European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00006.21F.0325.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ameer Ala***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der zu den Schuldsprüchen A./ und B./ jeweils unterbliebenen Annahme der Privilegierung nach § 142 Abs 2 StGB, demzufolge auch in den die Angeklagten Aiham D*****, Samir Al*****, Mohammad A*****, Ameer Ala***** betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden werden der Angeklagte Aiham D***** und der Angeklagte Mohammad A***** – soweit sich dessen Nichtigkeitsbeschwerde auf den von der Aufhebung betroffenen Teil des Urteils bezieht – sowie die Angeklagten Aiham D*****, Mohammad A***** und Ameer Ala***** mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mohammad A***** und jene des Angeklagten Ameer Ala***** im Übrigen werden zurückgewiesen.
Den Angeklagten Mohammad A***** und Ameer Ala***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – Aiham D*****, Mohammad A***** und Ameer Ala***** jeweils „des Verbrechens“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0130302) des Raubes nach § 142 Abs 1 (zu ergänzen: § 15) StGB (A./) sowie Mohammad A***** eines weiteren Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (B./, vgl aber erneut RIS‑Justiz RS0130302) schuldig erkannt.
[2] Danach haben mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz
A./ Aiham D*****, Samir Al*****, Mohammad A***** und Ameer Ala***** in einverständlichem Zusammenwirken mit einem gesondert verfolgten Mittäter am 30. November 2019 in I***** Patrick L*****, Pascal B*****, Andreas P***** und Tiziano C***** fremde bewegliche Sachen, nämlich insgesamt 37 Euro Bargeld, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) und mit Gewalt weggenommen und wegzunehmen versucht, indem sie sich als Gruppe um die Opfer bedrohlich positionierten, die Opfer durchsuchten, die Herausgabe der Geldtaschen und des Geldes verlangten, Samir Al***** dem Patrick L***** in die Tasche griff, ihn am Arm festhielt und dessen Geldtasche aus dessen Jacke zog, während Tiziano C***** von den Mitangeklagten festgehalten wurde und ihm Aiham D***** die Geldtasche aus der Hand riss, wobei die Tat betreffend Andreas P***** beim Versuch geblieben ist;
B./ Samir Al***** und Mohammad A***** am 14. Dezember 2019 in W***** in einverständlichem Zusammenwirken Lukas K*****, Jonas M*****, Nico G***** und Valerio Cr***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in der Höhe von insgesamt 65 Euro, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) abgenötigt, indem sie die Opfer durchsuchten, sie aufforderten, ihre Geldtaschen herauszugeben, daraus das Bargeld entnahmen und dabei äußerten, dass sie auch ein Messer dabei hätten.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die Aiham D***** auf Z 5a, Mohammad A***** auf Z 5 und 5a und Ameer Ala***** auf Z 5, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, stützen.
[4] Zum Schuldspruch A./
[5] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) des Angeklagten Ameer Ala***** bezieht sich die gegen die Feststellung, dass dieser das Opfer C***** an den Oberarmen gepackt und festgehalten hat (US 11), gerichtete Kritik auf keinen entscheidenden Umstand. Denn die Tatrichter gingen von einer Begehung des Raubes auch durch (konkludente) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben aus (vgl US 3, 10 f, 18, 24: „bedrohliche Positionierung“ bzw „Umzingelung“ der Opfer).
[6] Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ameer Ala***** bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[7] Nach den weiteren wesentlichen Feststellungen leide das Opfer Andreas P***** nach wie vor unter den Folgen des massiven Übergriffs der Angeklagten in Form starker psychischer Ängste, was ihn sogar an einer Teilnahme an der Hauptverhandlung hinderte (US 11). Beweiswürdigend führten die Tatrichter dazu aus, dass die Mutter des Opfers ersucht habe, von einer Aussage ihres Sohnes in der Hauptverhandlung abzusehen, weil dieser ihr gegenüber starke Ängste geäußert habe und die Angeklagten nicht mehr sehen möchte (US 18). In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht daher die Voraussetzungen der Privilegierung nach § 142 Abs 2 StGB.
[8] Gegen diese Urteilsannahmen wendet die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) des Angeklagten Ameer Ala***** zu Recht ein, der Schöffensenat habe sich nicht mit der (am 17. Jänner 2020 im Ermittlungsverfahren, somit rund eineinhalb Monate nach der Tat getätigten) Aussage des Andreas P***** auseinandergesetzt, wonach er „durch die Tat nicht verletzt“ worden sei und man die „Polizei deshalb nicht gerufen habe“, weil „wir es nicht tragisch gefunden“ haben (ON 14 S 71). Einer Erörterung dieses – die getroffenen Feststellungen zu den Tatfolgen (gerade im Hinblick auf den zeitlichen Abstand zur Tat) in Frage stellenden – Verfahrensergebnisses hätte es umso mehr bedurft, als die Konstatierung nicht unbedeutender psychischer Folgen nicht auf Basis von Angaben des Opfers selbst, sondern einzig einer schriftlichen Mitteilung einer dritten Person (hier: der Mutter) erfolgt ist.
