OGH 12Os94/18t

OGH12Os94/18t23.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Nebojsa K***** wegen des Verbrechens des schweren, durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und Z 2 StGB (idF vor BGBl I 2015/112), AZ 36 Hv 24/15h des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00094.18T.0823.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache gegen Nebojsa K*****, AZ 36 Hv 24/15h des Landesgerichts St. Pölten, verletzt die ungeprüfte Zulassung eines zur Verteidigung des Angeklagten nicht befugten Rechtsanwaltsanwärters in der – somit ohne Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) – am 15. Juni 2015 durchgeführten – Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht § 61 Abs 1 Z 4 StPO.

Das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 15. Juni 2015, GZ 36 Hv 24/15h‑105, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.

 

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 15. Juni 2015, GZ 36 Hv 24/15h‑105, wurde – soweit hier wesentlich – Nebojsa K***** des Verbrechens des schweren, durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und Z 2 StGB (idF vor BGBl I 2015/112) schuldig erkannt.

In der der Urteilsfällung vorangegangen Hauptverhandlung am 15. Juni 2015 war nach dem Inhalt des – keine weiteren diesbezüglichen Ausführungen enthaltenden – Protokolls „Mag. A*****“ eingeschritten (ON 104). Dieser hatte den Angeklagten – gemeinsam mit dem durch Vollmacht (ON 90) ausgewiesenen Rechtsanwalt Mag. Robert S***** – schon in der Hauptverhandlung am 27. April 2015 verteidigt (ON 92).

Eine Überprüfung der Legitimation des Mag. A***** als Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) ist nach der Aktenlage nicht erfolgt.

Aufgrund einer Mitteilung der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4. April 2018 stellte sich heraus, dass Mag. Manfred A***** im fraglichen Zeitraum bei Mag. S***** als Rechtsanwaltsanwärter beschäftigt war, aber erst am 2. Mai 2017 die große Legitimiationsurkunde (§ 15 Abs 2 RAO) erhielt (ON 116).

Wie die Generalprokuratur in ihrer dazu erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der Vorgang der ungeprüften Zulassung des zur Verteidigung des Angeklagten nicht befugten Rechtsanwaltsanwärters in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 61 Abs 1 Z 4 StPO muss der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Schöffengericht durch einen Verteidiger vertreten sein. Das muss im hier interessierenden Zusammenhang eine zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft oder eine sonst gesetzlich zur Vertretung im Strafverfahren berechtigte Person (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) sein.

§ 15 Abs 1 RAO bestimmt, dass sich der Rechtsanwalt, wenn die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben ist, vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen kann. § 15 Abs 2 RAO erklärt jeden Rechtsanwaltsanwärter, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat, für subsitutionsberechtigt, darüber hinaus jene, denen für die Verwendung bei einem bestimmten Rechtsanwalt auf dessen Ansuchen vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer das Erfordernis der Rechtsanwaltsprüfung erlassen wurde.

Rechtsanwaltsanwärter, auf die diese Voraussetzungen nicht zutreffen, sind gemäß § 15 Abs 3 RAO lediglich in jenen Fällen vertretungsbefugt, in welchen die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben ist.

Gemäß § 15 Abs 4 RAO ist die Substitutionsbefugnis (§ 15 Abs 2 RAO) aus einer vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer auszustellenden sogenannten großen Legitimationsurkunde, und die Vertretungsbefugnis nach § 15 Abs 3 RAO aus einer sogenannten kleinen Legitimationsurkunde ersichtlich. Daraus folgt, dass die jeweilige Vertretungsbefugnis eines für einen Rechtsanwalt einschreitenden Rechtsanwaltsanwärters jederzeit durch Einsichtnahme in eine von diesem vorzuweisende entsprechende Legitimationsurkunde überprüft werden kann.

Aus der gesetzlichen Anordnung der notwendigen Verteidigung im hier vorliegenden Fall des § 61 Abs 1 Z 4 StPO als Prozessvoraussetzung folgt die Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung der erforderlichen Verteidigerlegitimation des jeweils einschreitenden Vertreters (vgl auch § 58 Abs 2 StPO).

Dieser Verpflichtung ist der Vorsitzende des Schöffengerichts – ungeachtet einer ebenso bestehenden Verpflichtung des einschreitenden Rechtsanwaltsanwärters, eine Vertretung des Angeklagten ohne erforderliche Substitutionsberechtigung zu unterlassen (§ 4 DSt; vgl RIS‑Justiz RS0055214) – nicht nachgekommen.

Durch die ungeprüfte Zulassung eines zur Verteidigung des Angeklagten nicht gemäß § 15 Abs 2 RAO befugten Rechtsanwaltsanwärters in der somit ohne Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht wurde daher § 61 Abs 1 Z 4 StPO verletzt (vgl auch § 281 Abs 1 Z 1a StPO; RIS‑Justiz RS0097281; Schroll/Schillhammer , Rechtsmittel in Strafsachen 2 Rz 95).

Da ein aus der aufgezeigten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für den Verurteilten nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO; vgl erneut RIS‑Justiz RS0097281).

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