Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Reinhard L***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Danach hat er in W*****, F***** und anderen Orten
I./ im Juli 2007 mit einer unmündigen Person, und zwar dem am 18. August 1996 geborenen Jan B*****, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er dessen bekleideten Penis in den Mund nahm und an ihm den Oralverkehr ausführte;
II./ außer dem Fall des § 206 Abs 1 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person unternommen, und zwar:
1./ ab dem Jahr 2005 bis zum 22. September 2011 zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten, jedoch wiederholt in jedenfalls mehr als zehn Übergriffen, an dem am 22. September 1997 geborenen Noah B*****, indem er dessen Penis über und unter der Bekleidung intensiv betastete, diesen in die Hand nahm und daran Masturbationsbewegungen teils bis zum Samenerguss ausführte;
2./ ab dem Jahr 2005 bis zum 18. August 2010 zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren und zu dem zu Punkt I./ dargestellten Faktum außer zeitlicher Konnexität stehenden Zeitpunkten, jedoch wiederholt in zumindest 30 Übergriffen, an dem am 18. August 1996 geborenen Jan B*****, indem er dessen Penis über und unter der Kleidung intensiv betastete, diesen in die Hand nahm und daran Masturbationsbewegungen teils bis zum Samenerguss ausführte;
3./ zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Sommer 2006 an dem am 27. Oktober 1992 geborenen Nicolas B*****, indem er dessen Penis sowohl über als auch unter der Kleidung intensiv betastete;
III./ in der Zeit von 2005 bis Frühjahr 2012 in unerhobener Anzahl der Fälle durch die zu Punkt I./ und II./1./ bis 3./ angeführten Taten sowie überdies dadurch, dass er am 25. Juli 2007 den Penis des Nicolas B***** in den Mund nahm und an Nicolas B***** den Oralverkehr durchführte, mit einer minderjährigen Person, und zwar dem am 27. Oktober 1992 geborenen Nicolas B*****, dem am 18. August 1996 geborenen Jan B***** und dem am 22. September 1997 geborenen Noah B*****, die seiner Aufsicht unterstanden, jeweils unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Hingegen wurde Reinhard L***** von dem wider ihn erhobenen Anklagevorwurf, er habe in W*****, F***** und anderen Orten
A./ eine wehrlose Person oder eine Person, die wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, die Bedeutung dieses Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, und zwar
1./ zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Winter 2009/2010 und zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2010 den Nicolas B*****, indem er in beiden Fällen jeweils den Penis des Genannten, während dieser schlief, in den Mund nahm und an diesem den Oralverkehr teils bis zum Samenerguss durchführte,
2./ zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im August 2010 den Alexander P*****, indem er den Penis des Genannten, während dieser schlief, unter der Kleidung intensiv betastete,
3./ zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Frühjahr 2012 den Jan B*****, indem er den Penis des Genannten, während dieser schlief, unter der Kleidung intensiv betastete,
B./ in der Zeit von 2005 bis Frühjahr 2012 durch die zu A./1./ bis 3./ angeführten Taten mit einer minderjährigen Person, und zwar dem am 27. Oktober 1992 geborenen Nicolas B*****, dem am 18. August 1996 geborenen Jan B***** und dem am 11. März 1996 geborenen Alexander P*****, die seiner Aufsicht unterstanden, jeweils unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen, geschlechtliche Handlungen vorgenommen,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Freispruch richtet die Staatsanwaltschaft Innsbruck ihre aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, während der Angeklagte Reinhard L***** den Schuldspruch I./ mit Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO bekämpft.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck:
Dem Vorwurf der fehlenden und offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Erstgericht die Urteilskonstatierungen, wonach nicht festgestellt werden könne, dass der Angeklagte es auch nur ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, den Schlaf seines jeweiligen Opfers auszunutzen, um an ihm die geschlechtlichen Handlungen vorzunehmen (US 6 erster und fünfter Absatz) unter Hinweis auf die für glaubwürdig erachtete Verantwortung des Angeklagten, dass er den Buben etwas Gutes tun wollte, weshalb er für sich ausschließe, dass er es machen wollte, wenn sie geschlafen hätten, und unter Berücksichtigung der Vielzahl der Übergriffe, die ein Ausnützen des Schlafs der Burschen in wenigen Einzelfällen aus Sicht des Angeklagten gar nicht erforderlich erscheinen ließen (US 9 f), ohne Verstoß gegen die Gesetze folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze begründet.
Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) steht die dargestellte Erwägung zur Verantwortung des Angeklagten auch nicht in innerem Widerspruch zur Urteilsannahme, wonach es der Angeklagte ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass die Burschen noch schliefen, als er mit den sexuellen Handlungen begann (US 6), setzt doch ein Missbrauch im Sinne des § 205 Abs 1 StGB voraus, dass der Täter mit dem Vorsatz handelt, die Hilflosigkeit des Opfers während der geschlechtlichen Handlung in einer gegen dessen Interessen gerichteten Weise auszunützen (vgl Philipp in WK2 § 205 Rz 11).
