OGH 12Os26/12h

OGH12Os26/12h13.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in dem beim Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 5 Hv 137/11f anhängigen Verfahren zur Unterbringung des Florian U***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 9. Februar 2012, AZ 8 Bs 62/12x, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Florian U***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Insoweit sich die Beschwerde gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft durch das Landesgericht für Strafsachen Graz richtet, wird sie zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Im Verfahren des jugendlichen Betroffenen Florian U***** zu seiner Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, AZ 5 Hv 137/11f des Landesgerichts für Strafsachen Graz, ordnete der Vorsitzende des Schöffengerichts mit Beschluss vom 1. Februar 2012 die Fortsetzung der seit 19. November 2011 bestehenden vorläufigen Anhaltung wegen Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO und Fremdgefährdung (§ 429 Abs 4 StPO) an (ON 51). Der dagegen vom Betroffenen erhobenen Beschwerde (ON 54) gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 9. Februar 2012 nicht Folge. Es ordnete seinerseits die Fortsetzung der vorläufigen Anhaltung aus den vorgenannten Gründen an (ON 56).

Demnach steht Florian U***** im dringenden Verdacht, dass er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich auf Autismus mit schwersten Verhaltensstörungen beruht, am 21. Juli 2011 in Graz Anita S***** durch Versetzen eines Kopfstoßes gegen das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt hat, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich den Bruch des Nasenbeins mit Verschiebung der Bruchenden zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen geht fehl.

Soweit sie explizit auch hinsichtlich des erstgerichtlichen Fortsetzungsbeschlusses eine Grundrechtsverletzung rügt (ON 58 S 17), war sie zurückzuweisen, weil Gegenstand des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens allein die im Instanzenzug vorgesehene Entscheidung des Oberlandesgerichts ist (§ 1 GRBG; RIS-Justiz RS0061031 [T3]).

Da - anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, sondern die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht (vgl § 10 GRBG), kann nach ständiger Rechtsprechung im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nur nach Maßgabe der Voraussetzungen der Mängel- und Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO) in Frage gestellt werden (RIS-Justiz RS0112012, RS0110146).

Entgegen dem Vorbringen der Grundrechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht die für die Annahme der Anlasstat erforderliche subjektive Tatseite logisch und empirisch einwandfrei begründet und sich dabei auch ausreichend mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R***** (ON 41) auseinandergesetzt.

Mit dem Vorbringen, das Oberlandesgericht hätte „im Zweifel“ von einer fahrlässigen Körperverletzung ausgehen müssen, wird verkannt, dass der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a sein kann (RIS-Justiz RS0102162).

Soweit der Betroffene eine jugendpsychiatrische Stellungnahme der Landesnervenklinik Sigmund Freud „vom November 2011“ anspricht, ist ihm zu entgegnen, dass die gesetzliche Anordnung, die Nichtigkeitsgründe bestimmt zu bezeichnen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO), in den Fällen in denen die eingewendete Nichtigkeit nach dem Gesetz aus den Akten zu entwickeln ist (hier Z 5 zweiter Fall), als logisch ersten Schritt bestimmter Bezeichnung die Notwendigkeit einschließt, die diesbezüglichen Fundstellen zu nennen (RIS-Justiz RS0124172 [T4]). Überdies bleibt offen, inwiefern die angesprochene Stellungnahme (ersichtlich gemeint: ON 24) für die Feststellungen zur subjektiven Tatseite relevant sein könnte.

Dasselbe gilt für eine angebliche Stellungnahme der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung vom 24. November 2011, welche sich im Übrigen auch nicht bei den Akten befindet.

Mit dem Vorbringen aus den Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. W***** vom 18. Oktober und vom 15. November 2011 (ON 5 und 11) ergebe sich, „dass der minderjährige behinderte Florian U***** keine Anlasstat begangen hat“, wird keine Nichtigkeit aus Z 5 oder Z 5a dargestellt.

Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).

Das Oberlandesgericht hat die Annahme von Tatbegehungsgefahr aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. W***** sowie jenem des Sachverständigen Dr. R*****, wonach „ungerichtete aggressiv anmutende Verhaltensauffälligkeiten“ (ON 41 S 15) zu erwarten wären, und aus mehrfach dokumentierten Kopfstößen und Faustschlägen gegen den Kopf anderer die konkrete Befürchtung des Eintritts schwerer Körperverletzungen anderer abgeleitet. Eine Willkürlichkeit dieser Prognoseentscheidung vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen.

Darüber hinaus behauptet der Betroffene Substituierbarkeit der Anhaltung durch gelindere Mittel und bringt vor, dass „eine Unterbringung des minderjährigen Behinderten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach Ansicht der Sachverständigen jedenfalls durch strukturgebende Betreuungsmaßnahmen substituierbar“ sei und weist darauf hin, „dass in den existierenden Betreuungseinrichtungen zur Therapie von Personen, die nach § 21 Abs 1 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht werden, keine geeigneten Strukturen zur Behandlung autismuskranker Personen mit massiven Verhaltensstörungen vorhanden sind“, geht jedoch auf die (gegenteiligen) Argumente des Oberlandesgerichts in keiner Weise ein und legt solcherart nicht dar, inwiefern die Einschätzung des Beschwerdegerichts betreffend die Verneinung der Anwendbarkeit gelinderer Mittel als willkürlich angesehen werden könnte.

Soweit der Betroffene ausführt, die Verhängung bzw Aufrechterhaltung der vorläufigen Anhaltung stehe „zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis“, weil „sie mit der Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe nicht vereinbar sei“, ist ihm zu entgegnen, dass es an der gebotenen Ausschöpfung des horizontalen Instanzenzugs mangelt, hat er doch diesbezüglich in seiner Beschwerde an das Oberlandesgericht (ON 54) gegen den Fortsetzungsbeschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 1. Februar 2012 (ON 51) kein deutliches und bestimmtes Vorbringen erstattet (RIS-Justiz RS0114487).

Das gilt auch für die Behauptung der Grundrechtsbeschwerde, es läge eine „unverhältnismäßig lange Dauer der Haft“ vor.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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