European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00143.17D.0314.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Safet O***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 12 „dritter“ Fall, 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB (I) sowie „des“ Verbrechens (richtig: mehrerer Verbrechen) des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach §§ 12 „dritter“ Fall, 153d Abs 1, Abs 2, Abs 3 StGB(n) schuldig erkannt.
Danach hat er vom September bis zum November 2009 in W***** ab der dritten Tat gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB)
(I) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zur Ausführung strafbarer Handlungen „unbekannter, abgesondert verfolgter Machthaber“ der K***** GmbH „beigetragen“,
die Verantwortliche der Wiener Gebietskrankenkasse und der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die jeweils wahrheitswidrige Vorgabe, eine bestimmte Person sei Dienstnehmer (nicht ihres tatsächlichen Dienstgebers, sondern) der genannten Gesellschaft, zu Unterlassungen, nämlich zur Abstandnahme von der Einhebung (in Folge der jeweiligen Anmeldungen und Meldungen) aufgelaufener Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz bei den tatsächlichen Dienstgebern, verleiteten, die Erstere in einem Betrag von zusammen 339.050,87 Euro und Zweitere in einem Betrag von zusammen 4.625 Euro am Vermögen schädigten,
indem er „im Auftrag der unbekannten Machthaber“ gegenüber dem Lohnverrechner Amdi D***** als Bevollmächtigter der genannten Gesellschaft auftrat, ihn in mehreren Angriffen damit beauftragte, Anmeldungen zur Sozialversicherung und Meldungen zur Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse entsprechenden Inhalts in Ansehung von (jeweils einer größeren Zahl von Personen [vgl US 5, 14] und) insgesamt 203 Dienstnehmern durchzuführen, und ihm jeweils die dazu erforderlichen Unterlagen übermittelte;
(II) in dem Wissen, dass
- die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge und
- die in Folge der Meldung auflaufenden Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz
nicht vollständig geleistet werden sollten, durch das zu I beschriebene Verhalten (US 4 ff) zur Ausführung strafbarer Handlungen der dort erwähnten „Machthaber“ „beigetragen“, die die Anmeldung von insgesamt 203 Personen zur Sozialversicherung und ihre Meldung zur Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse in Auftrag gaben, wobei die erwähnten Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nicht vollständig geleistet wurden.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Nur in der Hauptverhandlung gestellte Anträge können Grundlage einer Verfahrensrüge nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO sein. Anträge, die in Schriftsätzen außerhalb der Hauptverhandlung eingebracht wurden, erfüllen diese Voraussetzung nur, wenn sie vom Antragsteller in der Hauptverhandlung wiederholt wurden (RIS-Justiz RS0099099).
Dass der Angeklagte einen Antrag auf „Einholung eines graphologischen Gutachtens“ (den das Schöffengericht zu Unrecht abgewiesen habe) in der Hauptverhandlung gestellt hätte, behauptet er – aktenkonform – nicht; aus dem darüber aufgenommenen Protokoll ergibt sich keine derartige (prozessual beachtliche) Antragstellung des Angeklagten.
Daran ändert auch nichts,
- dass mit dem Vortrag des „gesamten Akteninhalts“ durch die Vorsitzende (ON 54 S 15) auch ein Schriftsatz des Angeklagten (ON 50), der einen solchen Antrag enthält, in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (RIS-Justiz RS0099250 [T17]) sowie,
- dass das Schöffengericht (auch) bezüglich dieses „Antrags“ ein – solcherart überflüssiges – abweisliches Zwischenerkenntnis (ON 54 S 14) gefasst hat (RIS-Justiz RS0099511 [T9]).
Schon deshalb versagt die darauf bezogene Verfahrensrüge.
In der Hauptverhandlung (allerdings) gestellt wurde der Antrag des Angeklagten auf zeugenschaftliche Vernehmung von 39 (in ON 44 S 533 angeführten) Personen, die „der K***** zuzuordnen“ seien, zum Beweis dafür, „dass er diese Personen gar nicht kennt und keinen Einfluss gehabt hat auf die Entscheidung, ob diese Personen auf die Firma angemeldet waren“ (ON 54 S 13). Durch seine Abweisung (ON 54 S 14) aber wurden – entgegen dem weiteren Vorbringen – Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Denn der Antrag legte weder dar, aus welchem Grund diese Personen über die angesprochenen Kenntnisse und Kompetenzen des Angeklagten Aufschluss geben könnten, noch weshalb sie über Wahrnehmungen zur Veranlassung ihrer (An-)Meldungen bei den betreffenden Kassen (überhaupt) verfügen sollten, und zielte damit – im Hauptverfahren unzulässig – auf Erkundungsbeweisführung ab ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 330).
