OGH 12Os139/13b

OGH12Os139/13b8.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael Z***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 19. August 2013, GZ 64 Hv 80/13f‑17, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Gradischnig zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Michael Z***** wird unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG unter Bedachtnahme nach § 31 Abs 1 StGB auf die Urteile des Bezirksgerichts Villach vom 21. September 2004, AZ 5 U 201/04z, und des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 15. Juli 2008, GZ 16 Hv 57/08p‑16, nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Zusatzstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

Der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe wird unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael Z***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1./) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in L*****

1./ im Zeitraum von März 2002 bis August 2002 in zumindest fünf Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an der am 23. Juli 1993 geborenen Geraldine E*****, somit an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er seinen entblößten Penis in beischlafsähnlichen Bewegungen an ihrer entblößten Scheide rieb sowie mit der Zunge an ihrer Scheide leckte;

2./ im März 2002 Geraldine E***** durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, und zwar durch die sinngemäße Äußerung, er werde sie umbringen, sollte sie jemandem von den zu 1./ geschilderten Handlungen etwas erzählen, zu einer Unterlassung, nämlich von einer Mitteilung und in weiterer Folge von einer Anzeigeerstattung abzusehen, genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, gegen den Strafausspruch jene der Staatsanwaltschaft.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Die Verfahrensrüge (Z 4) verfehlt ihr Ziel:

Das Erstgericht konnte die vom Beschwerdeführer zum Beweis dafür beantragte Vernehmung seines Vaters Gerhard Z***** und seiner Schwester Melanie Z*****, dass zur Tatzeit in der gemeinsamen Wohnung auch der Onkel des Opfers Ahmad B***** gewohnt hat, der nicht gearbeitet und nur einmal in der Woche ab 17:00 Uhr einen Deutschkurs besucht hat, sodass er „nicht sicher sein konnte, dass seine Tathandlungen beobachtet werden konnten“, ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abweisen (ON 16 S 22 iVm 24), weil selbst die Anwesenheit anderer Personen in der gemeinsamen Wohnung und die damit verbundene Gefahr der Entdeckung eine auch mehrfache Tatbegehung keineswegs ausschließt.

Das Begehren auf Befragung des Guido N***** zum Nachweis, dass der Angeklagte im März 2002 an Wochentagen, an denen Schulunterricht war, immer von 7:30 Uhr bis 17:00 Uhr arbeitete, verfiel ebenfalls zu Recht der Abweisung, weil das Erstgericht die Richtigkeit der von diesem vorgelegten Arbeits‑, Urlaubs‑ und Krankenkarte aus dem Jahr 2002 ohnehin nicht in Zweifel zog (vgl US 4 iVm ON 16 S 24; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

Soweit die Beschwerde die Abweisung des Antrags auf ergänzende Vernehmung der Geraldine E***** moniert, zielte dieser auf Aufklärung der Widersprüche in deren Aussage, wonach sie bei der Polizei in V***** angegeben hat, ein Telefongespräch mit der Stiefmutter des Angeklagten über die Tathandlungen geführt zu haben, während sie bei Gericht angab, mit dieser ein persönliches Gespräch geführt zu haben (ON 16 S 23), ohne jedoch ein Beweisthema oder auch nur eine nachvollziehbare Begründung dafür zu enthalten, weshalb dies für die Frage der Tatbegehung von Relevanz sein sollte.

Dem Begehren auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fach der Psychiatrie zum Beweis dafür, „ob das Opfer ihre Wahrnehmungen tatsächlich machen konnte, dass das Erinnerungsvermögen gegeben ist und dass sie wahrheitsgemäße Aussagen vor Gericht ablegen kann“, dessen reinen Erkundungscharakter (RIS‑Justiz RS0097230 [T3], RS0118123) bereits dessen Formulierung zeigt (ON 16 S 23), wurde schon deshalb zu Recht nicht gefolgt, weil nicht dargetan wurde, dass die Genannte die erforderliche Zustimmung zur psychologischen Exploration erteilt hätte oder erteilen würde (RIS‑Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614).

Das in der Rüge nachgetragene Vorbringen hat angesichts des sich aus dem Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (vgl RIS‑Justiz RS0099117).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Michael Z***** wurde unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf „die Urteile des Bezirksgerichtes Villach AZ 5 U 201/04z und des Landesgerichtes Klagenfurt AZ 16 Hv 57/08p und AZ 16 Hv 192/05m“ nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

Der gegen den Strafausspruch aus Z 11 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des öffentlichen Anklägers kommt Berechtigung zu.

Liegen zwischen Tatbegehung und Aburteilung mehrere bestrafende Urteile, so ist nur dann nach § 31 Abs 1 StGB auf alle Bedacht zu nehmen, wenn sämtliche Taten vor dem ersten Urteil liegen, somit alle Vor-Urteile durch das in § 31 Abs 1 StGB beschriebene Verhältnis verknüpft sind. Demnach ist auf mehrere miteinander durch tatsächliche Anwendung des § 31 StGB verknüpfte Urteile Bedacht zu nehmen, wenn sämtliche nunmehr abgeurteilten Taten bereits im ersten dieser Verfahren hätten abgeurteilt werden können, also vor dem Urteil erster Instanz in diesem Verfahren begangen wurden (RIS‑Justiz RS0112524; Ratz in WK² § 31 Rz 5 mwN).

Solcherart macht die Staatsanwaltschaft zutreffend geltend, dass die genannten Voraussetzungen für eine Bedachtnahme nach § 31 Abs 1 StGB (über das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 21. September 2004, AZ 5 U 201/04z, hinaus) zwar hinsichtlich des Urteils des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 15. Juli 2008, GZ 16 Hv 57/08p‑16 (Tatzeit 3. Jänner 2004), nicht aber auch in Ansehung der vom Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 22. November 2005, GZ 16 Hv 192/05m‑39, erfassten Tat (vom 10. September 2005) vorlagen.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch aufzuheben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO), dass Michael Z***** unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG unter Bedachtnahme nach § 31 Abs 1 StGB auf die Urteile des Bezirksgerichts Villach vom 21. September 2004, AZ 5 U 201/04z, und des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 15. Juli 2008, GZ 16 Hv 57/08p‑16, nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Zusatzstrafe verurteilt wird.

Bei der somit erforderlichen Strafneubemessung war (angesichts der Bedachtnahme) als mildernd der ordentliche Lebenswandel, die teilweise geständige Verantwortung, das lange Zurückliegen der Taten, der teilweise Versuch und das Wohlverhalten seit der letzten Verurteilung im Jahr 2008, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit Vergehen zu werten.

Die nunmehr verhängte Sanktion von (wiederum) zwölf Monaten Freiheitsstrafe entspricht ungeachtet des gegenüber dem Ersturteil erweiterten Strafrahmens dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des Angeklagten.

Angesichts des Überwiegens der Milderungsgründe, des langjährigen Wohlverhaltens und der sozialen Integration des Angeklagten ist davon auszugehen, dass die bloße Androhung der Vollziehung ausreicht, ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Da auch generalpräventive Aspekte nicht entgegenstehen, konnte die Freiheitsstrafe daher unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen werden.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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