OGH 13Os90/04

OGH13Os90/046.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matschegg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Reinhard A***** und Walter S***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 25. März 2004, GZ 10 Hv 34/04k-108, sowie über die Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss:

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden der Angeklagte Walter S***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (II.), der Angeklagte Reinhard A***** (vormals T*****) des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (III.) sowie beide des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (I.) schuldig erkannt. Danach haben sie

zu I. seit Jahren bis zuletzt am 29. August 2003, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt je eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, nämlich eine Pistole mit dem Kaliber 7,65, besessen und geführt; zu II. Walter S***** am 29. August 2003 in Spielfeld als unmittelbarer Täter den Günther So***** dadurch zu töten versucht, dass er auf ihn aus kurzer Distanz mehrere Schüsse aus der unter I. genannten Schusswaffe abgab;

zu III. Reinhard A***** am 29. August 2003 in Spielfeld im bewusst gemeinsamen Zusammenwirken als Mittäter mit Walter S***** dem Günther So***** durch das Abgeben mehrerer Schüsse aus der unter I. genannten Schusswaffe aus kurzer Distanz, wodurch es als Folge zumindest eines Schusses zu einem Unterarmdurchschuss links und zahlreichen Schnittverletzungen an der Außenseite des linken Oberarms kam, eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt.

Die Geschworenen haben die Hauptfragen 1 und 2 nach unbefugtem Besitz und Führen einer genehmigungspflichtigen Schusswaffe einstimmig bejaht. Die Hauptfragen 3 und 4 wegen versuchten Mordes wurden - jeweils einhellig - hinsichtlich Reinhard A***** (3) verneint und bezüglich Walter S***** (4) bejaht (womit eine Beantwortung der Eventualfrage 4.1 entfiel). Die Reinhard A***** betreffende Eventualfrage 3.1 wegen absichtlich schwerer Körperverletzung wurde - stimmeneinhellig - bejaht.

Dieses Urteil bekämpfen Walter S***** mit auf Z 4, 6, 8, 9 und 10a, Reinhard A***** mit auf Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Reinhard A*****:

Die Fragestellungsrüge (Z 6) kritisiert das Fehlen von Eventualfragen wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB, versuchter schwerer Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 1 Z 1 StGB, schwerer Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie gefährlicher Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB. Unabdingbare Voraussetzungen für die Stellung einer Eventualfrage ist jedoch das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, die einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und im Fall ihrer Bejahung die Basis für einen Schuldspruch (nicht den Freispruch - Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 314 E 23, 23a) wegen einer - anklagedifformen - gerichtlichen strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1), nicht jedoch von bloß abstrakt denkbaren Möglichkeiten und Mutmaßungen bzw nicht gewählte Verteidigungsvarianten können hingegen nicht Gegenstand einer Eventualfrage sein (vgl Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 314 E 19, 19a).

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung (siehe insbesondere S 221/III) damit verantwortet, dass er, als So***** mit seinem Pkw losfahren wollte, lediglich spontan drei- oder viermal auf den Boden geschossen hat, um sich wichtig zu machen und Walter S***** zu imponieren, und solcherart auf seinen Freispruch abzielend im Ergebnis bestritten, sich an irgendeiner strafbaren Handlung beteiligt zu haben.

Indem die Beschwerde die oben dargelegten Grundsätze zum für eine Fragestellung erforderlichen Tatsachenvorbringen missachtet, entbehrt sie einer prozessordnungsgemäßen Ausführung.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Walter S*****:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider bietet das - insoweit unberichtigt gebliebene - Hauptverhandlungsprotokoll (siehe S 254 iVm ON 123 und 126/III) nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine verbotene (§ 329 StPO) Anwesenheit des Vorsitzenden bei der Abstimmung der Geschworenen.

Ein Verstoß gegen die Bestimmung über die Fragestellung (Z 6) erblickt die Beschwerde in der Unterlassung von Zusatzfragen nach Notwehr (Nothilfe) und Putativnotwehr, obwohl die Verantwortung des Beschwerdeführers in Verbindung mit dem Spurensicherungsbericht Hinweise auf das Vorliegen dieser Strafausschließungsgründe enthalten hätte.

Voraussetzung für die Stellung von Zusatzfragen ist ein entsprechendes Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 6). Die in der Hauptverhandlung deponierte - allein maßgebliche - Verantwortung des Angeklagten S*****, der jeden Verletzungs- oder Tötungsvorsatz leugnet und angibt, lediglich zwei oder drei Schüsse über das Auto des So*****, in dem dieser bereits saß, abgefeuert zu haben, um "Ruhe zu machen" und diesen zum Verschwinden zu veranlassen (S 229 ff/III), enthält keine Darstellung der Abwehr eines (allenfalls bloß vermeintlichen) gegen ihn oder Reinhard A***** gerichteten, gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs. Dieses Fehlen eines für eine Fragestellung nach den genannten Strafausschließungsgründen erforderlichen Tatsachenvorbringen missachtend orientiert sich die Rüge nicht an den Prozessgesetzen.