Im Ergebnis wendet sich die Staatsanwaltschaft mit eigenen Auffassungen und Erwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.
Deren Nichtigkeitsbeschwerde war demnach zu verwerfen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Reinhard L*****:
Der die rechtliche Unterstellung der zu I./ beschriebenen Tathandlung unter den Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB fordernden Subsumtionsrüge (Z 10) zuwider stellt die Durchführung des Oralverkehrs durch das In-den-Mund-nehmen des Penis des mit Boxershorts und Trainingshose bekleideten Opfers durch den Angeklagten eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung im Sinne des § 206 Abs 1 StGB dar:
Unter geschlechtlichen Handlungen, die dem Beischlaf gleichzusetzen, also nach dem allgemeinen Verständnis in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen einem solchen vergleichbar sind, ist „jede auf Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichtete Form einer oralen, vaginalen oder analen Penetration“ zu verstehen. Der Tatbestand des § 206 StGB ist nicht nur dann erfüllt, wenn der Penis des Täters in das Opfer eindringt, sondern auch bei der umgekehrten Konstellation verwirklicht (11 Os 91/11h mwN).
Es kommt nicht darauf an, ob die Tathandlung der geschlechtlichen Befriedigung beider Partner dient; durch die Gleichstellung von Beischlaf und beischlafsähnlichen Sexualakten soll vielmehr der vergleichbaren Intensität und sexuellen Inanspruchnahme des Opfers und der Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung sowie dem Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung Rechnung getragen werden (RIS-Justiz RS0115232). Ein Mundverkehr ist demnach strafrechtlich wie ein Beischlaf zu behandeln und diese Form der geschlechtlichen Betätigung als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung zu werten (RIS-Justiz RS0094905).
Für die Abgrenzung zwischen der dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung im Sinne des § 206 StGB und der geschlechtlichen Handlung im Sinne des § 207 StGB sind primär äußere Kriterien wie Ähnlichkeit mit einem Geschlechtsverkehr in der Vornahme der Handlung (Involvierung eines primären Geschlechtsteils, geschlechtsverkehrsähnliche Bewegungen) und in der Intensität der Inanspruchnahme der Sexualsphäre des Opfers heranzuziehen. Die Intensität dieser Involvierung, die einem Beischlaf ähnlich sein muss, ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der geschlechtlichen Handlung von Täter- und Opferseite her. Die äußere Tatseite muss dem sozialen Bedeutungsgehalt eines Beischlafs entsprechen (RIS-Justiz RS0094905 [T26]).
Ausgehend von der Urteilskonstatierung, wonach der Angeklagte den Penis des zu diesem Zeitpunkt mit einer Jogginghose und Boxershorts bekleideten Jan B***** in den Mund nahm und am Buben einen Oralverkehr durchführte (US 5), ist daher sowohl das Erfordernis der Involvierung des primären Geschlechtsteils als auch der Intensität der Inanspruchnahme der Sexualsphäre des Opfers, die durch das In-den-Mund-nehmen des - wenn auch nicht nackten - Penis jener eines Beischlafs ähnlich ist, erfüllt. Die äußere Tatseite entspricht ohne Unterschied, ob der in den Mund genommene Penis nackt war oder sich (wie hier) unter einer Kleidungsschicht - die nach den Feststellungen dessen In-den-Mund-nehmen jedoch nicht hinderte - oder auch einem Präservativ befand, dem sozialen Bedeutungsgehalt eines Beischlafs.
Die rechtliche Unterstellung der zu I./ beschriebenen Tathandlung unter § 206 Abs 1 StGB durch das Erstgericht ist demgemäß nicht zu beanstanden.
Auch die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht sprach über den Angeklagten unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 206 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren aus. Bei der Strafzumessung wertete es das Zusammentreffen zahlreicher, zum Teil gleichartiger Verbrechen und Vergehen zum Nachteil dreier Opfer sowie den langen Tatzeitraum als erschwerend, als mildernd demgegenüber den bisher ordentlichen Lebenswandel, die Tatsache, dass die Taten mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten in auffälligem Widerspruch stehen, das weitestgehende Geständnis und das Alter „teilweise unter 21 Jahren“.
Während die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der Freiheitsstrafe anstrebt, begehrt der Angeklagte deren Reduktion und die Gewährung teilbedingter Strafnachsicht.
Unter Abwägung aller Strafzumessungsaspekte sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) entspricht die vom Erstgericht ausgemessene Freiheitsstrafe von drei Jahren dem beträchtlichen Handlungsunwert der Taten und ist täteradäquat.
Eine Anwendung des § 43a Abs 4 StGB scheiterte mit Blick auf die insgesamt mehr als vierzig Angriffe.
Demnach war auch den Berufungen ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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