Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. Oktober 1989, AZ 27 Bs 428/89, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 15 Abs. 5 MedienG.
Dieses Urteil wird aufgehoben und gemäß §§ 292, 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Die Berufung der Antragstellerin wird zurückgewiesen. Gemäß § 19 Abs. 3 MedienG, §§ 390 Abs. 1 letzter Satz, 390 a StPO fallen der Antragstellerin die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Die Frist zur Antragstellung auf nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 16 Abs. 1 MedienG beginnt mit 26.April 1990.
Text
Gründe:
In den beiden Ausgaben der Tageszeitung "K***" vom 12. und 26. Feber 1989 wurde jeweils im Rahmen der Kolumne "Menschlich gesehen - Kleines Wochen-Lexikon" folgender gleichlautender Text veröffentlicht:
" 'HTU-Info': Schon seit langem umstrittenes
offizielles Organ der Hochschülerschaft an der Technischen Universität Wien, in dem ganzseitig für die Opernballdemonstration geworben wurde und von dem sich die Österreichische Hochschülerschaft distanzierte. Vorsitzender der HTU ist der grün-alternative Bezirksrat Martin Margulies. Die HTU-'Telefon-Zeitung' 'anna' brüstet sich, die Drahtzieher der Opernball-Ausschreitungen zu kennen ..."
Die H*** an der Technischen Universität Wien
verlangte hierauf von der K*** Zeitungsverlag und Druckerei AG als Medieninhaberin die Veröffentlichung folgender Entgegnung:
"Sie schreiben in dem periodischen Druckwerk 'Kurier' vom 12.2.1989 sowie vom 26.2.1989 jeweils gleichlautend im Rahmen der Kolumne 'Menschlich gesehen' unter der Überschrift 'HTU-Info': 'Die HTU-'Telefon-Zeitung' 'anna' brüstet sich, die Drahtzieher der Opernball-Ausschreitungen zu kennen ...'
Diese Tatsachenmitteilung ist unrichtig bzw irreführend.
Die 'HTU-Telefonzeitung' 'anna' hat sich
niemals gebrüstet, die Drahtzieher der Opernballausschreitungen zu kennen, weil ihr diese gar nicht bekannt sind."
Als diesem Veröffentlichungsbegehren nicht entsprochen wurde, stellte die H*** an der Technischen Universität Wien beim Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag auf Veröffentlichung der Entgegnung gemäß § 14 Abs. 1 MedienG (ON 1). Die K*** Zeitungsverlag und Druckerei AG wendete dagegen ein, daß die begehrte Entgegnung ihrem Inhalte nach unwahr sei und legte zum Beweis dessen eine Kopie jenes Textes vor, der von der Telefonzeitung "anna" am 3.Feber 1989 (telefonisch) verbreitet worden war und auf den der K***-Artikel Bezug genommen hatte:
"A***, 03-02-89
Wien (phoenix-Pressedienst)
Zurückgenommen wurde die Meldung, daß ein mit Molotow-Cocktails beladener LKW beschlagnahmt wurde. Der Polizeipressesprecher gab zu, daß das Fahrzeug nur Kanister mit Dieselöl geladen hat(t)e. Das Fahrzeug war als mobile Lautsprecheranlage eingesetzt worden und vor Beginn der Auseinandersetzungen fernab vom Opern- und Karlsplatz sichergestellt worden.
In der gleichen Meldung heißt es, daß die 'Straßenschlacht' nicht von den Demonstrationsteilnehmern aus der Aegidigasse, den sogenannten 'Autonomen', sonder(n) von einer bisher unbekannten Gruppe initi(i)ert wurde.
