OGH 12Os57/96 (12Os58/96)

OGH12Os57/96 (12Os58/96)27.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Schindler, Dr. E.Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fostel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann L***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten, sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 28. Februar 1996, GZ 8 Vr 783/95-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen unbekämpft gebliebenen, bloß auf Subsumtionserwägungen gestützten und daher verfehlten Freispruch beinhaltenden Urteil wurde Johann L***** (1.) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und (2.) des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Demnach hat er in A***** und L***** die am 11. November 1977 geborene Klaudia U*****

1.) ab Juni 1995 bis 30. Oktober 1995 (ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes) mit Gewalt, nämlich durch Schläge, zur Duldung des Beischlafs genötigt;

2.) durch die zu Punkt 1. genannten Taten die mj.Tochter seiner Lebensgefährtin Hermine U***** zur Unzucht mißbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Soweit der Beschwerdeführer moniert (Z 3), daß die in § 221 Abs 1 StPO festgesetzte Vorbereitungsfrist nicht gewahrt wurde, weil dem Verteidiger ungeachtet eines darauf gerichteten (aus dem Akt allerdings nicht ersichtlichen) Antrages eine Ausfertigung der Anklageschrift nicht zugestellt wurde, genügt es ihm zu erwidern, daß die Vorbereitungsfrist, deren Beginn durch die Zustellung der Vorladung zur Hauptverhandlung an den Angeklagten (und nicht durch die Zustellung der Anklageschrift) in Gang gesetzt wird, nur diesem und nicht dem Verteidiger eingeräumt ist (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 221 ENr 9 ff).

Der weiters relevierte Umstand, der Zeuge D***** habe bereits vor seiner Vernehmung der Hauptverhandlung beigewohnt, stellt zwar einen Verstoß gegen § 241 Abs 1 StPO dar, bewirkt aber keine Nichtigkeit des Verfahrens.

Hingegen kommt der Verfahrensrüge (Z 4) des Angeklagten, der zum Faktum 1. eine freiwillige Mitwirkung der Zeugin Klaudia U***** am inkriminierten Geschlechtsverkehr behauptet und jedwede Gewaltanwendung bestritten hatte, im Ergebnis Berechtigung zu.

Das Schöffengericht stützte den Schuldspruch wegen Vergewaltigung vor allem auf die glaubwürdigen Angaben der Zeugin Klaudia U***** (US 5). Den Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung des Gutachtens der Urologischen Universitätsklinik zum Beweis dafür, daß er zur Durchführung eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs nicht in der Lage sei, vielmehr zu dessen Vollzug der einfühlsamen Unterstützung seiner Partnerin bedürfe, wiesen die Tatrichter, nachdem der der Hauptverhandlung beigezogene gerichtsmedizinische Sachverständige dazu keine Aussage treffen konnte und im gegebenen Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer Untersuchung des Beschwerdeführers in der urologischen Universitätsklinik hingewiesen hatte, mit der Begründung ab, daß Klaudia U***** das Glied des Angeklagten "in einen beischlafsfähigen Zustand versetzen mußte, wofür auch das mit der Zeugin gemäß § 162 a im Vorverfahren aufgenommene Protokoll spricht, wo sie angab, daß sie sein Glied streicheln mußte".

Damit wurden in der Tat die Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt.

Denn die Zeugin Klaudia U***** hat weder vor der Gendarmerie noch vor dem Untersuchungsrichter oder in der Hauptverhandlung auch nur sinngemäß Angaben des Inhalts gemacht, wie sie das Erstgericht als Grundlage seines Zwischenerkenntnisses heranzog. Daß demnach das Ergebnis der beantragten Begutachtung folgerichtig allenfalls ihre Glaubwürdigkeit in Ansehung der inkriminierten Nötigung zum Beischlaf überaus schwerwiegend zu beeinträchtigen geeignet wäre, ist evident. Durch die Ablehnung der dazu beantragten Beweisaufnahme mit der (dem erörterten Antrag eine falsche Zielrichtung unterstellenden und demzufolge das mit ihm angestrebte Beweisergebnis als möglich und richtig in den Kreis der beweiswürdigenden Erwägungen miteinbeziehenden) eingangs wiedergegebenen Begründung hat das Schöffengericht zum Nachteil des Angeklagten gegen den Grundsatz des Verbots einer vorgreifenden Beweiswürdigung verstoßen, dessen Beachtung durch das Wesen eines die Verteidigung (gleichwie die Strafverfolgung) sichernden Verfahrens geboten ist.

Im Ergebnis berechtigt ist aber auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a).

Das Erstgericht erkannte den Beschwerdeführer der durch Einsatz von Gewalt begangenen Vergewaltigung (für deren Verwirklichung unter anderem jede Art von Gewalt zur Überwindung eines tatsächlichen Widerstandes genügt) schuldig, stellte dazu zwar fest, daß er Klaudia U***** jeweils durch Schläge zum Beischlaf genötigt habe, nicht aber, ob durch die Gewaltanwendung der Widerstandswille des Opfers gebrochen oder in Form einer dem Beischlaf vorausgehenden, (nur) für den Fall anhaltender Weigerung fortwirkend weitere Gewaltanwendung in Aussicht stellenden, dem Gewalteinsatz somit inhärenten Drohung gebeugt werden sollte (vgl dazu die Angaben der Zeugin Klaudia U***** ON 30). Nur im letztgenannten Fall wäre nämlich Idealkonkurrenz des Verbrechens der Vergewaltigung mit dem Vergehen des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses möglich (Leukauf-Steininger Komm3 § 212 RN 23, EvBl 1996, 16; 12 Os 27/96). Damit ist aber eine abschließende rechtliche Beurteilung des zu 2. des Urteilsspruchs inkriminierten Sachverhaltes nicht möglich.

Demgemäß war schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedarf.

Da durch die Aufhebung des Strafausspruchs auch dem gleichzeitig mit dem Urteil verkündeten und ausgefertigten Widerrufsbeschluß (§ 494 a StPO) der Boden entzogen wird, war er in die kassatorische Entscheidung miteinzubeziehen.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft darauf zu verweisen.

Im zweiten Verfahrensgang wird das Erstgericht auch einen Beschluß über die Anrechnung der Vorhaft zu fassen haben.

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