Os 29,44/84). Das Bezirksgericht Persenbeug hat sich bei Einleitung des ordentlichen Verfahrens über das bestehende Verfolgungshindernis hinweggesetzt und zudem mit dem Urteil vom 3.März 1982 eine den Beschuldigten benachteiligende Doppelverurteilung herbeigeführt, welche zu beseitigen war. Im - zunächst durch Zustellung der Strafverfügung (ON. 3) an den Beschuldigten - fortzusetzenden Verfahren wird das Gericht bei einem kondemnierenden Sachausgang in analoger Anwendung des § 359 Abs. 3 StPO. die von Gerold J*** bereits erlittene Freiheitsstrafe auf die verhängte Sanktion anzurechnen und im Fall eines Einspruchs deren Ausmessung unter Berücksichtigung des Verbots der reformatio in pejus vorzunehmen haben.
Die förmliche Aufhebung aller auf dem kassierten Urteil beruhenden Beschlüsse und Verfügungen (so der Antrag der Beschwerdeführerin) erübrigte sich. Die sich aus einer gänzlichen oder teilweisen Urteilsaufhebung ergebenden rechtslogischen Folgen bedürfen eines, sei es konstitutiven, sei es deklaratorischen Formalakts der Rechtsmittelinstanz nicht, zumal sie auch im Fall eines (nach etwa schon vollzogener Endverfügung) gemäß §§ 288 Abs. 2 Z. 3, 290 Abs. 1, zweiter Satz, zweiter Fall, StPO. (beneficium cohaesionis) vom Obersten Gerichtshof gefällten Freispruchs regelmäßig keine Erwähnung finden (EvBl. 1984/147, 13 Os 59/84, 13 Os 158/84, zuletzt 13 Os 117/86).
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