Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Y***** und aus deren Anlass werden
1./ das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I./ sowie demzufolge in den Strafaussprüchen und 2./ der Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Hüseyin Y***** zurückgewiesen. Der Angeklagte Turgay Ü***** wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde auf diese Entscheidung verwiesen. Mit ihren Berufungen werden beide Angeklagten, Turgay Ü***** überdies mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen. Dem Angeklagten Hüseyin Y***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen rechtskräftigen Freispruch des Mitangeklagten Tamer Ü***** und einen Teilfreispruch des Angeklagten Turgay Ü***** enthält, wurden die Angeklagten Hüseyin Y***** und Turgay Ü***** der Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 erster Fall StGB (I./) sowie Hüseyin Y***** überdies des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 vierter Fall StGB (II./1./), des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB (II./2./) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II./ 3./) schuldig erkannt.
Danach haben in R***** und anderen Orten
I./ Hüseyin Y***** und Turgay Ü***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Ende Jänner 2008 die bereits in V*****, Tschechien, der Prostitution nachgehenden rumänischen Staatsangehörigen Anamaria I*****, Elena G*****, Silvia B***** und Florentina T***** durch Organisierung der Reise von Tschechien nach Österreich und Verpflichtung zur Arbeit als Prostituierte im Bordell K***** in R***** unter gleichzeitiger Vermittlung der dortigen Unterkünfte der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen und in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zugeführt;
II./ Hüseyin Y***** alleine
1./ von Ende Jänner 2008 bis Februar 2008 mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Frau eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Anamaria I*****, Elena G*****, Silvia B***** und Florentina T*****, somit mehrere Personen zugleich ausgenützt, indem er diese zunächst täglich zur Bezahlung eines Betrags von je 10 Euro, in der Folge zur Zahlung eines Betrags von je 60 Euro pro Woche veranlasste;
2./ Mitte Februar 2008 nach der unter Punkt II./3./ beschriebenen Tat Anamaria I***** durch die Mitteilung, sie würde nach einer Zahlung von 1.000 Euro in Ruhe gelassen, also nicht mehr als Prostituierte ausgenützt werden, somit durch gefährliche Drohung mit Verletzung der sexuellen Integrität und des Vermögens, zu einer Handlung, die diese am Vermögen schädigte, nämlich zur Übergabe des genannten Geldbetrags genötigt, wobei er mit dem Vorsatz handelte, sich durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßig zu bereichern;
3./ Mitte Februar 2008 Anamaria I***** dadurch, dass er sie an den Haaren riss, auf ein Bett stieß, sie an den Armen festhielt, ihr sodann die Oberschenkel auseinanderdrückte und sie daran packte, während er mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang, mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte Hüseyin Y***** bekämpft dieses Urteil mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a StPO und der Angeklagte Turgay Ü***** mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Dem Rechtsmittel des Angeklagten Y***** kommt in Ansehung des Schuldspruchs I./ Berechtigung zu.
Zum Schuldspruch I./:
Der in § 217 Abs 1 StGB verwendete Begriff des „Zuführens" ist nur als aktive und gezielte Einflussnahme auf das Schutzobjekt zur Verlagerung der gesamten Lebensführung als Prostituierte in einem fremden Staat zu verstehen (RIS-Justiz RS0109314).
Dabei genügt die Aufnahme und Eingliederung in ein Bordell ohne eine derartige Einflussnahme nicht. Vielmehr muss nicht nur die Aufnahme der Prostitution, sondern auch der Wechsel in den fremden Staat maßgeblich vom Täter organisiert sein. Unter Zuführen ist demnach mehr als ein „Befördern", nämlich zumindest eine qualifizierte Vermittlertätigkeit zu verstehen (vgl 14 Os 113/06h). In diesem Zusammenhang traf das Schöffengericht folgende Feststellung: „Um die Mädchen in ihrer Nähe zu haben und sie in der Folge auch besser kontrollieren zu können, redeten der Erst- und der Zweitangeklagte ihnen ein, dass sie in Österreich bessere Verdienstmöglichkeiten hätten." (US 12).
Zutreffend weist der Angeklagte Y***** darauf hin, dass das angefochtene Urteil insoweit einen Begründungsmangel aufweist (Z 5). Die Tatrichter gründeten die Feststellungen zum Vorwurf des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels auf die Aussagen des Zweitangeklagten vor der Polizei und die Angaben der Zeuginnen Anamaria I***** und Jasmina R*****, die geschildert haben, „wie die vier Mädchen durch die drei Angeklagten von Tschechien nach Österreich verbracht wurden, um sie hier der Prostitution zuzuführen" (US 30). Die Angaben der Zeuginnen Florentina T*****, Elena G***** und Silvia B*****, die Idee nach Österreich zu fahren stamme von Anamaria, wurden vom Erstgericht als instruiert und nicht zuverlässig befunden (US 30 ff).
Nach der im Urteil wiedergegebenen Einlassung des Angeklagten Turgay Ü***** (ON 8/S 43 ff) gestand dieser zu, die vier Frauen nach Rücksprache mit dem Erstangeklagten von Tschechien abgeholt und in die K***** Bar bei R***** gebracht zu haben. Dies, weil er davor von seiner Freundin Luisa (= Elena G*****) am 26. August 2008 gegen 20:00 Uhr angerufen und gebeten worden war, sie abzuholen, weil sie Probleme mit ihrem Chef habe und dort nicht mehr arbeiten könne, und sie sodann mit drei weiteren Rumäninnen nach Österreich zu bringen, damit sie dort in einem anderen Bordell als Prostituierte arbeiten können.
