OGH 13Os155/07d

OGH13Os155/07d23.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Ing. Peter W***** gegen die Antragsgegnerin V***** Gesellschaft mbH wegen § 10 MedienG, AZ 95 Hv 8/07b des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der V***** Gesellschaft mbH auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, in Abwesenheit des Ing. Peter W***** und von Organen der V***** Gesellschaft mbH, jedoch in Gegenwart von deren Vertretern Dr. Rami und Mag. Renzl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. März 2007, GZ 95 Hv 8/07b-10, wurde die V***** GmbH als Medieninhaberin der Zeitschrift „P*****" über Antrag des Ing. Peter W***** verpflichtet, in Frist und Form des § 13 MedienG unter der Sanktion des § 20 MedienG in der periodischen Druckschrift „P*****" nachstehenden Text zu veröffentlichen:

Nachträgliche Mitteilung

Sie haben in ihrem periodischen Druckwerk „P*****" Nr. 41 vom 9. Oktober 2006 auf den Seiten 38 f in einem Artikel mit der Überschrift „Sie Arschloch! Sie Verräter!" die Behauptung Dritter wiedergegeben, in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 2006 sei „Christoph P*****, Sprecher der Justizministerin", „geprügelt" und verletzt worden. Gegen Ing. Peter W***** bestünde nun der Verdacht der „Anstiftung zur Körperverletzung" und der „Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung".

Die bei der Staatsanwaltschaft Wien zum AZ 52 St 69/06d geführte Anzeige gegen Ing. Peter W***** wegen Körperverletzung (§ 83 des Strafgesetzbuches) und Nötigung (§ 105 des Strafgesetzbuches) wurde von der Staatsanwaltschaft Wien zurückgelegt. Ein Strafverfahren gegen Ing. Peter W***** aufgrund dieser Anzeige unterblieb daher.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts wurde in der Ausgabe Nr 41 der periodischen Zeitschrift P***** ein Artikel mit der Überschrift „Sie Arschloch! Sie Verräter!" und dem Subtext „Affäre. Wüste Beschimpfungen, angebliche Drohungen - und ein Bodygard ohne Gewerbeberechtigung: Die Wahlnachtsprügelei scheint für Peter W***** ein böses Nachspiel zu haben." veröffentlicht. Der Leser erfahre von einer Auseinandersetzung am Abend der letzten Nationalratswahl in einem Lokal in Wien zwischen dem Spitzenkandidaten des B***** Ing. Peter W***** und Christoph P*****, dem Sprecher der wenige Tage vor der Wahl aus dem B***** ausgetretenen Justizministerin G*****, wobei P***** zunächst als Verräter beschimpft worden sei, dann habe W***** gerufen „Hauts die Arschlöcher raus", woraufhin ein Bodyguard des Antragstellers P***** am Hals gepackt und ihn rücklings vom Barhocker und in den Windfang des Lokals gezerrt habe; der G*****-Sprecher habe Hämatome an den Unterarmen sowie Schmerzen im Hals- und Lendenwirbelbereich davongetragen. Laut Zeugenaussagen habe W***** andere davon abgehalten, P***** zu helfen.

Nach den weiteren Konstatierungen werden in einer auch optisch abgegrenzten Spalte des Artikels die möglichen juristischen Auswirkungen des Vorfalls thematisiert; darin heißt es wörtlich: „Diffiziler ist die juristische Beurteilung im Zusammenhang mit W*****, für den - ebenso wie für seinen Leibwächter - natürlich die Unschuldsvermutung gilt. Juristen halten auf Basis der Schilderungen des Vorfalls theoretisch die Paragrafen wegen Anstiftung zur Körperverletzung wie Beitragstäterschaft oder so genannter 'Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung' für anwendbar".

Der durchschnittliche Leser verstehe den Text dahin, dass der Antragsteller aufgrund seines Verhaltens an jenem Abend einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, wobei seine Handlung als „Anstiftung" zur Körperverletzung oder Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung qualifiziert werden könne.