In der Beschwerde nachgetragenes Antragsvorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse (Sanktionsfragen werden von der Beschwerde nicht angesprochen) – über schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS-Justiz RS0106268).
Kein solcher Umstand ist vorliegend – weil weder die Tatbestände der §§ 146 ff StGB noch jene des § 153d StGB darauf abstellen – die Identität der „Machthaber“, in deren Auftrag der Angeklagte nach den Urteilskonstatierungen handelte; ebenso wenig, ob sie „unbekannt“ sind oder „abgesondert verfolgt“ werden.
Der diesbezüglich erhobene Einwand von „Undeutlichkeit“ (Z 5 erster Fall, der Sache nach auch Z 5 dritter Fall) geht daher ins Leere.
Soweit die Beschwerde (der Sache nach als Rechtsrüge) Feststellungen zur Identität dieser Auftraggeber vermisst, versäumt sie es (bereits), darzulegen, weshalb solche zur rechtsrichtigen Beurteilung erforderlich sein sollten (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).
Keinen entscheidenden Aspekt betrifft auch die (aus Z 5 vierter Fall) bekämpfte Konstatierung, der Angeklagte sei es gewesen, der die „Bezahlung des Lohnverrechners“ in Höhe von 2.000 Euro pro Monat mit diesem vereinbart hatte (US 5).
Seine Feststellungen zur gewerbsmäßigen Begehung (US 6) stützte das Erstgericht keineswegs (bloß) auf die – keine durchschnittlich 400 Euro im Monat erreichende Entlohnung für sich selbst einräumende – Verantwortung des Angeklagten, sondern auf Wahrscheinlichkeitsschlüsse, die es daraus und aus dem objektiven Tatgeschehen ableitete (US 12).
Die dagegen gerichtete Beschwerdeargumentation (Z 5 vierter, nominell auch dritter Fall) lässt Letzteres außer Acht und versäumt es damit prozessordnungswidrig, die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick zu nehmen (RIS-Justiz RS0119370).
Das weitere auf Z 5 und das gesamte auf Z 5a gestützte Vorbringen schließlich erschöpft sich ausnahmslos darin, (abseits der Anfechtungskategorien der §§ 281 Abs 1, 281a StPO) aus verschiedenen Verfahrensergebnissen anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen jenen des Erstgerichts entgegengesetzte Schlüsse zu ziehen. Damit– ebenso wie mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (RIS‑Justiz RS0102162) – wird bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Hinzugefügt sei, dass das Erstgericht zu beiden Schuldsprüchen verfehlt, aber unter Subsumtionsaspekten unschädlich (RIS-Justiz RS0117604) von sonstiger Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) ausging: Nach dem Urteilssachverhalt nahm der – im Auftrag „unbekannter Machthaber“ handelnde – Angeklagte die betrügerischen Anmeldungen nicht selbst vor, sondern beauftragte damit seinerseits den Lohnverrechner D***** (US 4 f). Indem er diese Anmeldungen somit in Auftrag gab, setzte der Angeklagte– als demnach unmittelbarer Täter (§ 12 erster Fall StGB; zur Mittäterschaft vgl RIS-Justiz RS0117320 [insbesondere T1, T5]) – selbst Ausführungshandlungen des § 153d StGB (Schuldspruch II). Die Täuschungshandlung – als Tathandlung des § 146 StGB (Schuldspruch I) – wiederum lag hier jeweils in der Vornahme einer betrügerischen Anmeldung. Sie führte jeweils D***** im Auftrag des Angeklagten aus, der daher insoweit Bestimmungstäter (§ 12 zweiter Fall StGB) war (zur „Kettenbestimmung“ vgl RIS-Justiz RS0089581).
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