OGH 12Os99/21g

OGH12Os99/21g13.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Fleischhacker in der Strafsache gegen Sa***** R***** und eine Angeklagte wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 2, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Sa***** R***** und Se***** R***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 30. Juli 2020, GZ 13 Hv 32/20f‑65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00099.21G.1213.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige (verfehlt auch die rechtliche Kategorie erfassende) Freisprüche enthält, wurden Sa***** R***** und Se***** R***** jeweils des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (I./1./ und II./1./) sowie des (richtig: zweier Verbrechen [vgl zuletzt 12 Os 98/21k]) Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 2, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB (I./2./ und II./2./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in S***** und an anderen Orten

I./ Sa***** R*****

1./ von 2007 bis zum 31. Mai 2009 anderen, die seiner Fürsorge und Obhut unterstanden und die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche oder seelische Qualen zugefügt, indem er seine Töchter San***** R*****, geboren am 28. Juli 1999, und D***** R*****, geboren am 16. Oktober 2000, mehrmals wöchentlich mit der Hand gegen Gesicht, Kopf, Arme und Bauch sowie mit Stecken und Gürteln auf die nackten Arme, Beine und Rücken schlug, wodurch die Genannten Striemen und Blutergüsse erlitten;

2./ vom 1. Juni 2009 bis Mai 2017 gegen andere Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Tat teils gegen unmündige Personen länger als ein Jahr hindurch begangen hat, indem er

a./ seine zu I./1./ genannten Töchter regelmäßig mehrmals monatlich mit der Hand gegen Gesicht, Kopf, Arme und Bauch sowie mit Stecken und Gürteln auf die nackten Arme, Beine und Rücken schlug, wodurch die Genannten Striemen und Blutergüsse erlitten;

b./ seine zu I./1./ genannten Töchter im Winter 2015 als Strafe ohne entsprechende warme Bekleidung (Jacke) nach draußen schickte, wo die Mädchen stundenlang ausharren mussten, wodurch beide in der Folge erkrankten;

c./ seine Tochter D***** R***** einmal am Hals hochhob und würgte;

d./ seine zu I./1./ genannten Töchter regelmäßig psychischer Gewalt aussetzte, indem er ihnen verbot, nachts aufs Klo zu gehen, wobei sie im eingenässten Bett bis zum nächsten Tag liegen bleiben mussten, sie als Strafe über Tage unter dem Wohnzimmertisch oder ohne Bettzeug schlafen ließ, insbesondere San***** mit Äußerungen wie „fette Sau, Arschloch, Arschgesicht, Quasimodo“ beschimpfte, San***** zwang, Erbrochenes zu essen und aus einem Müllsack getropfte Flüssigkeit aufzuschlecken und ihren Kopf mehrfach in einen Mülleimer steckte;

e./ seine zu I./1./ genannten Töchter mehrfach unter Vorhalt eines Baseballschlägers, verbunden teils mit Äußerungen wie: „ich schlag dir den Schädel ein“ mit dem Tod gefährlich bedrohte, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen;

f./ seine zu I./1./ genannten Töchter durch gefährliche Drohung zur Unterlassung einer Anzeigeerstattung bei der Polizei nötigte, indem er diese – als D***** R***** nach einem massiven körperlichen Übergriff auf San***** R***** im Begriff war, die Polizei anzurufen – durch die Äußerung „bis die Polizei kommt, wird eine von euch nicht mehr leben“ bedrohte;

g./ seine zu I./1./ genannten Töchter durch gefährliche Drohung zur Unterlassung der Mitteilung der erlebten Gewalt an Dritte nötigte, wobei er ihnen für diesen Fall weitere Prügel in Aussicht stellte;

II./ Se***** R*****

1./ von 2007 bis 31. Mai 2009 anderen, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche oder seelische Qualen zugefügt, indem sie ihre Töchter San***** R*****, geboren am 28. Juli 1999, und D***** R*****, geboren am 16. Oktober 2000, mehrmals wöchentlich mit der Hand gegen Gesicht, Kopf, Arme und Bauch sowie mit Stecken und Gürteln auf die nackten Arme, Beine und Rücken schlug, wodurch die Genannten Striemen und Blutergüsse erlitten;

2./ vom 1. Juni 2009 bis zum 31. Dezember 2011 und vom 1. Jänner 2013 bis Mai 2017 gegen andere Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei sie die Tat teils gegen unmündige Personen länger als ein Jahr hindurch begangen hat, indem sie ihre Töchter San***** R*****, geboren am 28. Juli 1999, und D***** R*****, geboren am 16. Oktober 2000,

a./ regelmäßig mehrmals monatlich mit der Hand gegen Gesicht, Kopf, Arme und Bauch sowie mit Stecken und Gürteln auf die nackten Arme, Beine und Rücken schlug, wodurch die Genannten Striemen und Blutergüsse erlitten;

b./ regelmäßig psychischer Gewalt aussetzte, wobei sie die zu I./2./b./ und c./ beschriebenen Tathandlungen des Sa***** R***** „zumindest mittrug“ und „den Mädchen keinen Schutz bot“.