Auch diese Mitteilung können wir nur bestätigen und das Geheimnis um die unbekannte Gruppe lüften, die diese Schlacht inszenierte. Diese Gruppe trägt einheitliche Kleidung, ist mit Helmen vermummt und schlägt mit Gummiknüppeln auf alles in ihrer Nähe ein, zu Boden gegangene müssen damit rechnen, von diesen Leuten auch noch mit Füßen getreten zu werden. Alleine sind sie in der Regel harmlos, mit Ausnahme einiger Psychopathen und Besoffskis, die sich dort eingeschlichen haben, treten sie aber als Gruppe oder Horde auf, fühlen sie sich stark. Da angeblich 2000 von ihnen gestern sich auf dem Karlsplatz/Opernplatz zusammenrotteten, und die Folgen bekannt sind, wollen wir Euch alle dringend warnen: Meidet in Zukunft zu nahen Kontakt mit diesen Leuten, auch wenn sie sich manchmal als 'Dein Freund und Helfer' titulieren.
Eine alte Bauernweisheit:
Keine Polizei, kein Krawall".
Nach Meinung der Antragsgegnerin könne diese Meldung von jedem vernünftigen Durchschnittsleser nur so aufgefaßt werden, daß die Polizei Initiator der Straßenschlacht gewesen sei und diese inszeniert habe. Dies decke sich mit der im K***-Artikel enthaltenen Bezeichnung "Drahtzieher der Opernball-Ausschreitungen", weshalb zu Recht berichtet worden sei, die HTU-Telefonzeitung "anna" hätte behauptet, die Initiatoren (= Drahtzieher) der Opernball-Ausschreitungen zu kennen (ON 2).
Dieser Textauslegung widerspricht die Antragstellerin in einer Gegenäußerung. Die Meldung sei sarkastisch, ironisch oder auch pointiert spitzfindig, jedenfalls aber nicht ernst gemeint gewesen und selbst bei extensivster (und ernsthaftester) Interpretation könne nicht geschlossen werden, daß der Telefonzeitung "anna" bzw deren Mitarbeitern die "Drahtzieher" der Ausschreitungen (in der Bedeutung von aus dem Hintergrund agierenden Personen) bekannt gewesen wären (ON 3).
Nach Verlesung dieser Eingaben samt Beilagen unter neuerlicher Darlegung der Standpunkte beider Parteien in der Hauptverhandlung, wobei die Authentizität der vorgelegten Kopie des verbreiteten Textes unbestritten blieb, wurde der Veröffentlichungsantrag mit Urteil vom 30.Mai 1989, GZ 9 b E Vr 4.090/89-6, abgewiesen. Das Landesgericht für Strafsachen Wien erachtete die von der Antragsgegnerin eingewendete Unwahrheit der Entgegnung (§ 11 Abs. 1 Z 4 MedienG) mit der Begründung als erwiesen, daß sich aus dem von der HTU-Telefonzeitung "anna" publizierten Text klar und deutlich ergebe, daß sie der Polizei die Initiative zur Straßenschlacht im Umkreis der Oper zugeschoben, diese somit zu deren Drahtzieher gemacht und sie demnach dem Inhalt ihrer Entgegnung zuwider gekannt hat (ON 6).
In ihrer dagegen erhobenen Berufung erklärt die Antragstellerin mit Rücksicht auf den Anfechtungsausschluß gemäß § 15 Abs. 5 MedienG zunächst, daß ihr Rechtsmittel nicht gegen die Beweiswürdigung in bezug auf den Einwand der Unwahrheit des Entgegnungsbegehrens, sondern gegen die Interpretation ihrer Meldung durch die erste Instanz gerichtet sei. Nach wie vor gehe sie davon aus, daß die Antragsgegnerin bewußt und vorsätzlich zu der jedem logischen Verständnis widersprechenden Interpretation der gegenständlichen Textstelle in der Telefonzeitung "anna" gekommen sei, um die H*** zu diskreditieren, indem ihr ein Naheverhältnis zu den fiktiven Drahtziehern der Ausschreitungen anläßlich der Opernball-Demonstration unterstellt werde. Nur daraus, daß das Erstgericht der Textstelle in der Telefonzeitung "anna" eine nach den Umständen denkunmögliche Bedeutung zugemessen hat, habe es die Unwahrheit des Entgegnungsbegehrens der Antragstellerin ableiten können (ON 9).
