Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 18. März 1959 geborene Versicherungsangestellte Wolfgang L*** wurde des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er am 17. Mai 1987 in Wien dem Alexander S*** dadurch, daß er mit einem Kleinkalibergewehr auf ihn schoß, eine schwere Körperverletzung (Schußbruch des linken Oberarms) absichtlich zugefügt.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z. 5, 5a, 9 lit b und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an.
Nach den - zusammengefaßt dargestellten - Urteilskonstatierungen begab sich Alexander S*** am 17. Mai 1987 gegen 1,30 Uhr früh zum Wohnhaus des Angeklagten, um mit Gabriele F***, mit der er näher befreundet war und die sich in der Zwischenzeit wieder ihrem langjährigen Freund Wolfgang L*** zugewendet hatte, eine Aussprache zu suchen. Tatsächlich schickte der Angeklagte über Aufforderung durch S*** seine Freundin auf die Straße, wo es dann zwischen den beiden zu einer heftigen wörtlichen Auseinandersetzung kam. Durch diesen lautstarken Streit alarmiert, nahm L*** sein Kleinkalibergewehr an sich, begab sich vors Haus, lehnte das Gewehr an die Hausmauer und ging dann zu dem vor dem Grundstück auf der Straße geparkten Personenkraftwagen des S***, in dem die beiden Streitenden inzwischen Platz genommen hatten. Der Angeklagte forderte F*** auf, auszusteigen, worauf auch S*** ausstieg und es nunmehr zu gegenseitigen Beschimpfungen zwischen ihm und dem Angeklagten kam.
Der Angeklagte und F*** gingen hierauf zum Haus zurück, während S*** vom Gehsteig aus weiter schimpfte und Worte gebrauchte wie "Wenn ich dich erwische ... dich hol ich mir schon ..". Hierauf nahm der Angeklagte sein an der Hausmauer angelehntes Kleinkalibergewehr auf, brachte es in Hüftanschlag in Richtung des Zeugen S*** und forderte ihn auf, wegzugehen, sonst würde er ihn erschießen. Da S*** dieser Aufforderung nicht nachkam, gab der Angeklagte auf den in einer Entfernung von rund sechs Metern noch immer vor dem Gartentor auf dem Gehsteig stehenden Alexander S*** einen gegen dessen Körpermitte gerichteten Schuß in der Absicht ab, ihm eine schwere Körperverletzung zuzufügen und damit einen Denkzettel für sein provokantes Verhalten im Angesicht der Zeugin F*** zu erteilen. Das Projektil traf den linken Oberarm, blieb darin stecken und verursachte die schwere Verletzung (S. 206 bis 210).
Das Gericht stützte diese Feststellungen auf die Rekonstruktion der Tat an Ort und Stelle an Hand der Aussagen des Tatopfers und auf die diese stützenden Angaben der Zeugin F*** im Vorverfahren, die allerdings vorher und nachher die Version des Beschwerdeführers zu unterstützen suchte. Der Schöffensenat lehnte die Verantwortung L*** in Richtung Notwehr oder Putativnotwehr im wesentlichen mit der Begründung ab, daß er den Schuß gezielt deshalb abgab, weil er über die vorangegangenen Beschimpfungen und Beleidigungen durch S*** erbost war, obwohl sein Widersacher keine Anstalten traf, das Grundstück zu betreten und ihn anzugreifen (S. 211 bis 214). Mit seiner Mängelrüge (Z. 5) wendet sich der Angeklagte gegen die Urteilsannahme der absichtlichen schweren Verletzung mit dem Hinweis darauf, daß für diese Feststellung kein einziges konkretes Beweisergebnis vorliege, die Aussage des Zeugen S*** wegen teilweiser Widersprüche hinsichtlich seiner Lage nach Schußabgabe bedenklich sei und die Ablehnung seiner eigenen Verantwortung als Schutzbehauptung eine Scheinbegründung darstelle.
Mit diesen Ausführungen verkennt die Beschwerde das Wesen der freien Beweiswürdigung nach § 258 Abs 2 StPO. Dem Gericht ist nämlich nicht die Verpflichtung auferlegt, eine mathematisch genaue Beweisführung auf Grund vorliegender objektivierbarer Beweisergebnisse vorzunehmen, es ist vielmehr berechtigt und verpflichtet, aus einer Kette von Indizien auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu ziehen (Mayerhofer-Rieder2 E. 26 bis 34 zu § 258 StPO., SSt. 45/23, 13 Os 211/83 u.v.a.). Wenn das Gericht daher auf der Grundlage der von ihm als glaubwürdig erachteten Zeugenaussagen, aus dem Standort des Schützen, seiner Entfernung zum Opfer, der gezielten Schußabgabe in Richtung des Körpers und dem sich aus der vorangegangenen, heftigen und emotionellen Auseinandersetzung ergebenden Motiv den Schluß auf die Schuldform der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB.) zieht, entspricht dies den Denkgesetzen. Von Aktenwidrigkeit kann schon deshalb keine Rede sein, weil dieser Anfechtungsgrund nur vorläge, wenn der Inhalt einer Aussage oder Urkunde im Urteil unrichtig wiedergegeben worden wäre, was die Beschwerde aber gar nicht behauptet. Die Ausführungen laufen daher auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Glaubwürdigkeit des Zeugen S***, hinaus.
Die in diesem Zusammenhang im Rahmen der Tatsachenrüge (Z. 5a) hervorgekehrten Umstände (Lage des Verletzten auf dem Gehsteig oder schon auf der Straße, Eifersucht des Zeugen, jedoch nicht des Beschwerdeführers) betreffen nur unwesentliche Begleitumstände oder allfällige Motivationsgründe, sind aber nicht geeignet, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.
