OGH 12Os55/23i

OGH12Os55/23i22.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Mair in der Strafsache gegen *W* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 16. Dezember 2022, GZ 610 Hv 5/22w‑172, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00055.23I.0622.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, Urteil wurde *W* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I.) und des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (II.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I. am 11. Juli 2020 * S* zu töten versucht, indem er unter Anwendung erheblicher Gewalt mit einem Kantholz auf dessen Kopf einschlug, wodurch S* ein massives Trauma des Schädels in Form eines Mehrstückbruchs des Schädeldachs, von dem aus auch Bruchspalten bis an die Schädelbasis sowie die linke Augenhöhle verliefen, und weiters in Form einer Hirnrindenprellung im Bereich der Unterseite des rechten Stirnlappens, von Blutunterlaufungen zwischen den Hirnhäuten samt Luftübertritten in das Schädelinnere sowie eines Bruchs der seitlichen Wand des rechten Oberkiefers mit einem gering verschobenen Bruch des Keilbeinflügels und einer Bluterfüllung beider Kieferhöhlen erlitt, wobei es infolge der Hirnrindenprellung auch zu einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit gekommen war und sich das Opfer weiters durch den auf die Schläge folgenden Sturz einen Bruch des Außenknöchels im rechten Sprunggelenk und einen Abriss des vorderen Kreuzbands und einen Einriss des inneren Meniskus im rechten Knie zuzog;

II. am 4. November 2020 * K* am Körper verletzt und an der Gesundheit geschädigt, indem er ihm einen Faustschlag in das Gesicht versetzte, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung des K*, nämlich einen Trümmerbruch des Nasengerüsts, verbunden mit einer deutlichen Verschiebung der Nasensymmetrie im Sinne eines operationswürdigen Nasenbeinbruchs, sohin eine an sich schwere Verletzung, herbeiführte.

[3] Die Geschworenen bejahten die erste Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1.) und die zweite Hauptfrage nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (5.), verneinten hingegen die zur ersten Hauptfrage (alternativ gefasste) Zusatzfrage (3.) nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB), Putativnotwehr (§ 8 StGB) und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB analog). Eventualfragen nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB für den Fall der Verneinung der ersten Hauptfrage (2.) und nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 und 4 zweiter Satz erster Fall StGB für den Fall der Bejahung der Zusatzfrage zur ersten Hauptfrage (4.) blieben folgerichtig unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Zum Schuldspruch I.

[5] Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben von Eventualfragen nach dem Verbrechen des Totschlags (§§ 15, 76 StGB) und des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) sowie einer Zusatzfrage nach Notwehr zugunsten eines Dritten (§ 3 StGB).

[6] Gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge verlangt vom Beschwerdeführer deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Frage und jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, also zum Beispiel des die Eventual- oder Zusatzfrage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS‑Justiz RS0117447, RS0119417; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 23). In der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse vermögen eine Eventual- oder Zusatzfrage aber nur dann zu indizieren, wenn sie für die diesbezügliche Entscheidung der Geschworenen erheblich sind. Unter dem Aspekt prozessordnungskonformer Fragestellung sind sie somit relevant, wenn sie im schöffengerichtlichen Verfahren bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig wären (RIS‑Justiz RS0100396; Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 7 f und § 314 Rz 2 f; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 42).

