OGH 12Os32/11i

OGH12Os32/11i3.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kunst als Schriftführer in der Strafsache gegen Marko R***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. November 2010, GZ 39 Hv 199/07z-53, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer und des Verteidigers Dr. Hagele zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der zu I./ genannten Tat als Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Marko R***** hat durch die zu I./ angeführte Tat das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 begangen und wird hiefür sowie für das ihm nach dem aufrecht gebliebenen Schuldspruch weiterhin zur Last liegenden Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15 Abs 1, 207 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 207 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Imst vom 2. Jänner 2008, GZ 6 U 112/07i-9, sowie unter Anwendung des § 40 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von vierzehn Monaten verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Marko R***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I./) und des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 6. Jänner 2006 in A*****

I./ außer den Fällen des § 201 StGB die am 18. September 1995 geborene, 10-jährige und im Zweifel noch nicht in der Pubertät befindliche Amelia W***** mit Gewalt, indem er sie zu Boden stieß, sie am Boden festhielt, mit seinen Händen unter ihre Kleidung fuhr und sie an ihren im Zweifel noch nicht entwickelten Brüsten abgriff und in die Brustwarzen zwickte, zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt;

II./ durch die unter Punkt I./ geschilderte Handlung an der am 18. September 1995 geborenen, 10-jährigen und mithin unmündigen Amelia W***** eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 4, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der im Umfang der Sanktionsrüge Berechtigung zukommt.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Ladung und Vernehmung der unmündigen Tatzeugen Sam M***** und Annabelle W***** zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen habe, Verteidigungsrechte deshalb nicht verletzt, weil dieser auf eine unmögliche Beweisaufnahme gerichtet war. Nach Auskunft des für internationale Rechtshilfevernehmungen zuständigen Polizeibeamten der Greater Manchester Police Ian H***** lässt sich die angestrebte - und nach der Aktenlage vom Gericht auch bereits vor der Hauptverhandlung wiederholt versuchte, aber misslungene (ON 24 S 53; ON 35, ON 41) - Beweisaufnahme nicht durchführen, weil ein englisches Gericht die Zeugen im Rechtshilfeweg nur laden, aber nicht zur Aussage zwingen kann (ON 52 S 9 f), wobei sich aus der Aktenlage auch ergibt, dass die Eltern der Unmündigen die Vernehmung ihrer Kinder wegen befürchteter psychischer Schäden ablehnen (ON 3 in ON 46 S 7 iVm ON 24 S 53; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 339).

Das gegenteilige Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpft sich in der bloßen Behauptung der Durchführbarkeit und einer Bezugnahme auf die Gegenseitigkeit des hier zur Anwendung gelangenden Rechtshilfeabkommens, aus dem sich für die Rechtsauffassung der Verfahrensrüge aber nichts gewinnen lässt.

Das in der Beschwerdeschrift zur Antragsfundierung nachgetragene Vorbringen verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099117).

Im Übrigen gelangt zwischen Österreich und dem Vereinigten Königreich das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zur Anwendung. Nach dessen Art 8 darf der Zeuge oder Sachverständige, der einer Vorladung, um deren Zustellung ersucht worden ist, nicht Folge leistet, selbst dann nicht bestraft oder einer Zwangsmaßnahme unterworfen werden, wenn die Vorladung Zwangsandrohungen enthält, sofern er sich nicht später freiwillig in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staats begibt und dort neuerlich ordnungsgemäß vorgeladen wird.

Auf Basis der Feststellungen, wonach im Zweifel nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die 10-jährige Amelia W***** zum Zeitpunkt der Tathandlungen nicht in der Pubertät befand und ihre Brüste noch nicht entwickelt waren (US 4), behauptet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zunächst hinsichtlich des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB Straflosigkeit wegen Fehlens einer geschlechtlichen Handlung. Betreffend versuchten sexuellen Missbrauch wendet der Beschwerdeführer absolute Untauglichkeit des Versuchs ein, wobei auch nicht der Eindruck eines vollentwickelten Mädchens habe vorliegen können.

Diese Rechtsauffassung erweist sich aus folgenden Erwägungen als verfehlt:

Nach den Urteilsannahmen kam es dem Angeklagten beim Festhalten der Amelia W***** darauf an, an einer unmündigen Person geschlechtliche Handlungen vorzunehmen und sie gegen ihren Willen zur Duldung geschlechtlicher Handlungen zu nötigen (US 4).

Unter einer geschlechtlichen Handlung ist eine Handlung sexueller Art und Tendenz von bestimmter sozialstörender Erheblichkeit zu verstehen.

Ob die Brustgegend eines unmündigen Mädchens bereits zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehört, deren Berührung auch nach außen hin sexuell sinnbezogen erscheinen kann, hängt nicht generell und ausschließlich davon ab, ob die physische Entwicklung eines Mädchens gerade in dieser Körperregion so weit fortgeschritten ist, dass seine Brüste als Sekundärmerkmale weiblichen Körpers bereits deutlich ausgeprägt sind. Es kommt nur darauf an, ob das betreffende Mädchen insgesamt eine solche körperliche Reife erreicht hat, dass ihr Brustbereich - ebenso wie bei reifen Frauen - ohne Rücksicht auf die Ausbildung der Brustdrüsen schon biologisch der Geschlechtsregion zuzurechnen ist. Weiters, ob die Berührung als solche einem Mädchen als zum Sexualleben gehörig bewusst werden kann, und ob diese im Hinblick auf die abstrakte Eignung zur Gefährdung der sittlichen und sexuellen Entwicklung der Unmündigen nach der Auffassung von mit rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen als grob sozialstörend empfunden wird (vgl RIS-Justiz RS0095113).

