European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00160.15V.0120.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Beschluss vom 28. August 2015, GZ 404 HR 175/15i‑44, erklärte die Einzelrichterin des Landesgerichts Korneuburg die mit Note des U.S. Department of Justice vom 28. Juli 2015 begehrte Auslieferung des weißrussischen Staatsangehörigen Alexander M***** zur Strafverfolgung wegen der im Ersuchen samt Unterlagen beschriebenen Verdachtslage (ON 41) für (nicht un‑)zulässig. Der dagegen gerichteten Beschwerde der betroffenen Person (ON 56) gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nun angefochtenen Beschluss (ON 74) nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich der am 17. Dezember 2015 beim Obersten Gerichtshof eingebrachte Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam.
Der Betroffene behauptet eine Verletzung des Art 3 EMRK, weil ihm zufolge des in den USA geltenden Kumulationsprinzips eine Freiheitsstrafe von 35 Jahren, somit eine (im Vergleich zur österreichischen Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren [§ 147 Abs 3 StGB]) unverhältnismäßig lange Strafe“ drohe.
Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn die betroffene Person im Zielstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 EMRK unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0123201, RS0123229). Im Zielstaat drohende Freiheitsstrafen können nur dann in ein Spannungsverhältnis zu Art 3 EMRK treten, wenn sie in keiner Relation zur Schuld des Täters und zum Unrechtsgehalt der Tat stehen (RIS‑Justiz RS0118079), wobei Fragen des geeigneten Strafmaßes grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs der Konvention liegen und nach der Rechtsprechung des EGMR insoweit ein großer Beurteilungsspielraum der unterschiedlichen Strafrechts-ordnungen in dieser kriminalpolitischen Frage akzeptiert wird (14 Os 41/12d mwN; vgl dazu allgemein Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 20 Rz 30 f und 42 ff).
Der Betroffene hat weiters die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die bloße Möglichkeit drohender unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Demnach muss ein konkretes, anhand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, die betroffene Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein (RIS-Justiz RS0123201, RS0123229).
Diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen, das sich auf einen unter dem Blickwinkel des Art 3 EMRK (anders als nach § 16 Abs 3 ARHG) nicht entscheidenden Vergleich der abstrakten (Höchst‑)Strafdrohungen nach österreichischem und amerikanischem Recht beschränkt, nicht, weil eine dem Betroffenen bei Verurteilung wegen der ihm vorgeworfenen (nach den Annahmen des Beschwerdegerichts mit Blick auf den zu verantwortenden Schaden in Höhe von zumindest 17,7 Millionen US-Dollar [BS 2 und 7] als schwerwiegend anzusehenden) Straftaten tatsächlich drohende (im Sinne der Rechtsprechung des EGMR) „grob unverhältnismäßige“ Strafe nicht einmal behauptet wird (neuerlich 14 Os 41/12d). Auch mit dem in diesem Zusammenhang unternommenen Versuch, die unterschiedliche Fallkonstellation zu der vom Beschwerdegericht zitierten Entscheidung 14 Os 30/03 hervorzuheben, ist für den Erneuerungswerber nichts zu gewinnen.
Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvorraussetzungen der Art 34 und 35 EMRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (
vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrens-vorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (
horizontale Erschöpfung; vgl RIS-Justiz RS0122737 [T13]; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 13 Rz 34 f).
Die nunmehr erstmalige Behauptung von Konventionsverletzungen (und unter dem Blickpunkt des § 363a Abs 1 StPO jedenfalls irrelevanten sonstigen Rechtsverletzungen [RIS-Justiz RS0129606]), nämlich
‑ der (wiederum nur abstrakt dargestellten) drohenden (Art 3 EMRK widersprechenden) unmenschlichen Behandlung durch die im ersuchenden Staat herrschenden Verhörmethoden und Haftbedingungen,
‑ eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung (vgl aber RIS-Justiz RS0123200 [T3]; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 26 und 124) durch (in diesem Verfahrensstadium jedoch zwingende) Verdachtsannahmen und
‑ einer Verletzung von § 16 Abs 1 ARHG durch die (spekulative, weil aus dem Akteninhalt nicht konkret abgeleitete) Annahme der teilweisen Tatbegehung auch im Inland
ist daher zufolge fehlender (horizontaler) Erschöpfung des Rechtswegs schon deswegen unbeachtlich, weil sie nicht zumindest der Sache nach und entsprechend den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde.
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Erneuerungsantrag daher insoweit als unzulässig, im Übrigen aber als offenbar unbegründet (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO) zurückzuweisen.
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