OGH 13Os143/11w

OGH13Os143/11w15.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Strafsache gegen Saydami I***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 20. Juli 2011, GZ 13 Hv 51/11k‑103, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Saydami I***** des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (1) und des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien und Leoben vom Juni 2009 bis zum 11. Oktober 2010, somit längere Zeit hindurch, gegen andere Personen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

1) Milana Is***** zwei‑ bis dreimal monatlich mit der Hand, mit Holzstücken oder mit Hausschuhen, in zumindest einem Fall auch mit einem Stromkabel, Schläge gegen den Rücken, den Kopf und die Arme versetzte, und

2) der am 21. Jänner 1997 geborenen, sohin während des gesamten, mehr als einjährigen Tatzeitraums unmündigen Jaha Is***** mehrmals monatlich mit der Hand, mit einem Stock oder mit Hausschuhen, in jeweils einem Fall auch mit einem Stromkabel und einer Haarbürste, Schläge gegen den Rücken, den Kopf und die Arme versetzte, wiederholt gegen ihren Bauch und ihren Rücken trat und sie mehrfach durch Drohungen mit Misshandlungen, in einem Fall durch Drohung mit dem Tod, zu Handlungen und Unterlassungen nötigte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) erschöpft sich darin, die Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite, wonach „bei sämtlichen Tathandlungen ... auch die Dauer der Gewaltausübung über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr“ vom (zumindest) bedingten Vorsatz des Angeklagten umfasst war (US 6), zu bestreiten und verfehlt solcherart den (auf der Tatsachenebene) gerade in den Konstatierungen der Tatrichter gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581).

Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) Feststellungen zur Eignung der Tathandlungen, eine Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit der Opfer zu bewirken, vermisst (der Sache nach Z 9 lit a), sagt sie nicht, aus welchen Überlegungen das behauptete Tatbildmerkmal folgen soll (vgl 13 Os 151/03, SSt 2003/98 = JBl 2004, 531 [Burgstaller]).

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass das Erfordernis, das Opfer in einer Weise, die geeignet ist, es in seiner Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, in der Legaldefinition der „beharrlichen Verfolgung“ (§ 107a Abs 2 StGB) enthalten ist, wogegen § 107b StGB gerade nicht die „Beharrlichkeit“ der Angriffe voraussetzt (s auch JAB 106 BlgNR 24. GP 23). In Bezug auf die fortgesetzte Gewaltausübung (§ 107b StGB) wird dieses Kriterium allerdings in der Lehre als Korrektiv herangezogen, um geringfügige Fälle (va) wiederholter Misshandlung von der Strafbarkeit auszunehmen (Winkler, SbgK § 107b Rz 110 f; zust Schwaighofer in WK² § 107b Rz 9). In diesem Sinn betonen auch die Gesetzesmaterialien, dass nicht jeder wiederholte Angriff gegen das Opfer, insbesondere im Bereich der „bloßen“ körperlichen Misshandlungen, unter den Tatbestand des § 107b StGB zu subsumieren, sondern auch auf die Eingriffsintensität und die sonstigen Tatbegehungsmodalitäten mit Blick auf die konkrete Situation des Opfers Bedacht zu nehmen ist (JAB 106 BlgNR 24. GP 23). Richtig besehen ist bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 107b StGB somit stets eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung vorzunehmen, womit eine besonders starke Ausprägung eines dieser Faktoren unter dem Aspekt der Subsumtion eine Reduktion des Gewichts der beiden übrigen Faktoren zulässt (in diesem Sinn auch Mitgutsch, Ausgewählte Probleme der Freiheitsdelikte ‑ Beharrliche Verfolgung und fortgesetzte Gewaltausübung, JB Strafrecht BT 2010, 21 [35]; Roth/Egger, Zweites Gewaltschutzgesetz, EF‑Z 2009/93, 125 [127]; Tipold, Zur Auslegung des § 107b StGB [fortgesetzte Gewaltausübung] JBl 2009, 677 [679]).

Ausgehend von diesen Prüfungskriterien steht bei fallbezogen festgestellter Dauer der Gewaltausübung von rund einem Jahr und vier Monaten, einer Dichte von zwei bis drei Angriffen pro Monat und einer durch Schlagführung ua mittels Holzstücken, Hausschuhen, eines Stockes, einer Haarbürste und eines Stromkabels sowie durch das Ausführen von Tritten bedingten erhöhten Gewaltintensität die Subsumtion unter den Grundtatbestand des § 107b Abs 1 StGB außer Frage (vgl Schwaighofer in WK² § 107b Rz 16, 23 f, 26; Winkler, SbgK § 107b Rz 34, 104 bis 106; Tipold, JBl 2009, 677 [679 f]).

Auch der Beschwerdeeinwand, die „Jahresfrist“ des § 107b Abs 4 StGB beginne „wohl erst mit jenem Gewaltakt (nach vorangegangen fortgesetzten Gewalthandlungen) zu laufen“, mit dem „das Delikt des Abs. 1 erst verwirklicht wurde“, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet.

Hinzu kommt, dass bei konstatierter Gewaltausübung über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und vier Monaten (US 5) die allfällige Subsumtionsrelevanz dieses Beschwerdeansatzes nicht klar wird.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei festgehalten, dass das fristauslösende Ereignis nach dem Wortlaut des § 107b Abs 4 zweiter Satz StGB der erste nach § 107b Abs 1 und Abs 3 StGB tatbestandsmäßige Aggressionsakt ist (so auch Winkler, SbgK § 107b Rz 141; aM Schwaighofer in WK² § 107b Rz 51).

Soweit die Rüge die Verfassungskonformität des § 107b StGB (noch dazu insgesamt, mithin auch und vor allem in Bezug auf gar nicht angewendete Bestimmungen) in Abrede stellt, zeigt sie keinen Nichtigkeitsgrund auf. Allein infolge nicht ausreichender Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals „längere Zeit hindurch“ (vgl auch §§ 33 Z 1, 106 Abs 1 Z 2, 107 Abs 2, 145 Abs 1 Z 2, 201 Abs 2, 202 Abs 2 StGB) und wegen angeblich unzureichend aufeinander abgestimmter Strafsätze besteht für den Obersten Gerichtshof jedenfalls kein Anlass zur Antragstellung nach Art 89 Abs 2 B‑VG.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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