OGH 12Os60/21x

OGH12Os60/21x24.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pauritsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Milos S***** wegen mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung sowie über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 2. Dezember 2020, GZ 12 Hv 17/20h‑68, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00060.21X.0624.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Im zweiten Rechtsgang wurde Milos S***** unter Einbeziehung des rechtskräftig gewordenen Schuldspruchs des ersten Rechtsgangs (vgl dazu 12 Os 79/20i) mit Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 2. Dezember 2020, GZ 12 Hv 17/20h‑68, der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

[2] Der Angeklagte meldete gegen das im zweiten Rechtsgang gefällte Urteil innerhalb der Frist des § 284 Abs 1 StPO Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, ohne Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen (ON 69). Nach Zustellung der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger Mag. Slavisa Z***** am 10. Dezember 2020 (ERV‑Zustellnachweis im AB‑Bogen ON 1) teilte dieser dem Erstgericht mit Eingabe vom 15. Dezember 2020 mit, dass das Vollmachtsverhältnis „mit sofortiger Wirkung“ aufgelöst sei (ON 71). Am 16. Dezember 2020 beschloss die Vorsitzende die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 61 Abs 2 StPO (ON 1), welcher die angemeldeten Rechtsmittel– nachdem ihm neuerlich eine Urteilsausfertigung zugestellt worden war – schriftlich ausführte, wobei diese Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde beim Erstgericht am 22. Jänner 2021 elektronisch eingebracht wurde (ON 73).

[3] Mit Beschluss vom 25. März 2021 wies der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO als verspätet zurück (12 Os 21/21m).

[4] Nach Zustellung dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofs brachte der Angeklagte gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 364 StPO ein. Darin führt er aus, dass dem Verfahrenshilfeverteidiger bei der Zustellung der Urteilsausfertigung weder vom Landesgericht Eisenstadt noch vom Wahlverteidiger Mag. Z***** mitgeteilt wurde, dass die Urteilsausfertigung zuvor bereits diesem zugestellt worden war. Dem Verfahrenshilfeverteidiger könne daher betreffend die Versäumung der Frist kein Versehen vorgeworfen werden. Der Angeklagte hätte bei der Vollmachtsauflösung seines Wahlverteidigers ausdrücklich untersagt, weitere Prozesshandlungen für ihn zu setzen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Nach § 364 Abs 1 StPO ist einem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis (hier nach dem Antragsvorbringen Unkenntnis von der Urteilszustellung an den Wahlverteidiger während aufrechter Vollmacht) unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Die Strafprozessordnung macht insofern keinen Unterschied, ob ein zur Fristversäumnis führendes Versehen dem Angeklagten oder seinem Verteidiger, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt, unterlaufen ist. Dabei ist eine Wiedereinsetzung bei allen eigenen Fehlern des Verteidigers in der Handhabung des Fristenwesens in der Regel ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0101272 [T11]; Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 28).

[6] Losgelöst von der Frage nach der (behaupteten) Aufhebung der Handlungspflicht des (ehemaligen) Wahlverteidigers durch den Angeklagten trifft den Verfahrenshilfeverteidiger am Unterbleiben der rechtzeitigen Rechtsmittelausführung ein Versehen nicht bloß minderen Grades iSd § 364 Abs 1 Z 1 StPO ( Lewisch , WK‑StPO § 364 Rz 25), weil ihm die (hier) fristauslösende Zustellung des Urteils an den Wahlverteidiger noch vor Auflösung der Vollmacht (vgl 12 Os 21/21m) zufolge Übermittlung einer („gesamten“) Aktenkopie während aufrechter Frist am 28. Dezember 2020 zur Kenntnis gebracht wurde (ON 1 S 20). Der Verfahrenshilfeverteidiger, der im Verfahren bereits vor Einschreiten des (ehemaligen) Wahlverteidigers tätig war (ON 9), hat es daher verabsäumt, die Zustellung des Urteils an diesen während aufrechter Vollmacht zu überprüfen.

[7] Daher war insgesamt wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[8] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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