Anamaria I***** gab bei ihrer Einvernahme vor dem LKA Niederösterreich an, die Geschäfte in V***** seien nicht gut gegangen, daher hätten Florentina, Elena, Silvia und sie selbst vorgehabt, in Österreich als Prostituierte zu arbeiten, weil sie sich dort bessere Verdienstmöglichkeiten ausgerechnet hätten. Sie habe „Hassan" (= Hüseyin Y*****) gefragt, ob er eine Bar wisse, wo sie arbeiten könnten; Hassan habe dies und bessere Verdienstmöglichkeiten bestätigt, ihre Freundinnen seien einverstanden gewesen. Da sie „Hassan" am nächsten Tag nicht erreicht habe, hätte sie „Kadir" (= Turgay Ü*****) angerufen und diesen ersucht sie abzuholen (ON 2/S 37). Von diesen Angaben ist die Zeugin bei ihrer kontradiktorischen Einvernahme vor Gericht nicht abgewichen (ON 38/S 7). Die Zeugin Jasmina R***** wiederum konnte zur Frage der Einwirkung auf die Frauen zur Verlagerung der Lebensführung nach Österreich - mangels eigener Wahrnehmungen - keine Angaben machen (ON 87/S 30 ff).
Dem Beschwerdeführer ist somit zuzubilligen, dass die Konstatierung, der Erst- und Zweitangeklagte haben den Mädchen eingeredet, in Österreich bessere Verdienstmöglichkeiten zu haben, nicht auf die vom Erstgericht angegebenen Beweismittel gestützt werden konnte. Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich daher.
Der aufgezeigte Begründungsmangel kommt auch dem Angeklagten Turgay Ü***** zugute, der ihn aber nicht geltend machte, sodass die Nichtigkeit insoweit von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 10 f).
Zu Schuldspruch II./1./:
Mit dem Begriff des „Ausnützens" in § 216 Abs 1 und Abs 2 vierter Fall StGB soll Schmarotzertum im Vorfeld der Ausbeutung erfasst werden (Fabrizy StGB9 § 216 Rz 1a). Eine „Ausbeutung" wird vom Gesetz nur für die Qualifikation des § 216 Abs 2 erster Fall StGB gefordert. Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) Zweifel an einer „Ausbeutung" zu erwecken trachtet, bewegt sie sich außerhalb des Anfechtungsrahmens, wurde doch dem Beschwerdeführer eine solche Tatmodalität gar nicht angelastet. Ihm liegt vielmehr zur Last, mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Anamaria I*****, Elena G*****, Silvia B***** und Florentina T*****, somit mehrere Personen zugleich ausgenützt zu haben, indem er - ohne eine Gegenleistung zu erbringen - diese zur Zahlung von je 10 Euro täglich bzw je 60 Euro wöchentlich veranlasste (US 16). Diese Feststellungen zum Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 letzter Fall StGB leitete das Erstgericht aus den als zuverlässig befundenen Angaben der Jasmina R***** und Anamaria I***** ab.
Im Übrigen gelingt es der Tatsachenrüge (Z 5a) weder mit Hinweis auf die Aussagen der nach persönlichem Eindruck von den Tatrichtern als unzuverlässig befundenen Angaben der Zeuginnen Florentina T***** und Elena G***** noch durch Anspielung auf deren ungehinderte Rückreise erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch tragenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Die Überzeugung des erkennenden Gerichts von der Glaubwürdigkeit einer Person kann wiederum aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht releviert werden (vgl RIS-Justiz RS0099649).
Zum Schuldspruch II./2./:
In Ansehung des Schuldspruchs wegen des Verbrechens der Erpressung sucht die Tatsachenrüge (Z 5 a) durch Behauptung einer „undurchsichtigen Rolle" des Zeugen Sasa S***** nach Art einer in Kollegialverfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung - und somit unzulässig - die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern.
Zu Punkt II./3./:
Auch die eine mangelnde Glaubwürdigkeit der Zeugin Anamaria I***** geltend machende Tatsachenrüge (Z 5a) vermag keine erheblichen Bedenken gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens der Vergewaltigung zu erwecken. Relevante Widersprüche in den Angaben der Zeugin zur Frage, ob sie geschrien, gesprochen oder laut gesprochen habe (ON 58/S 6), liegen nicht vor, gab doch die Zeugin in den kontradiktorischen Einvernahmen stets an, es sei niemand zu Hilfe gekommen, weil die Musik zu laut war (ON 38/S 13, ON 58/S 6). In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, angesichts des aufgezeigten Mangels bei nichtöffentlicher Beratung im Schuldspruch I./ sowie demzufolge in den Strafaussprüchen ebenso aufzuheben wie der unter einem ergangene Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO. In diesem Umfang war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 285e StPO).
Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Hüseyin Y***** bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Der Angeklagte Turgay Ü***** war mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.
Mit ihren Berufungen waren beide Angeklagten auf dieses Erkenntnis zu verweisen, Turgay Ü***** überdies mit seiner Beschwerde gemäß § 498 Abs 3 StPO.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).
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