European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00146.18I.0124.000
Spruch:
Das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 23. August 2018, GZ 10 U 193/17x-20, verletzt im Schuldspruch 1./ das Gesetz in § 447 StPO iVm § 270 Abs 4 Z 2 StPO iVm §§ 35 Abs 1, 37 SMG.
Dieses Urteil wird im Schuldspruch 1./ sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Donaustadt verwiesen.
Gründe:
Am 9. Mai 2017 trat die Staatsanwaltschaft Wien zu AZ 132 BAZ 469/17g gemäß § 35 Abs 9 SMG vorläufig von der Verfolgung des Manuel E***** wegen des Verdachts nach § 27 Abs 1 Z 1 (erster und zweiter Fall) und Abs 2 SMG zurück (ON 1 S 1).
Gleichfalls erfolgte jeweils wegen des Verdachts nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG zu AZ 103 BAZ 591/17k der Staatsanwaltschaft Wien am 6. Juni 2017 (ON 8 S 1) und zu AZ 132 BAZ 850/17m der Staatsanwaltschaft Wien am 13. Juni 2017 (ON 1 S 1 in ON 9) ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung gemäß § 35 Abs 9 SMG.
Nachdem Manuel E***** in den genannten Verfahren nicht zur Begutachtung bei der Gesundheitsbehörde (§ 12 SMG) erschienen war (ON 5, ON 6 in ON 8 und ON 6 in ON 9), erhob die Staatsanwaltschaft Wien jeweils Strafantrag wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (ON 6, ON 7 in ON 8 und ON 7 in ON 9).
Mit Beschlüssen vom 11. September 2017 und 5. Oktober 2017 bezog das Bezirksgericht Donaustadt die zu AZ 103 BAZ 591/17k und AZ 132 BAZ 850/17m, jeweils der Staatsanwaltschaft Wien, anhängigen Verfahren in das Verfahren AZ 10 U 193/17x ein (ON 1 S 4).
Die Hauptverhandlung wurde am 9. November 2017 „zur Durchführung von Maßnahmen gemäß §§ 35, 37 SMG […] auf vorerst unbestimmte Zeit vertagt“ (ON 13). Nach mehrmaligen Urgenzen (ON 1 S 5 f) bei der Gesundheitsbehörde und der Einbeziehung eines weiteren Verfahrens wegen § 125 StGB (ON 1 S 7) wurde Manuel E***** mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem, in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 23. August 2018 (ON 20) (richtig:) der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (1./) sowie (richtig:) des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (2./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs zu 1./ hat Manuel E***** in W***** vorschriftswidrig Suchtgift „für den persönlichen Gebrauch“ erworben und besessen, und zwar
a./ am 21. April 2017 1 Gramm Cannabiskraut,
b./ am 31. Mai 2017 1,5 Gramm Cannabiskraut und
c./ am 1. Juni 2017 1,4 Gramm Cannabisharz (US 2).
Zur Begründung des Ausschlusses eines diversionellen Vorgehens wurde lediglich auf die – einem solchen nach den §§ 37, 35 Abs 1 SMG aber nicht entgegenstehende – „Vorstrafenbelastung“ verwiesen (US 2).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 23. August 2018, GZ 10 U 193/17x‑20, in folgender Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 37 SMG hat nach Einbringen der Anklage das Gericht die §§ 35 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.
Wurden durch die Tat § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG verwirklicht, so ist Diversion nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG – bei Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – stets geboten (vgl RIS-Justiz RS0131952). Der Umstand, dass der Angeklagte weiterer, mit dem Suchtmittelgesetz in keinem Zusammenhang stehender Verbrechen oder Vergehen schuldig erkannt wird, hindert eine solche vorläufige Verfahrenseinstellung nicht (Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 33/1; RIS-Justiz RS0113621). Nachdem im § 35 Abs 1 SMG keine spezialpräventiven Ausschlussgründe vorgesehen sind, verletzt die auf eine „Vorstrafenbelastung“ gestützte Verweigerung eines diversionellen Vorgehens und der genannten Bestimmung das Gesetz (vgl Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 32/1 f).
Im Fall einer Verurteilung hat die gekürzte Urteilsausfertigung neben den wesentlichen Bestandteilen des Urteils (§ 270 Abs 2 StPO) auch die vom Gericht als erwiesen angenommenen – entscheidungswesentlichen (Danek, WK‑StPO § 270 Rz 30 f) – Tatsachen in gedrängter Darstellung zu enthalten, sodass insgesamt die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nachvollziehbar und überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0125764).
Das Bezirksgericht hätte daher gemäß § 447 StPO iVm § 270 Abs 4 Z 2 StPO Feststellungen zu den Tatsachen treffen müssen, aufgrund derer sich trotz Bejahung der Verwirklichung auch des § 27 Abs 2 SMG die Nichtanwendung der – als temporäres Verfolgungshindernis einer Verurteilung entgegenstehenden – Diversionsbestimmungen der §§ 37, 35 Abs 1 SMG aus dem Gesetz ableiten lässt (RIS-Justiz RS0125764 [T3]; RIS-Justiz RS0119091 [T9]).
Die aufgezeigte Gesetzesverletzung ist geeignet, sich zum Nachteil des Angeklagten Manuel E***** auszuwirken, weshalb deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zuzuerkennen war.
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