Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wird bewilligt.
Mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen;
II. zu Recht erkannt:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte C***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 2, 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 16. Mai 2009 in W***** als Polizeibeamter *****, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, den Staat in seinem Recht auf objektive Wahrheitsforschung im Strafverfahren (§ 3 StPO) und M***** in seinen Rechten als Beschuldigter auf Beweisaufnahme (§§ 49 Z 6, 55 StPO) und objektive Wahrheitsforschung (§ 3 StPO) zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich Ermittlungen im Strafverfahren vorzunehmen, dadurch wissentlich missbraucht, dass er im Zuge einer Amtshandlung (Erkundigungen) im Strafverfahren gegen M***** und K***** jeweils wegen des Verdachts der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, es trotz Aufforderung des Beschuldigten M***** unterließ, im Fahrzeug des K***** hinsichtlich eines im Zuge der nach Verdachtslage von K***** gegenüber dem nach einer Körperverletzung einschreitenden M***** eingesetzten Baseballschlägers bzw Holzstocks Nachschau zu halten und diesen Umstand auch nicht mittels (Anlass-)Bericht an die zuständige Staatsanwaltschaft berichtete.
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Beschwerde:
Noch in der Hauptverhandlung vom 2. Juni 2010 meldete der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, ohne dabei diese Rechtsmittel jedoch inhaltlich auszuführen (S 89 in ON 16). Mit Beschluss vom 26. August 2010 (ON 21) wies der Vorsitzende die (bloß angemeldete, noch nicht ausgeführte) Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 2 StPO iVm § 285b Abs 1 StPO zurück. Nach Zustellung dieser Entscheidung erhob der Verteidiger des C***** Beschwerde gemäß § 285b Abs 2 StPO, stellte zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte unter einem die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung aus.
Die schriftliche Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger am 14. Juli 2010 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs zugestellt (S 4 in ON 1). Die vierwöchige Frist für die Ausführung der (rechtzeitig angemeldeten) Rechtsmittel (§ 285 Abs 1 StPO) endete somit mit Ablauf des 11. August 2010. Bis dahin war eine Ausführung der Rechtsmittel nicht erfolgt.
Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag rief die mit der Bedienung des ERV-Systems betraute Sekretärin S***** am 14. Juli 2010 gegen 08:10 Uhr den Rückverkehr im elektronischen Rechtsverkehr ab. Dabei kam es aus im Nachhinein nicht mehr feststellbaren technischen oder persönlichen Umständen dazu, dass der Sekretärin zwar das Verhandlungsprotokoll, nicht aber das eingelangte Urteil zur Kenntnis gelangte und dieses daher nicht in den betreffenden Rechtsanwaltshandakt eingelegt wurde. Nach der Aktenlage war für den Verteidiger daher davon auszugehen, dass tatsächlich nur das Protokoll der Hauptverhandlung übermittelt wurde und die fristauslösende Übermittlung des Urteils noch ausstand. Die Säumnis wurde erst am 23. August 2010 aus Anlass einer telefonischen Anfrage durch den Vorsitzenden des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen des Verbleibs der erwarteten Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde erkannt. Nach dem weiteren Vorbringen entspricht einerseits der Kanzleibetrieb des Verteidigers in jeder Hinsicht dem Standard einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei. Andererseits leistet S***** „seit einem Jahrzehnt erstklassige und zuverlässigste Arbeit“; bisher ist ihr noch nie ein derartiges oder vergleichbares Versehen unterlaufen.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 364 Abs 1 StPO ist dem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, wenn er nachzuweisen vermag, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unabwendbare Umstände ohne sein oder seines Vertreters Verschulden unmöglich war, bzw ihm oder seinem Vertreter insoweit bloß ein Versehen minderen Grades zur Last zu legen ist.
Ausgehend vom Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, an dessen Richtigkeit zu zweifeln kein Grund besteht, war der fristgerecht beantragte Rechtsbehelf zu bewilligen, weil die dargestellte Fristversäumung nicht auf ein über eine entschuldbare Fehlleistung in der Sphäre seines Vertreters hinausgehendes Verschulden beruht.
Mit seiner gegen den Beschluss des Vorsitzenden vom 26. August 2010 gerichteten Beschwerde, die sich inhaltlich ohnedies in einer Antragstellung nach § 364 Abs 1 StPO erschöpft, war der Rechtsmittelwerber auf die die Wiedereinsetzung bewilligende Entscheidung zu verweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Der auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu.
Denn (auch) im Fall - wie hier - von Rechtsverletzungen im Laufe eines (Ermittlungs-)Verfahrens nach der Strafprozessordnung (fallbezogen jenes gegen K***** wegen einer Verletzung der Ma***** und jenes gegen M***** wegen einer nachfolgenden Verletzung des K*****) erfordert ein Schuldspruch wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt Konstatierungen, dass der Beamte zunächst wider besseres Wissen eine bestimmte Verfahrensvorschrift missachtete. Darüber hinaus muss er es auch ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben, dass der bedingte Vorsatz des Beamten darauf gerichtet ist, den Staat in seinem Recht auf Strafverfolgung gemäß den prozessualen Vorschriften durch missbräuchliche Nichtausschöpfung aller zweckdienlichen Beweismittel oder durch Nichtvorlage des gesamten Beweismaterials (fallbezogen die Unterlassung einer Nachschau nach dem von K***** eingesetzten Holzstock und Verschweigen der darauf abstellenden Angaben des M*****) zu schädigen, ohne dass sich diesbezüglich der Rechtsschädigungsvorsatz auf einen unrichtigen Ausgang des Strafverfahrens erstrecken müsste (Schädigung des Staates; vgl E. Fuchs/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch3, § 302 Rz 53; 15 Os 129/04, JBl 2006, 334).
Das Erstgericht stellte zum Schädigungsvorsatz hingegen nur fest, dass es der Angeklagte als naheliegend ansah, „dass er M***** in seinen Rechten als Beschuldigter auf Beweisaufnahme und objektive Wahrheitsforschung und dem Staat in seinem Recht auf objektive Wahrheitsforschung einen Nachteil zufügte, dass er dies als wahrscheinliche Folge seines Handelns ansah“ (US 5). Solcherart fehlen aber Urteilsannahmen zum Vorliegen des schadensbezogenen voluntativen Vorsatzelements.
Da bereits der vom Nichtigkeitswerber aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unumgänglich macht, bedarf das übrige Beschwerdevorbringen keiner weiteren Erörterung.
Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird im Übrigen zu beachten sein, dass das inkriminierte Geschehen sogenannte mehrdeutige Verhaltensweisen betrifft, zumal sich Elemente eines aktiven Tuns (hier Mitwirkung bei der Abfassung des Anlassberichts an die Staatsanwaltschaft) mit jenen einer Unterlassung (Nichtvornahme einer Nachschau nach dem von K***** eingesetzten Holzstock und Verschweigen der darauf abstellenden Angaben des M*****) vermischen. In diesen Fällen entspricht dem Gesetz der Grundsatz vom Vorrang des Tuns (vgl Kienapfel, ÖJZ 1976, 284; Kienapfel/Höpfel AT13 Z 28 Rz 25; Hilf in WK2 § 2 Rz 24; 15 Os 69/06w, SSt 2006/85), sodass es keines Rückgriffs auf § 2 StGB bedarf.
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