OGH 12Os147/17k

OGH12Os147/17k19.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schuber als Schriftführer in der Strafsache gegen Enes S***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 HR 14/15p des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Mag. Dr. Faruk G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 24. Oktober 2017, AZ 9 Bs 352/17h, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00147.17K.1219.000

 

Spruch:

 

Mag. Dr. Faruk G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde des Mag. Dr. Faruk G***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 2. Oktober 2017 (ON 767, 778) nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der vom Landesgericht mit Beschluss vom 28. Jänner 2017 verhängten und mehrmals fortgesetzten Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO an.

Dabei erachtete das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer dringend verdächtig, er habe im Zeitraum von zumindest 9. September 2016 bis 26. Jänner 2017 in G*****

1./ sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“, somit an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen nach §§ 84 bis 87 StGB, schwere Nötigungen (§ 106 StGB) und schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB) begangen werden, welche Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278b Abs 2 StGB iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB), indem er in dem von salafistisch‑dschihadistischem Gedankengut geprägten Verein „T*****“ von 14. Oktober 2016 bis 26. Jänner 2017 die Funktion des Schriftführers ausübte, als Vorstandsmitglied zuließ, dass in der vom Verein betriebenen Moschee Schriften auflagen, die zur Teilnahme am Dschihad aufriefen, und zumindest ab 9. September 2016 gemeinsam mit den faktischen Entscheidungsträgern des Glaubensvereins Fuad I***** und Nihad J***** die kriminelle Ausrichtung des Vereins durch Einflussnahme auf das dort verbreitete, den Dschihadismus bewerbende Gedankengut, das sich an der radikalen salafistischen Ideologie des „Takfirismus“ des Nedzad B***** (alias Ebu M*****) orientierte, wesentlich mitbestimmte, sich im Rahmen der Vortragstätigkeit als Imam als Vordenker an der Radikalisierung von Mitgliedern des Glaubensvereins beteiligte und durch vorteilhafte Darstellung des „Islamischen Staates“ und dessen Ideologie, die einzig das Rechtssystem der Scharia anerkennt und Werte wie Demokratie und Humanismus ablehnt, bei den Gläubigen den Entschluss, am „Dschihad“ teilzunehmen, zu erwecken versuchte, also psychische Unterstützung zur Stärkung der Gruppenmoral oder einzelner Mitglieder in ihrer Bereitschaft zur Ausführung von Vereinigungstaten der terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation des IS leistete und auf der Internetplattform „WhatsApp“ unter dem Namen „Tevhid D*****“ bei einem Gruppenchat drei Youtube‑Videos des türkischen Predigers Halis Ba***** (alias Ebu H*****), welcher unter anderem den IS vorteilhaft darstellte, an türkisch‑stämmige Personen versendete;

2./ sich als Mitglied an der als „Islamischer Staat“ bezeichneten kriminellen Organisation, welche als eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal‑islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Ziels terroristische Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB zu begehen, somit wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmittel ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, durch die unter 1./ angeführten Taten im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert.

Diese Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StPO (1./) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (2./).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Mag. Dr. Faruk G*****.

Die Grundrechtsbeschwerde bekämpft die angenommene dringende Verdachtslage nicht, sondern richtet sich lediglich gegen die Annahme der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr sowie gegen die Ablehnung der Enthaftung gegen gelindere Mittel.

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nur dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen (§ 174 Abs 3 Z 4 StPO), worunter das Gesetz die deutliche Bezeichnung der für den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen tragenden Gründe versteht, abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS‑Justiz RS0118185, RS0117806).

Das Oberlandesgericht zog bei der Annahme der Fluchtgefahr in Betracht, dass der Beschuldigte zwar die österreichische Staatsbürgerschaft besitze und zuletzt einer geregelten Arbeit nachgegangen war, jedoch unter Berücksichtigung seiner Kontakte zu Personen aus der Dschihadistenszene und aufgrund des Umstands, dass Familienangehörige in Syrien, der Schweiz und in der Türkei leben, die im Falle verdachtskonformer Verurteilung zu erwartende Sanktion bei einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe einen erheblichen Fluchtanreiz begründe (BS 6).

Der Beschwerde gelingt es nicht, betreffend die Annahme des genannten Haftgrundes Willkür aufzuzeigen, indem sie dem entgegensetzt, der Beschuldigte hätte zu seinem möglicherweise in Syrien aufhältigen jüngeren Bruder keinen persönlichen Kontakt, er wisse nicht einmal, ob dieser noch am Leben sei, es wäre aussichtslos, sich bei seinem Bruder in der Schweiz verborgen zu halten, und betreffend die zu erwartende Strafe ausführt, er hätte immer beteuert, in keiner Verbindung mit radikal‑islamistischen Organisationen zu stehen, er hätte lediglich beim Freitagsgebet Predigten gehalten.

Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass das Beschwerdegericht die leugnende Verantwortung des Beschuldigten bei der Annahme der dringenden Verdachtslage berücksichtigte (RIS-Justiz RS0110146; BS 4 iVm ON 407).

Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe gegeben sind (RIS‑Justiz RS0061196).

Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) muss eine Grundrechtsbeschwerde konkret darlegen, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit verneint hat, insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]). Dem entspricht die vorliegende Grundrechtsbeschwerde nicht, indem sie bloß behauptet, der Beschuldigte hätte sich bereit erklärt, seine Reisedokumente abzugeben und sich in kürzesten Intervallen bei den Behörden zu melden (vgl hingegen BS 6).

Beim elektronisch überwachten Hausarrest (§ 173a StPO), handelt es sich um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, jedoch nicht um ein gelinderes Mittel. Da die Bedingungen des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht in den Schutzbereich des GRBG fallen, kann die Ablehnung des Begehrens, die Untersuchungshaft in Form des Hausarrests fortzusetzen, nicht mit Grundrechtsbeschwerde bekämpft werden (RIS‑Justiz RS0126401).

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

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