Nach Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft habe der Antragstellervertreter die Antragsgegnerin unter Vorlage eines Amtszeugnisses der Staatsanwaltschaft Wien vom 22. Dezember 2006 zur Veröffentlichung einer nachträglichen Mitteilung über den Ausgang des Strafverfahrens aufgefordert. Das Erstgericht gab den Text des Amtszeugnis wie folgt wieder:

„Amtszeugnis gemäß 10 Abs. 3 MedienG

Die bei der Staatsanwaltschaft Wien zum Aktenzeichen 52 St 69/06d geführte Anzeige gegen Ing. Peter W***** wegen Körperverletzung (§ 83 des Strafgesetzbuches) und Nötigung (§ 105 des Strafgesetzbuches) wurde von der Staatsanwaltschaft Wien zurückgelegt. Ein Strafverfahren gegen Ing. Peter W***** auf Grund dieser Anzeige unterbleibt daher."

und konstatierte weiters, dass die Antragsgegnerin in ihrer Ausgabe Nr 3 vom 15. Jänner 2007 einen Text mit der Überschrift „Wir verbrachten einen fröhlichen Abend" veröffentlicht hat, der sich ebenfalls mit den Vorfällen am Wahlabend befasst und detailliert die deutlichen Unterschiede in den Aussagen der verschiedenen an jenem Abend anwesenden Personen aufzeigt. Der Artikel erwecke beim Leser den Eindruck, dass es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen sei, bestimmte der Sphäre des Antragstellers zuzuordnende Personen jedoch nichts hätten sehen wollen, was durch den Satz im Subtext „Das Protokoll einer Nicht-Schlägerei" unterstützt werde. Im Text werde zunächst auf das bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängige Verfahren gegen den Bodygard des Antragstellers unter Bekanntgabe der Aktenzahl verwiesen. Hinsichtlich des Antragstellers finde sich die Passage „Die Anzeige gegen W***** wegen vermeintlicher Nötigung wurde von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt. Mehr als 'milieu- und alkoholbedingte Unmutsäußerungen' könnten nicht nachgewiesen werden."

Eine Veröffentlichung der begehrten nachträglichen Mitteilung sei nicht erfolgt, woraufhin der Antragsteller den Antrag bei Gericht eingebracht habe.

Rechtlich führte das Erstgericht zur fehlenden Erwähnung des Verdachts einer Nötigung im Primärtext aus, dass die Subsumtion des Lebenssachverhalts durch die Staatsanwaltschaft den Anspruch auf Veröffentlichung einer nachträglichen Mitteilung nicht beeinflusse und sich ein solcher Verdacht auch aus dem Artikel selbst ergeben habe. Die begehrte kontradiktorisch formulierte Veröffentlichung entspreche dem Knappheitsgebot und die konkrete Formulierung sei erforderlich, um einem juristischen Laien eine entsprechende Kenntnis von der Verfahrenseinstellung zu vermitteln. Der Artikel vom 15. Jänner 2007 sei keine gleichwertige redaktionelle Richtigstellung oder Mitteilung im Sinne des § 12 Abs 2 MedienG, weil nach dem Gesamteindruck eindeutig sei, dass sich das Medium nicht mit der erfolgten Veröffentlichung identifiziert habe und kein Bezug zur vorangegangenen Berichterstattung hergestellt werde.

Das Oberlandesgericht Wien gab einer dagegen gerichteten Berufung der Antragsgegnerin wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und des Ausspruchs über die Schuld mit Urteil vom 25. Juli 2007, AZ 17 Bs 138/07d, nicht Folge. Es verneinte eine exzedierende Textwahl der nachträglichen Mitteilung und - bei einem Vergleich dieser Mitteilung mit dem Umfang des Primärartikels - dass die Medieninhaberin dadurch unangemessen belastet werde. Die Einschätzung, dass keine der Primärberichterstattung gleichwertige nachträgliche Mitteilung über den Ausgang des Strafverfahrens im Folgeartikel in der Ausgabe vom 15. Jänner 2007 erfolgt sei, teilte es.

Mit der Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK beantragt die V***** GmbH nun die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO. Im Wesentlichen bringt sie vor, dass bei Beurteilung „einer Gleichwertigkeit eines das Ende eines Verdachts berichtenden Artikels" „nicht bloß auf optische Eindrücke", sondern darauf abzustellen ist, ob eine Veröffentlichung in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte des Antragstellers noch erforderlich ist. Der Artikel vom 15. Jänner 2007 habe „für den 'P*****'-Leser den gleichen Auffälligkeitswert" gehabt „wie der Primärartikel" und sei dessen ungeachtet „die optische Auffälligkeit einer nachträglichen Mitteilung bei konventionskonformer Auslegung auch weniger streng zu beurteilen" als etwa die einer Gegendarstellung, weil die unentgeltliche Komplettierung einer ursprünglich zulässigen Berichterstattung in Rede steht, deren gerichtliche Beauftragung der Unerlässlichkeit bedürfe.