Eine am Tatopfer, also am 10-jährigen Mädchen orientierte Betrachtung zeigt aber bei fiktiver Annahme einer nicht bloß flüchtigen Berührung der primären Geschlechtsteile die im Sinne der §§ 202 Abs 1; 207 Abs 1 StGB grundsätzlich mögliche Deliktsvollendung. Demzufolge unterliegt nicht das Tatobjekt, sondern die gegenständliche Versuchshandlung der von § 15 Abs 3 StGB geforderten Tauglichkeitsprüfung.

Im Fall der Nichtannahme eines zur Tatzeit eingetretenen Pubertätsbeginns beim Tatopfer kommt Deliktsbegehung durch (bloß relativ untauglichen) Versuch in Betracht (RIS-Justiz RS0090077). Anders als bei der Untauglichkeit des Objekts ist bei der Untauglichkeit der Handlung auf die ex-ante Sicht eines über den Tatplan informierten verständigen Beobachters abzustellen (vgl Burgstaller JBl 1976, 121 f; Kienapfel/Höpfel AT13 Z 24 Rz 10 und 12; RIS-Justiz RS0115363 [T4]). Danach liegt nur dann ein absolut untauglicher Versuch im Sinn des § 15 Abs 3 StGB vor, wenn die Verwirklichung der angestrebten strafbaren Handlung auf die vorgesehene Art bei generalisierender Betrachtung, somit losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls geradezu denkunmöglich ist und demzufolge unter keinen wie immer gearteten Umständen erwartet werden kann (vgl Burgstaller JBl 1976, 122; Kienapfel/Höpfel AT13 Z 24 Rz 13; Hager/Massauer in WK2 §§ 15, 16 Rz 73 ff). Ein bloß relativ untauglicher Versuch ist dagegen anzunehmen, wenn die Tatvollendung nur infolge der zufälligen Modalitäten des konkreten Einzelfalls gescheitert ist (RIS-Justiz RS0115363 [T7]). Die Versuchstauglichkeit ist dabei nicht an der misslungenen Versuchshandlung, sondern am Tatplan des Täters zu prüfen. Für einen mit rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen, der den Tatplan des Angeklagten kennt, wäre es keineswegs ausgeschlossen, dass sich das 10-jährige Widerstand leistende Tatopfer zum Zeitpunkt des Angriffs in dem von den Tatbeständen der §§ 202 Abs 1; 207 Abs 1 StGB geforderten körperlichen Zustand der Reife befinden könnte, sodass dieser mit Durchschnittswissen ausgestattete Beobachter das unter der Kleidung erfolgte Betasten der noch nicht entwickelten Brüste und das Zwicken in die Brustwarzen im Hinblick auf die abstrakte Eignung zur Gefährdung der sittlichen und sexuellen Entwicklung des Kindes als grob sozialstörend empfunden hätte, weil sie dem Mädchen als geschlechtliche Handlung bewusst werden könnten. Die bloßen Besonderheiten des gegenständlichen Einzelfalls schließen daher die Strafbarkeit der Versuchshandlung nicht aus.

Im bisherigen Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Zu Recht rügt die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) allerdings mit Blick auf das Fehlen einer geschlechtlichen Handlung die den Schuldspruch I./ betreffende Annahme einer Deliktsvollendung, die auch zum Schuldspruch II./ in einem geradezu denklogischen Widerspruch steht.

Demnach war der Strafausspruch jedenfalls zu kassieren.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof - im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - aber auch davon überzeugt, dass die Unterstellung des zu I./ als erwiesen angenommenen Sachverhalts unter den zum Urteilszeitpunkt geltenden Tatbestand des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2009/40) der von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil die zum Tatzeitpunkt in Geltung befindliche Bestimmung des § 202 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2004/15) für den Angeklagten mangels Anordnung einer Strafuntergrenze günstiger war (§§ 1, 61 StGB).

Das Urteil war daher in der rechtlichen Unterstellung der Tat unter das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl I 2009/40 und im Strafausspruch aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO selbst zu erkennen, dass der Angeklagte zu I./ das Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 15 Abs 1, 202 Abs 1 idF BGBl I 2004/15 begangen hat.

Die zufolge materieller Nichtigkeit notwendig gewordene Strafneubemessung hatte unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 207 Abs 1 StGB zu erfolgen, wobei gemäß § 31 Abs 1 StGB auf die im Verfahren des Bezirksgerichts Imst zu AZ 6 U 112/07i mit Urteil vom 2. Jänner 2008 rechtskräftig ausgesprochene Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 8 Euro (gesamt 800 Euro) Bedacht zu nehmen war. Dabei waren das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und mehrere auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen als erschwerend, als mildernd hingegen die lange Verfahrensdauer, und der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, zu berücksichtigen.

Der nicht vom Angeklagten oder von seinem Verteidiger zu vertretenden überlangen Verfahrensdauer, die als Konventionsverstoß (Art 6 Abs 1 MRK) ausdrücklich anerkannt wird, war durch Herabsetzung (§ 34 Abs 2 StGB) der bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an sich zu verhängenden schuld- und tatangemessenen Zusatzfreiheitsstrafe von 18 Monaten um vier Monate Rechnung zu tragen, sodass letztlich eine Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten festzusetzen war.

Einer auch nur teilweisen bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe standen mit Blick auf das einschlägig getrübte Vorleben spezialpräventive Bedenken entgegen.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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