[9] Dieser Begründungsmangel macht – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Schuldspruchs A./ im Umfang der Nichtannahme der Privilegierung nach § 142 Abs 2 StGB unumgänglich (§ 285e StPO). Dieser Umstand kommt auch den Angeklagten Aiham D*****, Samir Al***** und Mohammad A***** zustatten (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO). Es war daher auch insoweit mit Urteilskassation vorzugehen.
[10] Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die darauf bezogene Argumentation der Nichtigkeitsbeschwerden. Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden waren daher der Angeklagte Aiham D***** und der Angeklagte Mohammad A***** – soweit sich dessen Nichtigkeitsbeschwerde auf den von der Aufhebung betroffenen Teil des Urteils bezieht – auf diese Entscheidung zu verweisen.
[11] Zum Schuldspruch B./
[12] Dem vom Angeklagten Mohammad A***** erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter die abschwächenden Angaben der Zeugen K***** und M***** zur Frage, ob dieser Angeklagte geäußert hatte, ein Messer dabei zu haben, ohnedies berücksichtigt (US 20).
[13] Soweit der Beschwerdeführer darüber spekuliert, dass die Angaben der Opfer in Bezug auf die Erwähnung eines Messers auch als eine bloße Vermutung verstanden werden könnten, bekämpft er bloß die gegenteilige Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
[14] Ob die Opfer von den Angeklagten Samir Al***** und Mohammad A***** gefragt wurden, ob sie Kokain dabei hätten, betrifft keinen entscheidenden Umstand, sodass der darauf bezogene Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) ins Leere geht.
[15] Auch insoweit ist daher Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten bereits bei der nichtöffentlichen Beratung die Folge (§ 285d Abs 1 StPO).
[16] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einer auch dem Schuldspruch B./ anhaftenden Nichtigkeit (Z 10) zum Nachteil der vorgenannten Angeklagten, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
[17] Den wesentlichen Urteilskonstatierungen zufolge forderte Samir Al***** zunächst alle vier Opfer auf, die Geldtaschen herauszugeben. Aufgrund der „bedrohlichen Situation“ übergab Nico G***** seine Geldtasche, aus welcher die Angeklagten 10 Euro Bargeld entnahmen. Sodann durchsuchten die Angeklagten das genannte Opfer und Valerio Cr***** und forderten die beiden auch auf, ihnen ihre Namen und Telefonnummern bekannt zu geben, „um sie noch weiter unter Druck zu setzen“. Anschließend durchsuchten die Angeklagten Lukas K***** und Jonas M***** und verlangten von beiden Opfern (abermals) die Herausgabe ihrer Geldtaschen. Zur Unterstreichung dieser Forderung erwähnte der Angeklagte A*****, dass er ein Messer dabei hätte. Aufgrund dieser Äußerung übergaben die Opfer ihre Geldtaschen, aus welchen die Angeklagten insgesamt 50 bis 55 Euro entnahmen (US 12 f).
[18] Da der Schöffensenat solcherart die Anwendung erheblicher Gewalt (in Bezug auf die Opfer G***** und Cr***** im Übrigen auch eine entsprechend qualifizierte Drohung im Sinn des § 142 Abs 1 StGB) nicht festgestellt hat, der Raub zudem an einer Sache geringen Werts (vgl RIS‑Justiz RS0120079) begangen wurde und das Urteil keine Aussage zu allfälligen (nicht unbedeutenden) Tatfolgen enthält, ist die (implizite) rechtliche Annahme, wonach den Angeklagten die Privilegierung des § 142 Abs 2 StGB nicht zustatten käme, unschlüssig (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 603), womit dem Schuldspruch B./ ein Rechtsfehler mangels Feststellungen anhaftet (vgl RIS‑Justiz RS0122332 [T11]).
[19] Auch insoweit war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – mit Urteilsaufhebung wie im Spruch ersichtlich vorzugehen.
[20] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten Mohammad A*****, Ameer Ala***** und Aiham D***** auf die Kassation der sie betreffenden Strafaussprüche zu verweisen.
[21] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegigen Maßnahmen ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 12).
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