OGH 12Os39/06m

OGH12Os39/06m21.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer, in der Strafsache gegen Helmuth M***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 21. Dezember 2005, GZ 436 Hv 3/05x-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl, des Privatbeteiligtenvertreters Dr. Mittler, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Juraczka, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung gegen den Strafausspruch wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis dahin Folge gegeben, dass Helmuth M***** schuldig ist, der Privatbeteiligten Michaela L***** 6.000 Euro zu bezahlen. Mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen wird Michaela L***** auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Helmuth M***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Danach hat er in der Nacht zum 18. Juni 2005 in Wien Demir L***** durch einen Schuss aus einer Pistole Kaliber 9 mm absichtlich eine schwere Körperverletzung, nämlich einen Bauchschuss zugefügt, wobei die Tat den Tod des Demir L***** zur Folge hatte. Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach Mord gemäß § 75 StGB (A) verneint, die Eventualfrage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (1) hingegen bejaht. Folgerichtig unterblieb die Beantwortung weiterer Eventualfragen nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gemäß §§ 83 Abs 1, 86 StGB (2) und fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen gemäß § 81 Abs 1 Z 1 StGB (3).

Die gegen den Schuldspruch gerichtete, auf § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Fragenrüge (Z 6) moniert das Unterbleiben von „Zusatzfragen" (§ 313 StPO) nach Putativnotwehr gemäß § 8 StGB sowie nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand (selbst verschuldeter) voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (richtig: das Unterlassen einer Zusatzfrage in Richtung § 11 StGB und einer Eventualfrage gemäß § 314 Abs 1 StPO nach § 287 Abs 1 StGB - vgl Schindler, WK-StPO § 317 Rz 32; Mayerhofer, StPO5 § 314 E 73).

Zusatz- und/oder Eventualfragen sind unter anderem nur dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - werden sie als erwiesen angenommen - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden oder nach denen die angelastete Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele (WK-StPO § 313 Rz 6, § 314 Rz 1; Mayerhofer, StPO5 § 313 E 13 ff, § 314 E 16a ff).

Putativnotwehr gemäß § 8 StGB setzt begrifflich eine (Vorsatz-)Tat voraus, wobei diese nur deshalb nicht vorwerfbar ist, weil der Täter irrtümlich das Vorliegen einer sein Verhalten rechtfertigenden Notwehrsituation angenommen hat (EvBl 1994/64).

Nach seiner Verantwortung hat der Angeklagte, als Demir L***** auf ihn zugegangen ist, senkrecht in die Luft geschossen und ihn aufgefordert, stehen zu bleiben. Weil Demir L***** trotz des „Warnschusses" näher gekommen und nunmehr ca 1,5 m von ihm entfernt gewesen sei, habe er sich bedroht gefühlt und damit gerechnet, dass ihm der körperlich überlegene Demir L***** „eine gibt bzw eine auflegt". Danach habe er den Arm mit der Pistole gesenkt und Richtung Boden gehalten. Dabei „müsse er abgedrückt haben". Er habe Demir L***** lediglich erschrecken wollen, keinesfalls aber gezielt geschossen und ihn verletzen oder töten wollen (insb S 429 ff). Da diese Einlassung des Angeklagten jeden Verletzungs- und Tötungsvorsatz bestreitet und keine Darstellung enthält, wonach er einen vermeintlichen, gegen ihn gerichteten, einen Waffengebrauch rechtfertigenden, unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff des Demir L***** abgewehrt habe, bestand kein Anlass für die Stellung einer Zusatzfrage nach Putativnotwehr (vgl auch 13 Os 90/04). Davon abgesehen wäre selbst bei irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation der Schuss gegen den unbewaffneten Demir L***** in concreto nicht als notwendige Verteidigung und damit gerechtfertigte Notwehrhandlung zu werten gewesen (vgl Kienapfel/Höpfel AT11 Z 19 Rz 7).

Die Kritik am Unterbleiben einer (richtig:) Eventualfrage in Richtung § 287 Abs 1 StGB ist gleichfalls unberechtigt. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat sich der Angeklagte nicht mit Volltrunkenheit verantwortet, sondern im Verfahren angegeben, dass er am Tattag Schmerztabletten und „etliches mehr" (an Alkohol) konsumiert habe, jedoch zum Tatzeitpunkt bloß „leicht illuminiert" gewesen zu sein und sich nicht betrunken gefühlt zu haben (S 125, 159, 433 f). Zudem sprechen das ungetrübte Erinnerungsvermögen des Beschwerdeführers an den inkriminierten Geschehensablauf und sein Verhalten nach der Tat, insbesondere das Aufsuchen seiner im ersten Stock befindlichen Wohnung, der Anruf bei der Polizei und der Rettung sowie die anschließende Rückkehr zum Tatort (insb S 435) gegen eine Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit ausschließende volle Berauschung. Weil auch der Blutalkoholgehalt von 2,1 ‰ (bezogen auf den Zeitpunkt der Blutabnahme ca zwei Stunden nach der Tat - S 33,

207) nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB zur Tatzeit hindeutet, war die reklamierte Fragestellung nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung keineswegs indiziert. Auch die Instruktionsrüge (Z 8) versagt. Eine Belehrung über Rechtsbegriffe ist den Laienrichtern nur für tatsächlich gestellte Fragen zu erteilen. Da weder eine Zusatzfrage nach Putativnotwehr gemäß § 8 StGB noch eine Eventualfrage nach § 287 Abs 1 StGB an die Geschworenen gerichtet wurde, kann eine diesbezügliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung nicht geltend gemacht werden (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63; Mayrhofer, StPO5 § 345 Z 8 E 20; 13 Os 90/04).

Mit der unsubstanziierten Behauptung, „darüber hinaus wurde aus der Rechtsbelehrung das Zusammenspiel der vom Schwurgerichtshof gestellten Frage nicht hinlänglich deutlich", wird der vorgebliche Fehler in der schriftlichen Instruktion nicht vorschriftsgemäß konkretisiert (§§ 344, 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über Helmuth M***** nach dem zweiten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend die Begehung der Tat aus nichtigem Anlass, als mildernd hingegen das Tatsachengeständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel. Der Berufung des Angeklagten, welcher unter Anwendung des § 41 Abs 1 StGB eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter das gesetzliche Mindestmaß anstrebt, kommt keine Berechtigung zu. Die Berauschung des Angeklagten ist nicht als mildernd zu werten, weil die durch sie bewirkte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit jedenfalls durch den Vorwurf aufgehoben wird, den der Genuss des berauschenden Mittels den Umständen nach begründet, weil der Angeklagten nach seinen eigenen, bereits oben zitierten Angaben am Tag der Tat, an welchem Sommerhitze herrschte, neben Medikamenten auch nicht unbeträchtliche Mengen an Alkohol konsumiert hat. Auch der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 16 StGB liegt nicht vor, weil die Polizei unmittelbar nach der Tat auch von anderen Personen verständigt wurde, es für den Berufungswerber nicht leicht war, zu entfliehen und es aufgrund seiner Bekanntheit im Hause klar war, dass er nicht unentdeckt bleiben werde. Die Bezahlung eines Schmerzengeldbetrages von 5.000 Euro an die Gattin des Getöteten tritt als Milderungsgrund in Anbetracht der Tatfolgen bedeutungsmäßig in den Hintergrund.

Die Begehung der Tat aus nichtigem Anlass stellt zwar keine im Gesetz ausdrücklich normierten Erschwerungsgrund dar, unterstreicht jedoch den spezialpräventiven Aspekt der Sanktion, weil berücksichtigt werden muss, dass der Angeklagte die Tat überlegt begangen hat und ohne besonderen Grund bereits bewaffnet aus der Wohnung in den Hof ging. Dort hat er die Tatsache, dass sein Gegner unbewaffnet war, ausgenützt (§ 33 Z 7 StGB) und die Tat dann rücksichtslos ausgeführt (§ 32 Abs 3 StGB).

Daraus ergibt sich eine gravierende Schuld des Täters. Die vom Erstgericht an der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens orientierte Sanktion ist somit keineswegs überhöht. Zu ihrer Herabsetzung besteht kein Anlass.

Die Privatbeteiligte hat in der Hauptverhandlung ohne weitere Begründung und ohne Vorlage von entsprechenden Unterlagen den Zuspruch von 11.202,91 Euro an Begräbniskosten und von 10.000 Euro an Schmerzengeld (vorbehaltlich einer weiteren Ausdehnung) beantragt. Der Angeklagte und sein Verteidiger haben 3.000 Euro für das Begräbnis und 5.000 Euro für den Trauerschaden der Mutter sowie den Unterhaltsanspruch der Kinder anerkannt (S 455).

Das Geschworenengericht hat ohne jegliche Begründung die begehrten Beträge zur Gänze zugesprochen.

Im Berufungsverfahren hat die Privatbeteiligte die Begräbnis- und sonstige durch den Tod ihres Gatten entstandenen Kosten mit 11.202 Euro beziffert und hiezu ein Konvolut an Belegen vorgelegt. Hievon hat Helmuth M***** im Gerichtstag 6.000 Euro anerkannt. Da der Angeklagte nach der Hauptverhandlung 5.000 Euro bezahlt hat, die vorgelegten Unterlagen nicht zur Gänze zuorden- und überprüfbar sind, sowie die Schmerzensgeldansprüche nicht weiter begründet oder belegt wurden, war gemäß § 369 Abs 1 StPO im Hinblick auf das prozessuale Anerkenntnis (vgl Spenling, WK-StPO § 365 Rz 30 ff) der Betrag von 6.000 Euro zuzusprechen.

Im Übrigen war die Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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