Die nachträgliche Mitteilung greife unverhältnismäßig in die durch Art 10 MRK geschützte Pressefreiheit ein und wäre auf das zum angestrebten Rechtsschutz Erforderliche zu beschränken gewesen. Die Angabe der Aktenzahl und eine über die Wendung von der Zurücklegung der Anzeige hinausgehende Information seien nicht erforderlich gewesen. Der ausgeschriebene Gesetzesname und zweimaliges Anführen der „Staatsanwaltschaft Wien" würde die Antragsgegnerin größtmöglich belasten. Die Passage „Die deshalb bei der Staatsanwaltschaft Wien geführte Anzeige wurde zurückgelegt" hätte den Text verdeutlicht und gekürzt. Die Amtsbestätigung habe sich nicht auf den Verdacht der „Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung" bezogen, weshalb dessen Erwähnung in der These zu unterblieben gehabt hätte und es habe - mangels Erwähnung des Verdachts der Nötigung in der These - „ein Anspruch auf Veröffentlichung der Zurücklegung einer Anzeige wegen dieses Verdachts" nicht bestanden.

Die Generalprokuratur hat dazu wie folgt Stellung bezogen (§ 363a Abs 2 vierter Satz StPO):

„Nach Art 10 Abs 1 erster und zweiter Satz MRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein.

Obwohl die Pressefreiheit in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich erwähnt ist, bildet sie einen selbstständigen Teil deren sachlichen Schutzbereichs. Der Rahmen der Pressefreiheit erstreckt sich auf verschiedene Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verbreitung von Meinungen, Nachrichten oder Ideen über Printmedien. Neben Tätigkeiten betreffend die organisatorischen Rahmenbedingungen ist davon vor allem die journalistische Arbeit als solche umfasst. Geschützt sind demnach die Vertraulichkeit von Redaktionsgeheimnissen, die Beschaffung von Informationen, die Recherchetätigkeit, das Schreiben und entsprechende Hilfstätigkeiten. Der Grundrechtsschutz gilt aber auch der journalistischen Gestaltungsfreiheit (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³, S 256 f). Vertriebsbeschränkungen, Zensur, Verpflichtungen zur Offenlegung von Informanten, Verbote, die sich gegen die Gestaltung von Beiträgen richten, die Unterstellung unter eine Bewilligungspflicht und dergleichen, stellen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit dar (Grabenwarter aaO S 259; Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention², S 405).

Nach § 10 Abs 1 MedienG idF vor dem Strafprozessbegleitgesetz II ist auf Verlangen einer Person, über die in einem periodischem Medium berichtet worden ist, sie sei einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig oder gegen sie sei ein Strafverfahren eingeleitet worden, im Falle der Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft oder der Beendigung des Strafverfahrens auf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis, eine Mitteilung darüber in einem periodischen Medium unentgeltlich zu veröffentlichen. Das Mediengesetz enthält detaillierte Regelungen betreffend Zeitpunkt und Form sowie gerichtliche Durchsetzbarkeit einer nachträglichen Mitteilung über den Ausgang eines Strafverfahrens. Eine solche nachträgliche Mitteilung ist vor allem so zu veröffentlichen, dass ihre Wiedergabe den gleichen Veröffentlichungswert hat wie die Veröffentlichung, auf die sie sich bezieht (§ 13 Abs 3 MedienG). § 12 Abs 2 MedienG räumt dem Medieninhaber aber die Möglichkeit ein, dem Veröffentlichungsbegehren des Betroffenen durch eine - fristgerechte - gleichwertige redaktionelle Mitteilung zu entsprechen und ihn darüber zu informieren.

§ 10 MedienG trägt sowohl dem Interesse des Tatverdächtigen auf Rehabilitation als auch dem Interesse der Öffentlichkeit an Komplettheit der Berichterstattung Rechnung. Die Öffentlichkeit soll nicht nur über die Einleitung, sondern auch über den Ausgang eines Strafverfahrens informiert werden (Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 10 Rz 1).