In Stattgebung der Berufung hob das Oberlandesgericht Wien mit seiner Entscheidung vom 23.Oktober 1989, AZ 27 Bs 428/89 (= ON 13), das angefochtene Urteil auf und ordnete die beantragte Veröffentlichung der Entgegnung an. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß der Text der Meldung in der Telefonzeitung "anna" für den informierten Leser erkennbar lediglich eine sarkastische und zynische Kritik an der Vorgangsweise der Polizei darstelle, die jedenfalls nicht geeignet war, beim Leser den Eindruck zu erwecken, die Polizei habe "diese Schlacht inszeniert" und sei daher als deren Drahtzieher anzusehen. Damit sei die Thesenbehauptung mit ihrer (gezielten oder zufälligen) Mißinterpretation des Aussageinhalts der Meldung in der Telefonzeitung "anna" als solche unrichtig, weswegen darauf in der von der Antragstellerin begehrten Form entgegnet werden durfte. In der Anfechtungsbeschränkung des § 15 Abs. 5 MedienG erblickte das Oberlandesgericht kein prozessuales Hindernis für eine meritorische Berufungsentscheidung, weil die "Beurteilung der Rechtsfrage" lediglich von der Feststellung des Bedeutungsinhaltes der der These zugrundeliegenden Publikation abhinge. Dieser Aussageinhalt sei nicht vom inneren Beweiswert der vom Erstgericht aufgenommenen und insoweit in einem fortgesetzten Verfahren nicht mehr ergänzungsfähigen Beweise abhängig, sondern "im Rahmen der Rechtsrüge" einer Überprüfung schon in diesem Verfahrensstadium zugänglich.
Rechtliche Beurteilung
Das Urteil des Berufungsgerichtes steht - wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach dem klaren Wortlaut des § 15 Abs. 5 MedienG kann ein Urteil, welches das nach Erhebung von Einwendungen durchzuführende befristete Hauptverfahren abschließt, nur insoweit mit Berufung angefochten werden, als es nicht die Entscheidung über die Einwendung der Unwahrheit der Entgegnung betrifft. Durch diese Regelung soll im Hinblick auf die Bestimmung des § 15 Abs. 4 MedienG - nach welcher im befristeten Hauptverfahren auch dann auf vollständige oder teilweise Veröffentlichung der Entgegnung erkannt werden kann, wenn die dazu angebotenen Beweise nicht fristgerecht durchführbar sind oder nicht ausreichen, die teilweise oder gänzliche Unwahrheit der Entgegnung als erwiesen anzunehmen - jede Überschneidung mit dem keiner Befristung unterliegenden und auch neue Beweise zulassenden fortgesetzten Verfahren nach § 16 MedienG vermieden werden (Hartmann-Rieder Komm zum MedienG Anm VII zu § 15). Hiebei macht es - lege non distinguente - keinen Unterschied, ob schon im befristeten Hauptverfahren die Unwahrheit der Entgegnung bewiesen werden konnte, ob der Einwand der Unwahrheit als widerlegt angesehen wurde (aaO Anm I zu § 16) und ob die hiezu aufgenommenen Beweise im fortgesetzten Verfahren überhaupt noch ergänzungsfähig sind, stellt doch das Gesetz keineswegs zwingend auf das Kriterium einer noch denkbaren zusätzlichen Beweisführung ab (arg § 16 Abs. 1 vorl Halbsatz MedienG: "... können neue Beweismittel vorgebracht werden."). Entscheidend für die Institution des fortgesetzten Verfahrens ist vielmehr, daß der bisweilen (aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen) komplexen Frage der Unwahrheit der Entgegnung im befristeten Verfahren unter Umständen nicht jener Argumentations- und Entscheidungsaufwand gewidmet werden kann, der ihr bedeutungsgemäß zu garantieren ist. Daß der medienrechtliche Begriff der "Unwahrheit" der Antithese (und damit korrelierend auch jener der These) nicht allein spezifisch faktische Kriterien berührt, ergibt sich schon aus dem Erfordernis, bei der Ermittlung