OGH 12Os125/23h

OGH12Os125/23h23.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Besic in der Strafsache gegen * F* wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG, AZ 1 U 53/22p des Bezirksgerichts Schärding, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 14. Juni 2022 (ON 9) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider LL.M., zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00125.23H.1123.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

Das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 14. Juni 2022, GZ 1 U 53/22p‑9, verletzt in seinem Schuldspruch § 27 Abs 2 SMG und § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG.

Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Schärding aufgetragen, das Verfahren nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG durchzuführen.

 

Gründe:

[1] Mit (rechtskräftigem und in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 14. Juni 2022, GZ 1 U 53/22p‑9, wurde * F* des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG schuldig erkannt und nach § 27 Abs 1 SMG zu einer – für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen – Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

[2] Danach hat er „am 3. März 2022 in S* und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Fentanyl in nicht feststellbaren Mengen für den Eigenkonsum erworben und besessen“ (US 2).

[3] Feststellungen, weshalb das Bezirksgericht die Diversionsvoraussetzungen nach §§ 35, 37 SMG für nicht gegeben ansah, sind dem Urteil nicht zu entnehmen.

Rechtliche Beurteilung

 

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletztder Schuldspruch das Gesetz:

[5] Wird ein Urteil in gekürzter Form ausgefertigt, so hat diese Ausfertigung gemäß § 270 Abs 4 StPO – welche Bestimmung § 447 StPO zufolge auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht gilt – die in § 270 Abs 2 StPO erwähnten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe (Z 1), im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung sowie die für die Strafbemessung und gegebenenfalls die für die Bemessung des Tagessatzes maßgebenden Umstände in Schlagworten (Z 2) zu enthalten. Beim gekürzt ausgefertigten Urteil ersetzt der Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiell‑rechtliche Beurteilung (RIS‑Justiz RS0125764 [T4]).

[6] Da der Verurteilte den Feststellungen zufolge das Suchtgift „für den Eigenkonsum“ – und demnach zum (hier: eigenen) „persönlichen Gebrauch“ (vgl dazu RIS‑Justiz RS0124624 und RS0131952) – erworben und besessen hat, somit das privilegierende Schuldmerkmal des § 27 Abs 2 SMG erfüllt, wäre der Sachverhalt auch dem § 27 Abs 2 SMG zu unterstellen gewesen. Die unterbliebene Subsumtion der im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) geschilderten Tat auch unter § 27 Abs 2 SMG steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[7] Gemäß § 37 SMG hat nach Einbringen der Anklage das Gericht die §§ 35 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

[8] Wurden durch die Tat § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG verwirklicht, so ist Diversion nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG – bei Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – stets geboten (vgl RIS‑Justiz RS0131952 [T1]).

[9] Fallaktuell steht der Verurteilung entgegen, dass das Bezirksgericht in der gekürzten Urteilsausfertigung keine ein Vorgehen nach § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG ausschließenden Feststellungen traf (vgl RIS‑Justiz RS0125764 [T3], RS0119091 [T9]).

[10] Da der Schuldspruch zum Nachteil des Angeklagten wirkt, war die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung wie im Spruch ersichtlich zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

[11] Mit Blick auf das Referat der entscheidenden Tatsachen und die im Fall einer Verurteilung gebotenen, vom Bezirksgericht gegenständlich aber unterlassenen Feststellungen zum Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für einen vorläufigen Rücktritt von einer Verfolgung war dem Bezirksgericht zunächst die Abklärung der gesetzlichen Voraussetzungen, also die Durchführung des Verfahrens nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG aufzutragen (11 Os 129/14a, vgl § 288 Abs 2 Z 2a StPO).

[12] Hinzugefügt sei, dass die Fortsetzung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft (§ 38 Abs 1a Z 1 SMG), weil der Angeklagte zu einer Begutachtung nicht erschienen war (ON 1.3 S 1 und ON 4.2 S 1), das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung nicht von der (eigenständigen) Prüfung der Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen im Sinn des § 35 SMG entbindet und die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermag (vgl Tomasits in Hinterhofer, SMG2 § 38 Rz 24).

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