Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß § 362 Abs 1 Z 1 StPO im außerordentlichen Weg die teilweise Wiederaufnahme des Strafverfahrens verfügt, das angefochtene Urteil - das im Übrigen unberührt bleibt - im zu Punkt 1. ergangenen Schuldspruch wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 (zweiter Fall) StGB aufgehoben und die Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens zum Alter der Monika A***** unter Berücksichtigung der Krankengeschichte und sonstiger Unterlagen der Geburtshilflich - gynäkologischen Universitätsklinik Graz betreffend die Niederkunft der Genannten am 1. Mai 2004 sowie der Aussagen der noch zeugenschaftlich zu vernehmenden Ärzte der bezeichneten Klinik über die anlässlich des Aufenthaltes der Kindesmutter von ihnen gemachten fachspezifischen Wahrnehmungen zu deren Alter angeordnet.
Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen Verfolgungsvorbehalt enthaltenden Urteil wurde Julian Manuel S***** „des Verbrechens" des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 (zweiter Fall) StGB (1) sowie der Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (2) und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 „Abs 1" und Abs 2 Z 4 StGB (3) schuldig erkannt.
Soweit angefochten hat er in Graz
1. von November 2002 bis April 2004 wiederholt mit der am 27. Oktober 1990 geborenen Monica A***** den Beischlaf unternommen, wobei die Tat eine Schwangerschaft der unmündigen Person zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Auf die allein gegen diesen Schuldspruch erhobene Nichtigkeitsbeschwerde einzugehen erübrigt sich, weil der Oberste Gerichtshof schon bei der vorläufigen Beratung über dieses Rechtsmittel die Voraussetzungen des § 362 Abs 1 Z 1 StPO für gegeben erachtet hat.
Die im Zusammenhang mit dem hier aktuellen Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB zentrale Frage betrifft das Alter des Tatopfers Monika A*****.
Die Zeugin deponierte (nicht nur im Vorverfahren) bis zur Hauptverhandlung am 4. November 2004 konform, ihr Geburtsdatum sei der 27. Oktober 1990 (im dominikanischen Reisepass der Zeugin und in deren Geburtsurkunde, ausgestellt vom Zentralstandesamt von Santo Domingo wird das Geburtsdatum jeweils mit 27. Oktober 1990 festgehalten, S 43, 51/I); sie habe seit ihrem zwölften Lebensjahr Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten gehabt.
Im Einklang damit stand zunächst die Verantwortung des Angeklagten, der am 11. Mai 2004 vor der Polizei angab, Monika Amparo-J***** vor cirka zehn Jahren kennengelernt zu haben, „als sie noch ein Kind war"; vor ca eineinhalb Jahren sei sie in seine Wohnung eingezogen, „seit damals hatten wir gemeinsamen Sex bzw Geschlechtsverkehr. Mir war bewusst, dass sie erst zwölf Jahre alt war" (S 133/I). Ungeachtet des Umstandes, dass der Angeklagte am 14. Mai 2004 im Jugendwohlfahrtsreferat der Stadt Graz ausführlich über die Strafbarkeit des von ihm eingestandenen Verhaltens und insbesondere auch über den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr instruiert wurde (ON 7), hielt er seine geständige Einlassung sowohl anlässlich seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter am 27. Mai 2004 (ON 9) als auch (bereits in Untersuchungshaft) anlässlich des Präsidentenverhörs (ON 39) aufrecht. Er änderte seine Verantwortung im November 2004, nachdem sein Verteidiger in einem schriftlichen Beweisantrag (ON 51) behauptete, dass Monika A***** „zum Tatzeitpunkt das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat, sohin bereits mündig war". Zum Beweis dafür wurden unter anderem Fotografien von dem Jahre 2002 vorgelegt, „aus welchen eindeutig ersichtlich ist, dass Monika A***** bereits im Jahr 2002 ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert hat ....". Ferner wurde vorgebracht, dass Clara Maria J*****, die unter anderem in der Geburtsurkunde der Monika A***** als deren Mutter angeführt ist, in Wahrheit die Tante der Minderjährigen sei, die ihre Nichte unter Verwendung falscher Dokumente im Wege der Familienzusammenführung nach Österreich geholt habe. Um einer Abschiebung wegen Angabe falscher personenbezogener Daten vorzubeugen seien diese aufrecht erhalten worden.
Im Gegensatz zu seiner bereits wiedergegebenen Verantwortung gab der Angeklagte in der Hauptverhandlung zu Protokoll, er kenne Monika A***** seit drei Jahren, sie sei am 30. Oktober 1987 geboren (S 471/II).
Monika A***** machte in der Hauptverhandlung mehrfach divergente Angaben zu ihrem Alter, gab zunächst an, sie sei „jetzt sechzehn Jahre alt", dann wieder, ihr Geburtstag sei „am 27. November 1987 oder so", ferner, sie erinnere sich nicht an ihr Geburtsdatum, deponierte allerdings in weiterer Folge wieder, ihr richtiges Geburtsdatum sei der 27. Oktober 1990. Anlässlich derselben Vernehmung erklärte die Zeugin auf Vorhalt ihrer widersprüchlichen Angaben und der Verantwortung des Angeklagten - mitunter nach minutenlangem Schweigen - keine Antwort zu geben bzw Angst vor ihren ehemaligen Landsleuten zu haben bzw dem Angeklagte helfen zu wollen; letztlich bezeichnete sie (abermals) den 27. November 1987 als ihr Geburtsdatum (S 489/II ff).