[3] Mit Beschluss vom 23. Juni 2021, GZ G 343/2020‑14, hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung des von den Beschwerdeführern gestellten Antrags auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 107b StGB abgelehnt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen dieses Urteil richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die Sa***** R***** auf Z 4 und Se***** R***** auf Z 4, 10 und 11, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, stützen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Sa***** R*****:

[5] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung zweier Volksschullehrerinnen der Opfer zum Beweis dafür, dass „noch während des Volksschulalters keine äußerlichen Verletzungen, insbesondere Striemen oder blaue Flecken ersichtlich waren“ (ON 64 S 55 f), Verteidigungsrechte dieses Angeklagten nicht verletzt, weil nicht dargelegt wurde, inwiefern die als Zeugen beantragten Personen lückenlos Wahrnehmungen zum Fehlen von äußerlichen Verletzungen der Opfer gemacht haben sollten (vgl aber RIS‑Justiz RS0118444).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Se***** R*****:

[6] Mit ihrer inhaltsgleichen Argumentation kann die Verfahrensrüge (Z 4) auf die diesbezügliche Erledigung der Beschwerde des Angeklagten Sa***** R***** verwiesen werden.

[7] Die Subsumtionsrüge (Z 10) bringt vor, dass jener Teil des Tatzeitraums, zu dem die Opfer bereits mündig waren, für die Subsumtion der Tat nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB nicht in Betracht komme. Angesichts dessen, dass die Opfer über eine jeweils mehr als einjährige Zeitspanne ohnedies unmündig waren, macht die Rüge den Bezug zu entscheidenden Tatsachen nicht klar.

[8] Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichts (US 5 ff) wurden die Opfer von beiden Angeklagten am Rücken, am Bauch, an den Händen und an den Beinen geschlagen. Beide Elternteile schlugen ihre Töchter auch mit Gürteln an diesen Körperregionen. Immer dann, wenn die Kinder artikulierten, durch die Schläge Schmerzen zu haben, wurden sie von den Eltern aufgefordert, dies zu unterlassen, ansonsten sie noch mehr geschlagen wurden. Schläge mit der Hand wurden primär ins Gesicht versetzt. Diese körperlichen Übergriffe erfolgten regelmäßig, und zwar mehrmals pro Woche (auch im Zeitraum 1. Juni 2009 bis zum Erreichen der jeweiligen Mündigkeit der Mädchen). Durch die Schläge, insbesondere mit Stöcken und Gürteln, wurden die Mädchen fallweise in Form von Striemen und blauen Flecken am Körper verletzt.

[9] Indem die (gegen II./2./a./ gerichtete) Beschwerde diese Feststellungen dahin eigenständig interpretiert, dass es sich dabei um bloße Misshandlungen „ohne Verletzungstendenz“ handelt und die genannten Verletzungsfolgen nur den Schlägen mit Stecken und Gürteln zuordnet, verfehlt sie den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (vgl RIS‑Justiz RS0099810) und macht nicht deutlich, auf welchen für die Subsumtion entscheidenden Aspekt sie abzielt.

[10] Die weitere Beschwerde erschöpft sich in der bloßen Rechtsbehauptung, bei Beurteilung der „langen Dauer“ im Sinn des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB (idF BGBl I 2019/105) komme es auf eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung an (so RIS‑Justiz RS0132318 zu § 107b Abs 4 [erster Satz] zweiter Fall StGB aF), ohne diesen Ansatz methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten.

[11] Aufgrund der somit erfolglosen Bekämpfung der – für sich bereits den Schuldspruch II./2./ tragenden Konstatierungen zur (physischen) Gewaltausübung durch die Angeklagte (II./2./b./) erübrigt sich ein Eingehen auf die die Feststellungen zum Faktum II./2./a./ betreffenden Rechtsmittelausführungen.

[12] Mit der Kritik (nominell Z 11) am Unterbleiben einer außerordentlichen Strafmilderung (§ 41 StGB) wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (RIS‑Justiz RS0091303 [T4]).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[14] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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