European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127716
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Heinrich F* mehrerer Finanzvergehen der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach § 35 Abs 2 FinStrG schuldig erkannt.
Danach hat er als verantwortlicher Mitarbeiter der F* Speditionsgesellschaft m.b.H. im Bereich des Zollamts Wien, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung an Eingangsabgaben, nämlich
(I) Einfuhrumsatzsteuer um insgesamt 148.870,51 Euro bewirkt, indem er Nichtgemeinschaftswaren zur Überführung in den zoll‑ und steuerrechtlich freien Verkehr mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung in jeweils einen anderen EU‑Mitgliedstaat, nämlich Italien oder Ungarn, anmeldete, wobei diese (Weiter‑)Lieferungen nicht erfolgten und er sich wahrheitswidrig nicht als Anmelder, sondern lediglich als Vertreter des im Ausland ansässigen Empfängers ausgab, und zwar
A) vom 18. August 2006 bis zum 5. Februar 2008 in 80, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen bei der Einfuhr von Schuhen sowie
B) vom 15. März bis zum 17. August 2007 in 28, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen bei der Einfuhr von Fahrrädern,
(II) Antidumpingzöllen um 54.965,73 Euro bewirkt, indem er vom 2. April bis zum 17. August 2007 in 19, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen in Anmeldungen der Lieferung von Fahrrädern Hongkong als deren Ursprungsland angab, obwohl die Fahrräder aus China stammten, sowie
(III) Zoll und Einfuhrumsatzsteuer um insgesamt 118.179,17 Euro durch die Erklärung eines wesentlich unter dem tatsächlichen Preis gelegenen, durch gefälschte Rechnungen bescheinigten Preises bewirkt (A) oder zu bewirken versucht (B), indem er
A) am 18. Februar 2008 11.328 Trainingsanzüge zu einem Stückpreis von 2,02 USD statt richtig 8,50 USD anmeldete, sowie
B) am 21. Februar 2008
1) 104.000 T‑Shirts zu einem Stückpreis von 0,41 USD statt richtig 101.758 T-Shirts zu einem Stückpreis von 1,90 USD und
2) 25.650 T-Shirts zu einem Stückpreis von 1,20 USD statt richtig 83.860 T‑Shirts und Polohemden zu einem Stückpreis von 2,90 USD und 560 Hosen zu einem Stückpreis von 2,15 Euro
anmeldete, wobei es beim Versuch blieb, weil die zollamtliche Abfertigung mangels Vorlage der Einfuhrlizenz unterblieb.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die vom Angeklagten aus den Gründen des § 281 Abs 1 Z 5 und 9 (richtig) lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde.
Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit b) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war.
Die Strafbarkeit eines Finanzvergehens erlischt durch Verjährung (§ 31 Abs 1 erster Satz FinStrG). Die Verjährungsfrist für Finanzvergehen der Hinterziehung von Eingangs‑ oder Ausgangsabgaben beträgt fünf Jahre (§ 31 Abs 2 FinStrG).
Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 31 Abs 1 zweiter Satz FinStrG zu laufen, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört. Diese Regelung kommt zur Anwendung, wenn nicht auf einen Erfolgseintritt abzustellen ist, also auch – wie hier zu III/B – wenn die Begehung eines Erfolgsdelikts im Versuchsstadium verbleibt (13 Os 118/18d mwN). Davon abgesehen ist der Eintritt eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs für den Beginn der Verjährungsfrist maßgeblich (§ 31 Abs 1 dritter Satz FinStrG). Diese beginnt aber nie früher zu laufen als die Verjährungsfrist für die Festsetzung der Abgabe, gegen die sich die Straftat richtet (§ 31 Abs 1 vierter Satz FinStrG).
Die Verjährungsfrist für die Festsetzung der Zollschuld beginnt mit dem Tag ihres Entstehens zu laufen (Art 103 Abs 1 UZK [vgl Art 221 Abs 3 ZK [in der zur Tatzeit geltenden Fassung]). Der Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld richtet sich im – hier gegebenen – Fall der Verletzung einer zollrechtlichen Verpflichtung nach Art 79 Abs 2 UZK (vgl Art 202 ff ZK aF).
Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten insoweit die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß (§ 2 Abs 1 ZollR-DG iVm § 26 UStG).
Nach § 35 Abs 2 zweiter Satz FinStrG ist die Abgabenverkürzung (soweit hier von Bedeutung) bewirkt, wenn eine entstandene Eingangs- oder Ausgangsabgabe nicht oder zu niedrig festgesetzt wird. Dies ist dahin auszulegen, dass die Tat im Fall der Nichtfestsetzung im Zeitpunkt der Schuldentstehung, bei „zu niedriger“ Festsetzung hingegen im Zeitpunkt der Bescheidzustellung (Art 102 Abs 1 UZK iVm § 59 ZollR‑DG [vgl Art 221 Abs 1 ZK aF iVm § 74 Abs 1 ZollR-DG aF) vollendet ist. Darin ist jeweils der „Erfolg“ im Sinn des § 31 Abs 1 dritter Satz FinStrG zu sehen (Lässig in WK2 FinStrG § 31 Rz 4 und § 35 Rz 33).
Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten grundsätzlich für sich (RIS‑Justiz RS0128998). Selbständige Tat ist bei der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach § 35 Abs 2 FinStrG die Abgabe einer Zollanmeldung (Lässig in WK2 Vor FinStrG Rz 11).
§ 31 FinStrG normiert in Abs 3 eine (Ablaufs‑)Hemmung durch später begangene vorsätzliche Finanzvergehen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist auch für die letzte dieser Taten, in Abs 4 lit b – betreffend (wie hier) gerichtlich zu ahndende Finanzvergehen – eine (Fortlaufs‑)Hemmung für die Zeit, während der wegen der Taten gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht geführt wird (RIS‑Justiz RS0132861; Lässig in WK2 FinStrG § 31 Rz 11).
Nach den Feststellungen setzte der Angeklagte die letzte dem Tatbestand der Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach § 35 Abs 2 FinStrG subsumierte Handlung am 21. Februar 2008 (US 10). Mit diesem Datum war demnach die (letzte) mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen und begann nach dem Urteilssachverhalt (nach den vorstehenden Grundsätzen für sämtliche hier inkriminierten Finanzvergehen) die fünfjährige Verjährungsfrist zu laufen.
Feststellungen zu verjährungshemmenden Umständen hat das Erstgericht nicht getroffen. Seit wann das Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen der im Urteil angelasteten Taten bei der Staatsanwaltschaft (oder bei Gericht) geführt wurde, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
Machen aber fehlende Feststellungen – hier zu verjährungshemmenden Umständen – die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes unschlüssig, liegt ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (hier Z 9 lit b) vor (RIS‑Justiz RS0122332 [insbesondere T1, T6 und T11]).
Dieser erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 285e StPO).
Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang werden die Änderungen des finanzstrafrechtlichen Sanktionensystems durch das EU‑FinAnpG 2019 BGBl I 2019/62 zu beachten sein (vgl zum Günstigkeitsvergleich 13 Os 88/19v).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)