Die Zeugin Clara Maria J***** gab an, die Mutter der am 27. Oktober 1990 geborenen Monika A***** zu sein (S 493n/II), vermochte aber die Geburtsdaten ihrer anderen (acht) Kinder nicht zu nennen (S 493p/II). Von Zeugen wurde ferner bestätigt, dass Monika A***** im Dezember 2002 ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert habe.
Da durch die Berücksichtigung des Vorbringens im Enthaftungsantrag des Verteidigers vom 1. Dezember 2004 (ON 59), wonach „Recherchen" ergeben hätten, dass „die Freundin des Angeklagten mit richtigen Namen Judelka A***** heißt und am 27. November 1987 in der Dominikanischen Republik geboren ist" und ebenso durch die am 2. Dezember 2004 vorgelegte Geburtsurkunde, ausgestellt vom Zentralen Zivilstandesregister Santo Domingo, wonach am 16. Dezember 1987 ein Felipe A***** „meldete, dass am 27. November 1987 ein Mädchen namens Judelka A*****, Tochter des anmeldenden Herrn und der Frau M***** geboren wurde", die Verfahrensgrundlage gegenüber der Vorinstanz erweitert würde, das Nichtigkeitsverfahren aber lediglich der Überprüfung der Nichtigkeit des Urteils erster Instanz dient, war darauf nicht einzugehen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).
Im Übrigen kommt den bezeichneten Neuerungen insofern keine Beweisrelevanz zu, als daraus nicht abzuleiten ist, dass Judelka A***** mit Monika A***** ident und somit Mutter des am 1. Mai 2004 geborenen Kindes ist.
Mangels ausreichender Klärung der den Kern der Problematik des vorliegenden Falles bildenden Sachverhaltsgrundlage im Wege der Auslotung der zur Verfügung stehenden Beweisquellen durch den Schwurgerichtshof und insbesondere durch den Vorsitzenden (§§ 3, 232 Abs 2, 254, 302 StPO), wurde daher den Geschworenen der Wahrspruch erschwert. Wohl wäre es ebenso Sache des öffentlichen Anklägers (§ 3 StPO) und die des Verteidigers gewesen, auf eine solche Klärung durch entsprechende Anträge iS der aus dem Spruch ersichtlichen Anordnung hinzuwirken, doch vermag dieser Umstand nichts daran zu ändern, dass der Oberste Gerichtshof nach dem Gesagten gegen die dem Punkt 1. des angefochtenen Urteils zugrundeliegende, vom Wahrspruch der Geschworenen erfasste Annahme des Alters der Monika A***** erhebliche Bedenken hegt, die durch die - nach dazu gefestigter Judikatur der Anfechtung entzogene - Niederschrift der Geschworenen, die an Erwägungen für den Schuldspruch lapidar „Beweisverfahren" anführt (vgl dazu Philipp in WK-StPO § 331 Rz 7), nicht zerstreut werden. Diese Bedenken rechtfertigen die beschlossene Maßnahme nach § 362 Abs 1 StPO. Dadurch tritt die Sache in den Stand der Voruntersuchung (§§ 362 Abs 4, 359 Abs 1 StPO), weshalb sich ein Eingehen auf die Rechtsmittel des Angeklagten erübrigt (13 Os 140/77, 9 Os 79/84). Soweit im allenfalls zweiten Rechtsgang von Bedeutung, bleibt - entgegen der die Zuständigkeit eines Jugendgeschworenengerichtes anstrebenden Besetzungsrüge (Z 1) - auf die bisherige Judikatur zu verweisen: Wenn der Angeklagte die ihm angelasteten Straftaten teils vor, teils nach Erreichen der Volljährigkeit begangen hat und die Strafbemessung für diese nicht nur als Jugendstraftaten (§ 1 Z 3 JGG) zu beurteilenden strafbedrohten Handlungen gemäß § 28 StGB nach dem für das nach Eintritt der Volljährigkeit verübte Delikt vorzunehmen ist, findet weder die materiellrechtliche Vorschrift des § 5 Z 2 bis 4 JGG noch die die Besetzung der Geschworenenbank regelnde, nur in Jugendstrafsachen platzgreifende Bestimmung des § 28 Abs 1 und Abs 2 JGG Anwendung (12 Os 65/89, 12 Nds 28/90). Mangels inhaltlicher Änderung des JGG in der Zuständigkeitsregelung - vgl §§ 23, 27, JGG vor BGBl I 2001/19 - gilt dies auch für Taten, die teils vor, teils nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres begangen wurden (Jesionek JGG3 § 1 Rz 9). Denn weder aus dem Wortlaut des § 46a JGG noch aus den Gesetzesmaterialien dazu kann für den speziellen Fall der Begehung von Taten teils vor, teils nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres eine die Zuständigkeit des Jugendgerichtes begründende Regelung abgeleitet werden, wenn - wie hier (Schwängerung durch den bereits Erwachsenen) - die strafsatzbestimmende Tat nach Ende der durch das Gesetz begrenzten Zeit des Heranwachsens des Täters (die eine auf deren Besonderheiten abgestellte verfahrensrechtliche Bedachtnahme sinnvoll erscheinen lässt - Jesionek aaO § 46a Rz 1) begangen wurde (aM 14 Os 72/04 = EvBl 2005/38).
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