Aus welchen Gründen das Auffinden einer Patronenhülse im Pkw des Tatopfers ein Indiz für das Vorliegen einer Notwehrsituation sein sollte, wird in der Beschwerde nicht näher dargetan, der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund damit nicht deutlich und bestimmt bezeichnet.

Auch die Instruktionsrüge (Z 8) geht fehl.

Da Zusatzfragen nach Rücktritt vom Versuch oder Notwehr bzw Putativnotwehr nicht gestellt wurden, kann eine diesbezügliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung nicht geltend gemacht werden (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63;

Mayerhofer/Hollaender, StPO5 § 345 Z 8 E 20).

Mit dem Einwand unzureichender Erläuterung der Beweisregeln, insbesondere des Zweifelsgrundsatzes, orientiert sich die Beschwerde nicht an der Bestimmung des § 321 Abs 2 StPO, wonach Gegenstand der Rechtsbelehrung nur Rechtsumstände sein können. Weshalb Beweisgrundsätze, wie insbesondere der Hinweis darauf, dass im Zweifelsfall für den Angeklagten zu entscheiden sei, bereits die (schriftliche) Rechtsbelehrung zu enthalten hätte und nicht erst Gegenstand der auf formelle Probleme (Beweisrecht) bezogenen Besprechung nach § 323 Abs 2 StPO sein sollen (Philipp, WK-StPO § 321 Rz 13 ff), unterlässt sie darzulegen.

Aus welchen Gründen eine Erörterung des Begriffs "excessus mandati" erforderlich gewesen wäre, lässt die Beschwerde ebenfalls unbegründet, sodass der Einwand einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich ist.

Die Rüge erachtet die Fragebeantwortung durch die Geschworenen bezüglich der subjektiven Tatseite als in sich widersprechend (Z 9), weil die diesen Angeklagten (S*****) betreffende Hauptfrage 4 nach Mordversuch bejaht, hinsichtlich des Angeklagten A***** hingegen im Wahrspruch (Eventualfrage 3.1) festgestellt wurde, dieser habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit ihm, Walter S*****, dem Günther So***** schwere Verletzungen absichtlich zugefügt. Da die Verletzungsabsicht einerseits und der Mordvorsatz andererseits auf einen unterschiedlichen Erfolg gerichtet seien, würden sie einander denknotwendig ausschließen.

Indem die Beschwerde jedoch § 13 StGB missachtet und als Folge dessen es unterlässt, aus dem Gesetz darzulegen, weswegen diese grundlegende Bestimmung hier nicht gelten soll, wonach bei mehreren Tatbeteiligten jeder nach seiner Schuld zu bestrafen ist (somit jeder insbesondere nur nach seinem Vorsatz haftet) und demnach - bei gemeinsam gewollter Abgabe mehrerer Schüsse gegen eine Person - beim Vergleich der Wahrsprüche (Ratz aaO Rz 70) in der Annahme eines Mordvorsatzes bei einem der Täter eines bloßen Verletzungsvorsatzes beim anderen Täter ein Widerspruch liegen soll, entbehrt sie einer prozessordnungsgemäßen Ausführung.

Soweit unter eigenständiger Interpretation des Wahrspruches zur Eventualfrage 3.1 verbunden mit eigenen Beweiswerterwägungen und hypothetischen Überlegungen zum Tathergang erschlossen wird, ein Tötungsvorsatz könne dem Beschwerdeführer nicht "rechtmäßig" vorgeworfen werden, wird ein Widerspruch in der Antwort der Geschworenen damit jedoch nicht aufgezeigt.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) versucht unter Hinweis auf einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Zeugenaussagen und andere Verfahrensergebnisse (insbesondere den Spurensicherungsbericht) verbunden mit eigenen beweiswürdigenden Überlegungen und hypothetischen Annahmen zum Tathergang einerseits eine Notwehrsituation zu konstruieren und andererseits den Tötungsvorsatz in Frage zu stellen. Sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen vermag sie damit aber nicht aufzuzeigen; in Wahrheit wird bloß in unzulässiger Weise der Versuch unternommen, die gemäß Art 91 Abs 2 B-VG ausschließlich den Laienrichtern zukommende Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen.

Die Frage, ob beide Angeklagte mehrere Schüsse abgefeuert haben, betrifft keine entscheidende Tatsache, sodass sich das diesbezügliche Vorbringen schon aus diesem Grund als nicht zielführend erweist. Nach dem Beschwerdeantrag ("das angefochtene Urteil aufzuheben") beider Angeklagten wird das Urteil zur Gänze bekämpft; sachbezogene Ausführungen finden sich jedoch nur zu den Schuldsprüchen II. bzw III. Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerden formell auch auf Punkt I. des Schuldspruches erstrecken, fehlt es an einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten waren daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), sodass über die Berufungen und die Beschwerde das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden hat (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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