Spruch:
Hasan A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Bei der Staatsanwaltschaft Salzburg wird zu AZ 14 St 190/11p ein Ermittlungsverfahren (unter anderem) gegen den Jugendlichen Hasan A***** wegen des Verdachts der Verbrechen des Mordes als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 75, 15 Abs 1 StGB geführt. Er ist dringend verdächtig, am 12. September 2011 in M***** zur Ausführung der Taten des Halil D*****, welcher Birol Du***** durch das Versetzen mehrerer wuchtiger Messerstiche mit einem etwa 31 cm langen Küchenmesser zu töten versuchte, sowie des Halil D***** und des Tolga K***** beigetragen zu haben, die im bewussten und gewollten Zusammenwirken Hicabi Du***** durch das Versetzen von sieben Messerstichen in Rumpf, Arme und Hals vorsätzlich töteten, indem er mit den Genannten zum Tatort fuhr, sich auf Anweisung des D***** versteckte, um nötigenfalls eingreifen zu können und sodann Birol Du***** mehrere Faustschläge und Fußtritte gegen Kopf und Körper versetzte.
Mit Beschluss vom 3. Oktober 2011, AZ 28 HR 267/11x, setzte die Ermittlungsrichterin des Landesgerichts Salzburg die am 17. September 2011 über Hasan A***** verhängte (bedingt-obligatorische) Untersuchungshaft (ON 32) aus dem Haftgrund des § 173 Abs 6 StPO (§ 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a, b und d StPO) fort (ON 61).
Mit am selben Tag eingelangtem Schriftsatz lehnte Hasan A***** die Ermittlungsrichterin des Landesgerichts Salzburg als befangen ab (ON 58), weil schon die Durchführung der Haftverhandlung (erst) am 3. Oktober 2011 gegen die Bereitschaft der Richterin spräche, „den Standpunkt des Beschuldigten mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen“. Diesem Antrag gab der Präsident des Landesgerichts Salzburg mit Beschluss vom 4. Oktober 2011 mit der Begründung nicht Folge, dass unterschiedliche Rechtsauffassungen über den Bedeutungsgehalt des § 84 Abs 1 Z 5 StPO nicht zur Begründung einer Ausgeschlossenheit der befassten Richterin geeignet seien (ON 59).
Die (gegen beide Beschlüsse erhobene) Beschwerde des Hasan A***** (ON 65) wies das Oberlandesgericht Linz am 14. Oktober 2011 zu AZ 10 Bs 313/11t (314/11i, 315/11m) in Ansehung der Beschlussfassung des Präsidenten des Landesgerichts Salzburg vom 4. Oktober 2011 als unzulässig zurück (1./), in Ansehung der Beschlussfassung des Landesgerichts Salzburg vom 3. Oktober 2011 als unbegründet ab (2./) und ordnete seinerseits die Fortdauer der über Hasan A***** verhängten Untersuchungshaft „gemäß § 173 Abs 6 StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG“ an (ON 83).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Hasan A*****.
Ihrer Erledigung ist vorauszuschicken:
Weil - anders als bei einer Beschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, sondern die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht, kann im Verfahren über eine solche nach ständiger Rechtsprechung die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nur nach Maßgabe der Voraussetzungen der Mängel- und der Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO) in Frage gestellt werden (RIS-Justiz RS0110146, RS0114488, RS0112012).
Formal mangelhaft im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO sind die Entscheidungsgründe, soweit undeutlich bleibt, was in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen überhaupt angenommen werden sollte oder unklar ist, aus welchen Gründen eine solche Sachverhaltsannahme getroffen wurde. Neben einer solchen Undeutlichkeit, die Sachverhaltsannahmen und deren Begründung betreffen kann, kommt als zweiter Fall des § 281 Abs 1 Z 5 StPO Unvollständigkeit ins Spiel. Dieser zweite Fall der Mängelrüge soll verhindern, dass ein erheblicher Beweis bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt bleibt. Der dritte Fall der Z 5 betrifft im Wesentlichen Widersprüche innerhalb von Sachverhaltsannahmen in Betreff entscheidender Tatsachen oder beweiswürdigender Erwägungen und stellt nur einen besonderen Fall von Undeutlichkeit, also des ersten Falls der Z 5, dar. Der vierte sanktioniert eine gänzlich fehlende oder offenbar unzureichende Begründung für die (Verdachts-)Annahme einer entscheidenden Tatsache, soll also geradezu willkürliche Sachverhaltsannahmen zu entscheidenden Tatsachen hintanhalten und entspricht dem allgemein geltenden Willkürverbot. Aktenwidrigkeit nach Z 5 letzter Fall liegt schließlich vor, wenn der Inhalt einer gerichtlichen Aussage oder Urkunde in der Begründung der angefochtenen Entscheidung in erheblicher Weise unrichtig wiedergegeben wurde. Über die formalen Grenzen der Beweiswürdigung hinaus kann zwar auch das Beweiswürdigungsermessen einer letztinstanzlichen Entscheidung zum Gegenstand einer Grundrechtsbeschwerde gemacht werden, jedoch nur nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile und der in § 281 Abs 1 Z 5a StPO genannten Erheblichkeitsschwelle.
Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens schließlich dahin überprüft, ob die Prognoseentscheidung des Oberlandesgerichts aus den in dessen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich bzw unvertretbar angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806, RS0120458).
An diesen Kriterien orientiert sich die vorliegende Grundrechtsbeschwerde nicht, die ihr Vorbringen vom 6. Oktober 2011 (ON 65) wiederholt, dabei aber weder Begründungsmängel geltend macht, die der angefochtenen Entscheidung anhaften sollen, noch Aktenbestandteile benennt, die erhebliche Bedenken an jenen Tatsachen erwecken sollen, die dem dringenden Verdacht zu Grunde liegen, und verfehlt auch mit der (globalen) Kritik, das Oberlandesgericht habe sich auf Beweisergebnisse gestützt, die aus Sicht der Verteidigung „auf unfaire und pflichtwidrige Art zustandegekommen“ seien, den Bezugspunkt (vgl dazu: Michel-Kwapinski, WK-StPO § 166 Rz 18 ff). Überlegungen des Beschwerdeführers zur „Blumigkeit der türkischen Sprache“ bzw zu „kulturell unterschiedlich gelebtem Konfliktverständnis“ sowie die diesbezüglichen Hinweise auf ausgewählte Werke der Literatur entziehen sich ebenso einer sachbezogenen Erwiderung wie die persönlichen Sprach- und kriminalsoziologischen Kenntnisse des Verteidigers. Die daran anknüpfende Argumentation, für den Beschuldigten sei nicht erkennbar gewesen, dass „der mutmaßliche Haupttäter einen Mord begehe“, bekämpft vielmehr bloß die (vorläufige) Beweiswürdigung der angefochtenen Entscheidung.
Das Oberlandesgericht Linz gründete im Übrigen den zum Gegenstand seiner eigenen Überzeugung gemachten dringenden Tatverdacht (RIS-Justiz RS0122394; Kirchbacher/Rami WK-StPO § 173 Rz 3) auf die polizeilichen Erhebungen sowie die Einlassungen der Beschuldigten (ON 14, 21, 29 und 30: BS 3), sodass die angefochtene Entscheidung dem Begründungserfordernis gerecht wird.
Der (wiederholt erhobene) Einwand der Missachtung der Haftfrist durch Anberaumung der Haftverhandlung nicht schon vor Ende der im Beschluss vom 17. September 2011 (ON 32) deklarierten Haftfrist („1. Oktober 2011“), sondern erst für (Montag, den) 3. Oktober 2011, bekämpft schlicht das Gesetz, wonach die in § 175 Abs 1 und Abs 2 StPO normierten Haftfristen den Regeln des § 84 StPO unterliegen und solcherart im Fall des Endens einer Haftfrist an einem Samstag, Sonn- oder Feiertag (hier: am Samstag, den 1. Oktober 2011) der nächste Werktag (hier: Montag, 3. Oktober 2011) als letzter Tag der Haftfrist anzusehen und eine an diesem Tag durchgeführte Haftverhandlung fristgerecht ist (§ 84 Abs 1 Z 5 StPO; vgl Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 175 Rz 4).
Gleichermaßen nicht am Gesetz (§ 174 Abs 4 StPO) orientiert sich die - überdies wenig verständliche - These, das Oberlandesgericht Linz habe in seiner Beschlussfassung vom 14. Oktober 2011 die Haftfrist bis zum 14. Dezember 2011 erstreckt, „um eine sechswöchige Verlängerung der Untersuchungshaft zu tarnen, ohne den Beschwerdeführer jemals gesehen zu haben“.
Unter Berufung auf Art 5 MRK kritisiert der Beschwerdeführer die Verhängung der bedingt obligatorischen Untersuchungshaft und die vorgenommene Beurteilung der in § 173 Abs 2 und Abs 6 StPO statuierten Haftkriterien. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang aber bloß, dass „zum materiellen Sachverhalt [k]ein wie immer gearteter gerichtlicher Beschluss vorläge, der Mord unterstellt“. Das Oberlandesgericht Linz hat jedoch - ungeachtet der Annahme der Voraussetzungen des § 173 Abs 6 StPO - das Vorliegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr unter Hinweis auf die einschlägige Vorstrafenbelastung des Beschuldigten sowie dessen zu Tage getretene Gewaltbereitschaft unmissverständlich bejaht (BS 5) und die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auf diese Gefahr gegründet. Dem vermag die Beschwerde Substantielles nicht entgegenzusetzen, indem sie lediglich vorbringt, der Beschuldigte sei in „den konkreten Fall hineingeschlittert“ und es sei nicht „ersichtlich“, dass er wieder „aktiv straffällig in gleicher Weise werden könnte“.
Weil in der angefochtenen Entscheidung eine Grundrechtsverletzung nicht zu erblicken ist, war die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Die „Anregung nach § 363a StPO“ war gesonderter Entscheidung vorzubehalten.
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