OGH 12Os57/90

OGH12Os57/9018.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Oktober 1990 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Siegl als Schriftführer in der Strafsache gegen Herbert S*** wegen des Verbrechens nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 24.Jänner 1990, GZ 8 Vr 798/89-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten Herbert S*** und des Verteidigers Dr. Schaller zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 22.Februar 1924 geborene Kaufmann Herbert S*** wurde (auf Grund des stimmeneinhelligen Wahrspruchs der Geschwornen) des Verbrechens nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG schuldig erkannt. Darnach hat er sich ab Ende 1988 bis 13.April 1989 in Mürzzuschlag, Strem (Burgenland) und an anderen Orten auf eine andere als die in den §§ 3 a bis 3 f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, indem er mehr als 1.000 Exemplare des von ihm verfaßten Druckwerkes" Das Recht auf Wahrheit - Die Hintergründe des Falles Bronfmann - Waldheim" verbreitete, in welchem die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen gegen die Angehörigen des jüdischen Volkes in Form der planmäßigen Vernichtung in Konzentrationslagern unter Verwendung von Giftgas geleugnet und als lügenhafte Propaganda dargestellt werden.

Gemäß § 33 Abs. 1 MedienG wurde auf Einziehung der zur Verbreitung bestimmten (beschlagnahmten) Exemplare des verfahrensgegenständlichen Druckwerks erkannt.

Der Angeklagte bekämpft seinen Schuldspruch mit einer auf § 345 Abs. 1 Z 5, 8, 11 lit. a und 13 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher jedoch in keinem Punkt Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst trifft es der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider nicht zu, daß durch das ablehnende Zwischenerkenntnis über die in der Hauptverhandlung vom 24.Jänner 1990 (teils durch Wiederholung vorausgegangener schriftlicher Anträge und mit Bezugnahme auf einschlägige Veröffentlichungen) gestellten (S 266 ff/II) zahlreichen Beweisanträge eine entscheidungswesentliche Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten bewirkt worden wäre. Deren Zielsetzung beschränkte sich nämlich - nicht anders als jene der Vorlage von Bildmaterial über Gaskammern und Krematorien in Konzentrationslagern, dessen Nichtverwertung im Urteil die Beschwerde gleichfalls bemängelt - im Kern auf den unzulässigen Versuch, die der wissenschaftlich belegten herrschenden Geschichtsauffassung im Range zeitgeschichtlicher Notorietät (siehe etwa Brockhaus Enzyklopädie19, Stichwörter Gaskammer, Konzentrationslager) und der darauf aufbauenden oberstgerichtlichen Judikatur (siehe zB EvBl. 1980/149, 1979/154 und 1987/40) entsprechende historische Tatsache zu widerlegen, daß im Rahmen des nationalsozialistischen Regimes die planmäßige, Millionen von Opfern fordernde Massenvernichtung von Juden (auch in Gaskammern) im Sinn eines organisierten Völkermordes vollzogen wurde. Schon deshalb hatte das Beweisanbot des Angeklagten (das insbesondere auf die von einem Autor behaupteten alliierten Tendenzen zur Belastung des Kriegsgegners, auf anfängliche Unklarheiten über die Tötungsmethoden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern, auf langjährige publizistische Versuche vereinzelter Randpositionen, nationalsozialistische Vernichtungsmaßnahmen gegen Juden zu problematisieren, sowie auf vermeintliche Ungereimtheiten in Beweisquellen von allgemein anerkanntem Dokumentationswert Bezug nimmt und auf die Vernehmung der Zeugen Prof. Robert F*** und Josef "R%c über den angeblichen Standpunkt eines französischen Gerichtes, eine einschlägige historische Lagebeurteilung übersteige seine sachliche Kompetenz, auf Befragung des Fred L*** als "Sachverständigen" für Gaskammern, des Zeugen Josef G*** über seine filmische Bestandsaufnahme in Auschwitz, auf die Einholung von Gutachten aus den Fachgebieten der Chemie, der Physik, der "Gaskammertechnik", der Archeologie und der "Ausgrabungen" sowie auf die Beischaffung einer Vielzahl von Strafakten abzielt) insgesamt auf sich zu beruhen, ohne daß dadurch berechtigte Verteidigerinteressen hintangesetzt worden wären. Orientiert sich doch diese Antragstellung an der notorisch unhaltbaren Prämisse, daß die Erkenntnisse über Einrichtungen (auch Gaskammern) zur organisierten Massentötung von Menschen (vor allem) jüdischer Abstammung in nationalsozialistischen Konzentrationslagern auf bloßen Gerüchten beruhten. Daß selbst fundamentale Fakten weltweiten Geschichtsbewußtseins - wie die in Rede stehenden systematischen nationalsozialistischen Vernichtungspraktiken - in aus welchen Gründen immer einseitig gefärbten Marginalzonen zeitgeschichtlicher Betrachtungen angezweifelt werden, vermag historische Notorietät gegenüber vereinzelten, evident subjektiv ausgerichteten Relativierungstendenzen nicht in den Hintergrund zu drängen. Davon ausgehend bedeutet aber das Unterbleiben der beantragten Beweisaufnahmen auch keinen Verstoß gegen die - rechtsstaatliche Mindestgarantien statuierende - Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK, zumal das dem Angeklagten grundsätzlich zustehende Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken, nicht absoluter Natur ist, vielmehr von der (hier fehlenden) verfahrensaktuellen Erheblichkeit der angebotenen Beweismitteln abhängt (Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Rz 528).