[7] Mit dem Hinweis auf die Aussage der Zeugin * Z*, wonach der Angeklagte das „Staffelholz“ an sich gerissen, sich plötzlich umgedreht und mit voller Wucht gegen den Kopf des Opfers geschlagen habe (ON 2 S 12), und die (nicht mit Aktenfundstellen belegten – vgl aber RIS‑Justiz RS0119417 [T2]) Aussagen des Angeklagten sowie der Zeugen * F* und * L*, aus denen die Rüge auf eine „Verfolgung“ durch das Opfer und dessen Begleiter * R* schließt, bezeichnet sie aber keine derartigen für die Annahme einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tatzeit (vgl dazu RIS‑Justiz RS0092271, RS0092259, RS0092338) erheblichen Verfahrensergebnisse. Davon abgesehen hat der Angeklagte einen Tötungsvorsatz in Abrede gestellt (ON 171 S 71; vgl RIS‑Justiz RS0092113, RS0120766 [T5]) und käme im Fall eines der Sache nach behaupteten Handelns in Abwehr eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) Angriffs im asthenischen Affekt eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB nicht in Frage, weil § 3 Abs 2 StGB insofern die speziellere und weiterreichende Norm darstellt (RIS‑Justiz RS0132390; vgl Birklbauer in WK² StGB § 76 Rz 26). Den relevierten Umständen wurde in der Fragestellung in Ansehung eines gegen den Angeklagten selbst gerichteten (vermeintlichen oder tatsächlichen) Angriffs ohnehin Rechnung getragen (Zusatzfrage 3.; zu einem gegen F* gerichteten tatsächlichen oder vermeintlichen Angriff siehe im Folgenden).

[8] Indem die Beschwerde weiters die – einen auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung gerichteten Vorsatz bestreitende (ON 171 S 71) – Verantwortung des Angeklagten und ein (abermals ohne Nennung einer Aktenfundstelle wiedergegebenes) Sachverständigen-gutachten, wonach das Opfer „ungeheures Glück hatte“ und es „eine glückliche Fügung“ sei, dass es nicht gestorben sei (ON 171 S 62 ff), zur Begründung des Begehrens um eine Fragestellung in Richtung § 87 Abs 1 StGB ins Treffen führt, nennt sie ebenfalls kein konkretes Tatsachensubstrat, das eine solche Eventualfrage nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren würde.

[9] Schließlich vermag die Kritik an der Einschränkung (soweit nachvollziehbar) der Zusatzfrage in Richtung Notwehr (§ 3 Abs 1 erster Satz StGB) auf einen gegen den Angeklagten selbst gerichteten Angriff kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat zu benennen, das auch das Vorliegen eines Angriffs gegen einen anderen indiziert hätte (vgl zu § 11 StGB 13 Os 30/03). Denn der Verweis auf die Aussage des F*, wonach sie attackiert worden seien, ihn ein Schlag mit einer „Holzlatte“ nur knapp verfehlt habe und er ohne den Angeklagten ins Krankenhaus gekommen wäre (ON 171 S 51), gibt diese unvollständig und daher sinnentstellt wieder (vgl aber RIS‑Justiz RS0120766). Der Zeuge gab nämlich weiters an, dass der Angeklagte jener – von ihm namentlich gar nicht benannten – Person, die ihn (F*) attackiert habe, das Kantholz zunächst abgenommen habe und beide [damit ersichtlich auch das Opfer gemeint] noch gestanden seien, als sie die Tatörtlichkeit verlassen hätten (ON 171 S 52), und er (bezogen auf diesen Zeitpunkt) keine Wahrnehmung gemacht habe, dass jemand am Boden gelegen sei (ON 171 S 53 und 57). Vom Angeklagten selbst wurde im Übrigen ein Handeln in Abwehr eines gegen F* gerichteten Angriffs gar nicht behauptet.

Zum Schuldspruch II.

[10] Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider verfiel der Antrag auf Vernehmung des * Ke* als Zeugen zum Beweis dafür, dass sich das Opfer sekkant verhalten, dem Angeklagten alkoholische Getränke weggenommen und ihn provoziert habe (ON 161 S 97), zu Recht der Abweisung (ON 171 S 85), weil er sich nicht auf die Klärung einer für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage sowie die Sanktionsbefugnisgrenze erheblichen Tatsache bezog (RIS‑Justiz RS0116503).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 344 iVm § 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten folgt (§ 344 iVm § 285i StPO).

[12] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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