Mit seiner Rechtsrüge (Z. 9 lit b) reklamiert der Angeklagte die seiner Meinung nach in den Ergebnissen des Beweisverfahrens indizierte Feststellung, daß er sich "durch das Verhalten des Zeugen S*** bedroht gefühlt habe" und wirft dem Erstgericht die rechtsirrtümliche Interpretation der Bestimmung des § 8 StGB. vor. Hiebei wird aber übersehen, daß der Angeklagte auch dann nicht exkulpiert wäre, wenn er aus den verbalen Ankündigungen des Zeugen S*** irrtümlich angenommen haben sollte, daß ein rechtswidriger Angriff auf seine körperliche Integrität unmittelbar bevorstehe. § 8 StGB. erfaßt nämlich nur den Fall, daß jemand über die rechtfertigende Situation als solche irrt, ansonsten muß sein Handeln aber im Rahmen des in Betracht kommenden Rechtfertigungsgrunds bleiben. Wer also in Putativnotwehr handelt, darf zu seiner Verteidigung nicht mehr tun als derjenige, der sich tatsächlich in einer Notwehrsituation befindet. Unter Zugrundelegung der klaren Regelung des § 3 Abs 2 StGB. bleibt auch der Täter, dem Putativnotwehr zugebilligt wird, für sein vorsätzliches Tun verantwortlich, wenn er das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient. Gerade dieser Fall läge aber hier nach den Urteilsfeststellungen vor, weil der Angeklagte nicht etwa aus einem asthenischen Affekt heraus, sondern aus Zorn (verbo "erbost": S. 215) auf einen unbewaffneten Widersacher gezielt schoß (vgl. hiezu SSt. 54/69, 55/88 u.v.a.).
Da sohin für die Annahme eines bloß fahrlässigen Handelns kein Raum bleibt, muß auch die eine Verurteilung lediglich nach § 88 (Abs 1 und 4) StGB. anstrebende Subsumtionsrüge (Z. 10) versagen. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte Wolfgang L*** gemäß § 87 Abs 1 StGB. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (24 Monate). Gemäß § 43 a Abs 3 StGB. wurde ein Teil der Strafe, nämlich sechzehn Monate, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Erschwerend war nichts, mildernd war der vormalige ordentliche Lebenswandel des Angeklagten. Dieser begehrte in der Berufungsschrift die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht (zur Gänze); im Gerichtstag ergänzte der Verteidiger den Berufungsantrag eventualiter auf Verhängung einer unbedingten Geldstrafe (§ 295 Abs 2 StPO.).
Die Berufung ist unbegründet.
Durchaus zu Recht hat schon das Erstgericht zwei Umstände hervorgehoben: erstens, daß das Opfer der Gewalttat - nach dem Schußbruch des linken Oberarmknochens - wenigstens mehrere Monate lang eine deutliche gesundheitliche Beeinträchtigung im linken Schultergelenk erlitten hat (Gutachten S. 123: 17. Mai bis 3. August 1987, vgl. S. 166 f.), das ist ein Ausmaß an gesundheitlichen Folgen, das nicht mit jeder schweren Körperverletzung einhergeht; zweitens, daß der Angeklagte einen lediglich verbalen Konflikt mit seinem Nebenbuhler mittels eines halbautomatischen Selbstladegewehrs mit Zielfernrohr beendet hat. Beides, dazu die mit einem gezielten Schuß gegen die Körpermitte verbundene Lebensgefahr, macht den besonders hohen Unrechts- und Schuldgehalt des Verbrechens deutlich, der als Erschwerungsgrund den Strafzumessungserwägungen des Schöffensenats beizufügen ist.
Demgegenüber versagen die Berufungsargumente. Das aggressive Verhalten des Zeugen S*** erschöpfte sich, wie gesagt, in einem Wortwechsel und in gegenseitigen Beschimpfungen (S. 209). Die vom Berufungswerber reklamierte Unbesonnenheit kann ihm nicht zugebilligt werden, weil er das durchgeladene und entsicherte Gewehr (S. 158, 209) bereits vorsorglich aus der Wohnung mitgenommen, zunächst an die Hausmauer gelehnt, dann von dort wieder aufgenommen und es gezielt gegen die Körpermitte des Alexander S*** abgefeuert hat (S. 210). Daß die Handlungsweise des Täters einem Rechtfertigungsgrund nahekomme, ist durch den für die Berufungsentscheidung maßgebenden Urteilssachverhalt widerlegt. Schon das bisher Gesagte ergibt keinen Anlaß für eine Strafermäßigung oder für die gänzliche (§ 37 StGB.) oder teilweise (§ 43 a Abs 2 StGB.) Verhängung einer Geldstrafe. Im übrigen wäre deren Ausspruch bei einem Schuldenstand des Angeklagten von rund eineinhalb Millionen Schilling (eigene Einlassung S. 192, Urteil S. 208) wenig sinnvoll gewesen. Soweit der Berufungswerber aber schließlich gegen die Berücksichtigung generalpräventiver Belange im Urteil Stellung nimmt, ist ihm zu erwidern, daß es eine für jedermann einsichtige Aufgabe der Strafrechtspflege ist, energisch vorzukehren, daß Auseinandersetzungen nicht - noch dazu einseitig - mit der Schußwaffe ausgetragen werden. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß § 43 a Abs 3 StGB. seine Anwendung von den "Voraussetzungen des § 43" abhängig macht, daß aber zu diesen Voraussetzungen gehört, daß "es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken" (§ 43 Abs 1 StGB.).
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