Soweit die Instruktionsrüge (Z 8) eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung im Fehlen eines Hinweises darauf erblickt, daß die Unterstellung des Bezugstextes unter den Tatbestand des § 3 g Abs. 1 VerbotsG den Nachweis der tatsächlichen Existenz von Gaskammern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern voraussetze, weil wahrheitsgemäße Tatsachenbehauptungen dieses Delikt niemals verwirklichen könnten, setzt sie (wie schon die Verfahrensrüge) die aus den bereits dargelegten Erwägungen hier ausgeschlossene Möglichkeit eines gegenteiligen "Wahrheitsbeweises" voraus. Schon deshalb bedurfte es - ganz abgesehen davon, daß Gegenstand der Rechtsbelehrung nur rechtliche, nicht aber tatsächliche Umstände sein können - in der Rechtsbelehrung auch keines Eingehens auf die im vorliegenden Zusammenhang gebrauchte Terminologie des Angeklagten, welcher in Abweichung vom allgemeinen Begriffsverständnis zwischen "historischen Tatsachen" als Substrat politischer Propaganda und wahrheitsgetreuen historischen Fakten unterscheidet.

Der Einwand hinwieder, die Rechtsbelehrung enthalte ungeachtet der Verantwortung des Angeklagten, von der Nichtexistenz von Gaskammern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern überzeugt zu sein, keinen Hinweis auf den daraus ableitbaren Ausschluß jedweden deliktsspezifischen Vorsatzes, läßt die ohnedies auch diesen Gesichtspunkt einschließenden, detaillierten und zutreffenden Ausführungen der Rechtsbelehrung über die Vorsatzvoraussetzungen unberücksichtigt (Blätter 2 und 6 der Rechtsbelehrung). Zu dem von der Beschwerde in diesem Zusammenhang der Sache nach relevierten verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 13 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (RGBl. 1867/142; Art. 10 Abs. 1 MRK) genügt der Hinweis darauf, daß auch dem Verbotsgesetz Verfassungsrang zukommt, die freie Meinungsäußerung an die gesetzlichen Schranken gebunden ist und eine inhaltlich einen strafbaren Tatbestand verwirklichende Äußerung nicht dem Schutz des in Rede stehenden Grundrechts unterfällt (EvBl. 1972/238). In dieser Richtung gibt aber die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung ohnedies den gebotenen Aufschluß (Blatt 5).

Als nicht zielführend erweist sich schließlich auch die Rüge fehlender Belehrung darüber, daß niemand für die Bestreitung wahrer Tatsachen bestraft werden dürfe. Die für die (allein gestellte) anklagekonforme Hauptfrage maßgeblichen Umstände sind der Rechtsbelehrung in objektiver und subjektiver Hinsicht vollständig und zutreffend zu entnehmen. Tatsachen aber, die allein den konkreten Fall betreffen und sich erst aus dem Beweisverfahren (wie hier aus der Verantwortung des Beschwerdeführers) ergeben, können nicht Gegenstand der Rechtsbelehrung sein, sondern sind allenfalls in der (mündlichen) Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschwornen gemäß § 323 Abs. 2 StPO zu erörtern (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 14 und 15 zu § 345 Abs. 1 Z 8). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf der Grundlage der Verantwortung des Angeklagten auf einen Vorsatz ausschließenden Tatbildirrtum abstellt, genügt der Hinweis auf die allgemeine wie auch deliktsspezifische Instruktion der Geschwornen zum Vorsatzbegriff, aus der sich die vorsatzausschließenden Konsequenzen eines Irrtums über rechtserhebliche Tatsachen ergeben (Blätter 2, 3 und 6 der Rechtsbelehrung; Leukauf-Steininger, StGB2 RN 10 bis 12 zu § 7). Auch die Rechtsrüge (Z 11 a), die inkriminierte Veröffentlichung sei angesichts der grundsätzlichen Zulässigkeit der Kritik (auch) an zeitgeschichtlichen Behauptungen zur Tatbestandsverwirklichung nach § 3 g Abs. 1 VerbotsG nicht geeignet, ist nicht berechtigt. Die aus dem Vergleich mit anderen Deliktstypen abgeleitete Kritik an der Bestimmtheit des Tatbestandes, wonach § 3 g Abs. 1 VerbotsG nur im Fall der Förderung nationalsozialistischer Zielsetzungen durch "außerdem alle Merkmale eines im StGB oder in strafrechtlichen Nebengesetzen als Verbrechen bezeichnete" Handlungen zum Tragen komme, findet im Gesetz keine Deckung. Die in Rede stehende Norm pönalisiert vielmehr jede Betätigung im nationalsozialistischen Sinn, soweit sie nicht unter die Bestimmungen der §§ 3 a bis 3 f VerbotsG fällt. Nach insoweit gefestigter Rechtsprechung reicht ua jede unsachliche, einseitige und propagandistisch vorteilhafte Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen an sich zur Deliktsverwirklichung hin, wozu es (wie selbst die Beschwerde insoweit zutreffend einräumt) keines die Ideologie des Nationalsozialismus in ihrer Gesamtheit bejahenden Täterverhaltens bedarf (EvBl. 1987/40). Diese Merkmale treffen aber auf die verfahrensgegenständliche Broschüre eindeutig zu, welche unmißverständlich darauf ausgerichtet ist, in tendenziöser und teils polemischer Form fernab wissenschaftlicher Objektivität die planmäßige Vernichtung von Juden in nationalsozialistischen Konzentrationslagern (auch) unter Verwendung von Giftgas schlechthin zu leugnen und einschlägige Berichte und Forschungsergebnisse zu "lügenhafter Propaganda" zu degradieren. Die Subsumtion des - menschenrechtswidrige nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen massivster Art einseitig verharmlosenden - Inhalts des inkriminierten Druckwerks unter § 3 g Abs. 1 VerbotsG entspricht daher der in zahlreichen oberstgerichtlichen Entscheidungen in diesem Sinn wiedergegebenen Rechtslage (ua EvBl. 1972/238, 1979/154, 1980/149 und 1987/40).