der mit dem Erklärungsinhalt verbreiteten Tatsache (§ 9 Abs. 2 MedienG) auch auf das Verständnis des durchschnittlich informierten Lesers abzustellen (aaO Anm IV zu § 9), mit anderen Worten den Erklärungsinhalt nach dem Gesamteindruck des Durchschnittslesers zu interpretieren. Damit erweist sich aber, daß das fortgesetzte Verfahren auch auf die (vom Druck der in § 15 MedienG normierten Befristung befreite) bloße Aufbereitung reiner Auslegungsaspekte gerichtet sein kann. Die Anfechtung des Urteils im befristeten Hauptverfahren, soweit es über die Einwendung der Unwahrheit der Entgegnung abspricht, ist daher gemäß § 15 Abs. 5 MedienG generell, also selbst dann ausgeschlossen, wenn sich diese Frage schon im Wege der Feststellung des Bedeutungsinhalts eines an sich unbestrittenen Textes beantworten läßt. Durch die meritorische Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien, in der es sich auf die Frage der eingewendeten Unwahrheit der Entgegnung einließ (ON 13, S 50), wurde demnach das Gesetz in der Bestimmung des § 15 Abs. 5 MedienG verletzt und der Antragsgegnerin, der die Rechte des Beschuldigten zustehen (§ 14 Abs. 3 MedienG), infolge prozessual ungerechtfertigter Anordnung der unentgeltlichen Veröffentlichung der Entgegnung ein Nachteil zugefügt, der - soweit dies faktisch möglich war - nach der Ermessensnorm des § 292 letzter Satz StPO wie aus dem Spruch ersichtlich behoben werden mußte.
Einer förmlichen Aufhebung der auf dem verfehlten Berufungsurteil beruhenden Beschlüsse und Verfügungen bedurfte es nicht, weil es sich dabei um eine rechtslogische Folge der Kassierung der Entscheidung selbst handelt (EvBl 1984/147, 1987/114; LSK 1987/79 ua).
Zufolge § 14 Abs. 3 MedienG hat der Antragsteller die Rechte des Privatanklägers, wobei auch im übrigen für das Verfahren über einen Antrag nach § 14 Abs. 1 MedienG (soweit nichts anderes bestimmt ist) die Bestimmungen der Strafprozeßordnung für das Verfahren auf Grund einer Privatanklage dem Sinne nach gelten. Soweit ein Strafverfahren auf Begehren eines Privatanklägers stattgefunden hat, das auf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis beendigt wurde, ist dem Privatankläger der Ersatz aller infolge seines Einschreitens aufgelaufenen Kosten in der das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung aufzutragen. Demzufolge waren in erweiterter Auslegung des § 292 StPO (vgl 13 Os 113/88, 13 Os 18, 19/81 ua) der Antragstellerin auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen (§ 19 Abs. 3 MedienG, §§ 390 Abs. 1, 390 a StPO).
Schließlich war auszusprechen, daß die Frist zur Antragstellung auf nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 16 Abs. 1 MedienG mit dem heutigen Tag beginnt, um solcherart den Parteien die Möglichkeit zu eröffnen, eine abschließende gerichtliche Entscheidung über die Richtigkeit und Vollständigkeit der Entgegnung - deren Veröffentlichung nicht mehr ungeschehen gemacht werden konnte - samt allen daraus erfließenden rechtlichen Konsequenzen, insbesondere jenen, die sich aus der dann sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 16 Abs. 2 MedienG ergeben könnten, prozeßordnungsgemäß zu erwirken. Darauf ist der Antragsgegner mit seinem im Gerichtstag gestellten Begehren auf gerichtliche Ermächtigung zur Veröffentlichung des vorliegenden Urteils zu verweisen, für die es im gegebenen Rahmen an der gesetzlichen Grundlage fehlt, weil es dem Obersten Gerichtshof verwehrt war, über die materielle Berechtigung der veröffentlichten Entgegnung ein endgültiges Urteil zu fällen.
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