Durch die gerichtliche Anordnung der Veröffentlichung einer nachträglichen Mitteilung nach § 10 MedienG wird das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung bzw die Pressefreiheit im Sinn des Art 10 Abs 1 MRK nicht berührt. Eine Einschränkung des nach dem Grundgedanken der MRK in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbaren Rechts zum Empfang oder zur Mitteilung von Nachrichten, Meinungen oder Ideen, die nur unter den Voraussetzungen des Abs 2 des Art 10 MRK zulässig wäre, ist damit nämlich nicht verbunden. Im Gegensatz zu restriktiven Maßnahmen, wie Beschlagnahme, Zensur, Veröffentlichungsverbot, aber auch Verpflichtung zur Entschädigungszahlung wird dem Medieninhaber lediglich eine zusätzliche Information der Medienkonsumenten abverlangt, die keinen Sanktionscharakter hat und die - nicht zuletzt wegen ihres geringen Umfangs - jedweder sonstigen Veröffentlichung von Meinungen und Nachrichten in dem betreffenden Medium nicht im Wege steht. Eine Pönalisierung des (Primär-)Berichts über einen Tatverdacht bzw ein anhängiges Strafverfahren findet dadurch nicht statt; der aktiven Informationsfreiheit (zum Begriff: Mark E. Villiger aaO S 397) werden keine Grenzen gesetzt.

Da demnach ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK im gegenständlichen Zusammenhang von vornherein nicht denkbar ist, sohin eine wesentliche Voraussetzung der analogen Anwendung des § 363a StPO auf Fälle, in welchen die Feststellungen einer Grundrechtsverletzung durch den EGMR bislang (noch) nicht stattgefunden hat, nicht vorliegt, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Antragsvorbringen, wonach die Gerichte die Gleichwertigkeit einer redaktionellen Mitteilung nach § 12 Abs 2 MedienG im vorliegendem Fall unrichtig beurteilt hätten.

Der Antrag wäre mithin in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen."

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Den Gerichten kann aus grundrechtlicher Sicht nicht vorgeworfen werden, sie hätten bei ihrer Beurteilung einen dem Art 10 MRK zuwiderlaufenden Maßstab angelegt.

Der Schutz des Art 10 MRK gilt im Bereich der Pressefreiheit (als Teil der Freiheit zur Meinungsäußerung) unter anderem der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit von Medien und damit deren Entscheidungsfreiheit, welche Informationen veröffentlicht werden (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 23 Rz 8). Eine durch das Gericht (staatlich) aufgetragene Veröffentlichung nach § 10 MedienG greift in diese durch Art 10 Abs 1 MRK abgesicherte Gestaltungsfreiheit unmittelbar ein (Renzl, Die Veröffentlichungsansprüche - Konsumtion oder Kumulation?, MR 2004, 87 [89]; Swoboda, Pressefreiheit - im Schatten wuchernder „Mitteilungen", MR 1997, 9). Solche unter „Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen" im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK fallende Anordnungen (vgl auch Korn, Anmerkung zu 4 Ob 120/03f, MR 2004, 107) sind aber nach Art 10 Abs 2 MRK gerechtfertigt, wenn sie gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft aufgrund von in dieser Bestimmung aufgezählten Interessen unentbehrlich sind. Die einen Eingriff in die Pressefreiheit normierende Vorschrift des § 10 MedienG muss demnach dergestalt ausgelegt und angewendet werden, dass die Vorgaben des Art 10 Abs 2 MRK erfüllt sind; eine verfassungskonforme Interpretation unter Berücksichtigung der konkreten Gesamtsituation ist angezeigt.

Fallbezogen wurde eine nachträgliche Mitteilung gerichtlich aufgetragen, weil eine der Primärveröffentlichung folgende selbstständige Mitteilung des Mediums in Betreff eines den Medienkonsumenten zur Kenntnis gebrachten anhängigen Strafverfahrens nach - durchaus vertretbarer - Meinung der Gerichte nicht die erforderliche Gleichwertigkeit im Sinne des § 10 Abs 2 MedienG aufwies. Dieser grundrechtsinvasive Gerichtsauftrag ist zur Beurteilung seiner Rechtfertigung der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art 10 Abs 2 MRK zu unterziehen.

Grundsätzlich ist bei strafrechtlichen Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit Zurückhaltung geboten und bei der Prüfung solcher Eingriffe in Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit schon wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit ein strenger Maßstab anzulegen; denn naturgemäß stellt die strafrechtliche Sanktionierung der Ausübung der Meinungsfreiheit den schärfsten Eingriff in das Grundrecht dar (EGMR 23. 4. 1992, Castells gegen Spanien, 2/1991/254/325, ÖJZ 1992/35 [MRK], § 46; VfSlg 10.700; vgl auch Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention², Art 10 Rz 34a; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 23 Rz 12; Mayer B-VG4 Art 10 MRK Anm III.2 f).