Damit ist aber auch dem auf § 345 Abs. 1 Z 13 erster Fall StPO gestützten Einwand, das Einziehungserkenntnis gemäß § 33 Abs. 1 MedienG widerspreche mangels Tatbildmäßigkeit des Bezugstextes dem Gesetz, der Boden entzogen.

Die aus den dargelegten Erwägungen zur Gänze nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten gemäß § 3 g Abs. 1 erster Strafsatz VerbotsG unter Anwendung des § 41 (Abs. 1 Z 3) StGB eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, wovon gemäß §§ 43 (Abs. 1), 43 a Abs. 3 StGB ein Teil von neun Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dabei wertete es keinen Umstand als erschwerend, als mildernd hingegen die Unbescholtenheit, das Geständnis und das verhältnismäßig hohe Lebensalter des Angeklagten.

Diesen Strafausspruch bekämpfen beide Prozeßparteien mit Berufung. Während die Staatsanwaltschaft ihre Anträge auf Erhöhung des Strafausmaßes bzw., die bedingte Strafnachsicht zur Gänze auszuschalten oder zumindest einzuschränken, im wesentlichen mit der auch nach Verfahrensanhängigkeit fortgesetzten Verbreitung des inkriminierten Druckwerks im In- und Ausland in großer Stückzahl unter Ausrichtung auch auf jugendliche Zielgruppen begründet, strebt der Angeklagte unter Hinweis auf den seiner Meinung nach achtenswerten Beweggrund der Widerlegung vermeintlicher Falschbezichtigungen in Richtung Massenmord durch Giftgas eine so weitgehende Strafreduktion an, daß nach §§ 41 Abs. 1 Z 3, 37 Abs. 2 StGB die Verhängung einer Geldstrafe an Stelle einer Freiheitsstrafe sowie gemäß § 43 Abs. 1 StGB deren bedingte Nachsicht ermöglicht werden sollte.

Beiden Berufungen kommt im Ergebnis keine Berechtigung zu. Der Staatsanwaltschaft ist zwar darin beizupflichten, daß das bloße Bekenntnis des (im übrigen uneinsichtigen) Angeklagten, das inkriminierte Druckwerk verfaßt zu haben, nicht als reumütiges Geständnis bzw. wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung (§ 34 Z 17 StGB) zu beurteilen ist und daß die noch während der Anhängigkeit des vorliegenden Verfahrens entfalteten Verbreitungsinitiativen als erschwerend zu werten sind. Ungeachtet dessen bleibt bei der Beurteilung der Straffrage auch nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und sein vorgerücktes Alter von dominierender Bedeutung. Unter weiterer Berücksichtigung dessen, daß sich das die nationalsozialistische Gewaltherrschaft (mit den in Rede stehenden Auswüchsen) betreffende herrschende Geschichtsbild zur Notorietät gefestigt hat, welche in Verbindung mit der wachsenden zeitlichen Distanz zu den Anlaßereignissen die Gefährlichkeit einschlägiger Tathandlungen - so sich diese auf den hier aktuellen Umfang beschränken - auf einen begrenzten Rahmen reduziert, bedarf der mit unterschiedlichen Zielsetzungen bekämpfte Strafausspruch in keiner der beantragten Richtungen einer Korrektur.

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