Der - ganz allgemein im Interesse des guten Rufs und des Rechts auf Rehabilitation stehende - Anspruch nach § 10 MedienG ist dem Wesen nach jedoch zivilrechtlicher Natur im Sinn von Art 6 Abs 1 MRK (Rami in WK² MedienG § 10 Rz 2; Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4, 68), sodass ein abgestufter Maßstab an die prüfende Kontrolle der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs anzulegen ist. Schließlich ist ins Kalkül zu ziehen, dass der in Rede stehende Veröffentlichungsauftrag keine staatliche Sanktion ist, sondern ausschließlich ein maßvolles Gleichgewicht zwischen einer wahrheitsgemäßen Primärveröffentlichung und anschließender medialer Rehabilitation des davon Betroffenen schaffen soll.

Eine grundrechtskonforme Auslegung der Gesetzesbestimmung verlangt zwar dessen ungeachtet den bereits angesprochenen sparsamen Umgang auch mit diesem Veröffentlichungsinstrument (vgl auch Renzl, Die Veröffentlichungsansprüche - Konsumtion oder Kumulation?, MR 2004, 89). Der hier gegenständliche Veröffentlichungsauftrag ist aber sowohl unter diesem Aspekt wie auch unter jenem der Fallbezogenheit des Maßstabs der hier aktuellen Gesamtsituation (EGMR 22. 5. 1990, Weber gegen die Schweiz, 10/1989/170/226, ÖJZ 1990/15 [MRK], § 47; Berka in Machacek/Pahr/Stadler [Hg], Grund- und Menschenrechte in Österreich II, 439 f) in seiner konkreten Ausgestaltung noch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schranken geblieben.

Auch die Erneuerungswerberin bestreitet nicht den grundsätzlichen Anspruch des Antragstellers auf nachträgliche Mitteilung. Deren Text aber hat sich durchaus auf das zu dem angestrebten Rechtsschutz Erforderliche beschränkt, weil

1. die Abkürzung „StGB" für „Strafgesetzbuch" nur dem Fachpublikum geläufig ist,

2. es nicht unangemessen war, den (nicht spezifisch strafrechtlich gebildeten) Leser darüber zu informieren, dass der im Artikel in Richtung der Verwirklichung zweier strafbarer Handlungen (rechtlicher Kategorien) geäußerte Verdacht - unbestritten - von der Staatsanwaltschaft als zur Gänze, demnach auch in Betreff angeblicher „Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung" nach § 286 StGB, unbegründet beurteilt wurde,

3. die Mitteilung, dass das Verfahren der Staatsanwaltschaft in Richtung der Vergehen der Körperverletzung und der Nötigung geführt wurde, notwendig war, um dem Leser ein sachgerechtes Bild von der Prüfung der im Artikel als verdachtsbegründend angesehenen Vorfälle durch die Anklagebehörde zu geben,

4. die Mitteilung des Aktenzeichens des bei der Staatsanwaltschaft geführten Verfahrens durchaus als zur vollständigen Information des Lesers unentbehrlich angesehen werden durfte,

5. es im Rahmen des zu § 17 Abs 1 dritter Satz MedienG bestehenden Beurteilungsspielraums der Strafgerichte lag, entsprechend dem Wortlaut des wiedergegebenen Amtszeugnisses zugunsten der leichteren Lesbarkeit die zweite Erwähnung der Staatsanwaltschaft Wien nicht durch ein Pronomen zu bewerkstelligen und

6. die durchaus knapp gefasste einleitende Herstellung eines inhaltlichen Bezugs zum berichteten Tatverdacht mit Blick auf die die Meinungsäußerungsfreiheit begünstigende Rechtsprechungslinie des Obersten Gerichtshofs, nach welcher die Äußerung (bloß) des Verdachts einer Straftat keine Üble Nachrede iSd § 111 StGB darstellt (14 Os 61/97, SSt 62/135 = EvBl 1997/194), aufgrund der dem Staat auferlegten Gewährleistungspflichten für den effektiven Grundrechtsschutz des Verdächtigten (Art 8 MRK) unverzichtbar erscheint.

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