OGH 12Os120/83

OGH12Os120/836.10.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon. Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Ramschak-Heschgl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhold A wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 31. Jänner 1983, GZ 17 b E Vr 2757/82- 9, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Reinhold A, AZ 17 b E Vr 2.757/82 des Landesgerichtes Feldkirch, verletzen die Durchführung des Strafverfahrens vor dem Einzelrichter und das durch diesen gefällte Urteil vom 31. Jänner 1983, ON 9, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 1 Z 4, 31 Abs. 1 JGG sowie des § 485 Abs. 1 Z 2 StPO. Das Urteil dieses Gerichtes vom 31. Jänner 1983, GZ 17 b E Vr 2.757/82-9, wird aufgehoben und es wird dem Landesgericht Feldkirch aufgetragen, dem Gesetz entsprechend vorzugehen.

Mit ihrer Berufung gegen das zuletzt genannte Urteil wird die Staatsanwaltschaft Feldkirch auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Am 25. Oktober 1982 (S 9 d.A) langte beim Bezirksgericht Feldkirch die Anzeige E Nr 934/82 des Gendarmeriepostenkommandos Gisingen gegen Reinhold A und Christian B ein, wonach den Genannten vorgeworfen wurde, am 16. Oktober 1982 gegen 23 Uhr dem linken vorderen Reifen des Dienstfahrzeuges BG 8.050, das beim Lokal 'C' in Tosters abgestellt war, die Luft ausgelassen zu haben. Gemäß dem Antrag des Bezirksanwaltes beim Bezirksgericht Feldkirch vom 12. November 1982 wurde der Strafakt der Staatsanwaltschaft Feldkirch gemäß § 450 StPO zur Einsicht und Antragstellung übermittelt. Die Staatsanwaltschaft Feldkirch stellte gegen den am 17. Dezember 1963 geborenen Christian B, der zum Tatzeitpunkt sohin bereits das 18. Lebensjahr überschritten hatte, Strafantrag beim Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch und begehrte gleichzeitig die Ausscheidung des Verfahrens gegen den am 4. November 1964 geborenen Reinhold A, der also zur Tatzeit noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, daher einer Jugendstraftat verdächtig war.

Am 22. Dezember 1982 (S 19 d.A) langte beim Landesgericht Feldkirch der Akt gegen Reinhold A mit einem Strafantrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen den Genannten wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB ein, wobei beantragt wurde, bei der Strafbemessung § 11 JGG anzuwenden. In der übermittlungsnote verwies die Staatsanwaltschaft Feldkirch darauf, daß der Beschuldigte zur Zeit der 'Anzeigeeinlangung bei der Staatsanwaltschaft' ebenfalls bereits über 18 Jahre alt gewesen sei, womit ersichtlich die Ansicht der Anklagebehörde, daß zwar eine Jugendstraftat (§ 1 Z 3 JGG) nicht aber eine Jugendstrafsache (§ 1 Z 4 JGG) vorliege (somit die funktionelle Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichtes Feldkirch im Sinne des § 13 Abs. 2 StPO auch für das Verfahren gegen Reinhold A gegeben sei), begründet werden sollte.

Der Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch übernahm diese (irrige) Rechtsansicht und verhandelte am 31.Jänner 1983 über den Strafantrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch (17 b E Vr 2757/82-8 des Landesgerichtes Feldkirch).

Er nahm im Urteil als erwiesen an, daß Reinhold A am 16. Oktober 1982 in Gesellschaft mit dem abgesondert verfolgten Christian B in Feldkirch-Tosters den Reifen des linken Vorderrades des Dienstfahrzeuges der Gendarmerie BG 8.050 entlüftet hat, wobei es seine Absicht war, das Dienstfahrzeug der Gendarmerie fahruntüchtig zu machen (S 29). Er sprach Reinhold A aber gemäß § 259 Z 4 StPO frei, da er - wie er in der schriftlichen Urteilsausfertigung einräumte - von der (weiteren) irrigen Annahme ausgegangen war, daß im Hinblick auf § 11 Z 1 JGG die Obergrenze des Strafrahmens nur ein Jahr Freiheitsstrafe betrage, und damit übersah, daß gemäß § 11 Z 2 JGG bei Anwendung des § 42 StGB nicht von den durch die Z 1 des § 11 JGG geänderten Strafdrohungen auszugehen ist, weshalb vorliegend die Anwendung des § 42 StGB im Hinblick auf die gesetzliche Strafdrohung des § 126 StGB, welche bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe reicht, unzulässig war.

Diesen Freispruch als solchen nicht aber auch die Nichtanwendung der besonderen Verfahrensbestimmungen des JGG insbesondere den Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmung des § 31 Abs. 1 JGG, hat die Staatsanwaltschaft Feldkirch rechtzeitig mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit b (§§ 468 Abs. 1 Z 4, 489 Abs. 1) StPO gestützten Berufung wegen Nichtigkeit bekämpft, welche dem Oberlandesgericht Innsbruck vorgelegt, über die aber noch nicht entschieden wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung des Strafverfahrens einschließlich der Urteilsfällung am 31. Jänner 1983 durch den Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 1 Z 4 und 31 Abs. 1 JGG in Verbindung mit § 32 Abs. 2 und 3 JGG, überdies aber auch in der Bestimmung des § 485 Abs. 1 Z 2 StPO. Denn Jugendstrafsachen im Sinne des § 1 Z 4 JGG sind alle Strafverfahren gegen Beschuldigte (Angeklagte), die zur Zeit der Einleitung des Verfahrens das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Für die Einleitung des Verfahrens kommt es hiebei entgegen der in ihrer übermittlungsnote vom 9. Dezember 1982 zum Ausdruck gebrachten und ersichtlich vom Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch geteilten Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Feldkirch nicht auf den Zeitpunkt des Eintreffens der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, sondern auf jenen des Einlangens derselben bei Gericht an (vgl SSt 43/ 7). Bei Gericht eingelangt ist die Anzeige vorliegend nach dem eingangs Gesagten aber bereits am 25. Oktober 1982, also zu einem Zeitpunkt, als der (am 4. November 1964 geborene) Angeklagte Reinhold A das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, wobei es keine Rolle spielt, daß das Bezirksgericht Feldkirch, bei dem die Anzeige einlangte, für die Verhandlung und Entscheidung in der Strafsache sachlich nicht zuständig war (vgl EvBl 1976/189). Es handelt sich demnach in Ansehung des Reinhold A um eine Jugendstrafsache, wobei mit Rücksicht auf die Beurteilung des angezeigten Sachverhaltes als Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB (SSt 49/44) die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung gemäß § 31 Abs. 1 JGG durch ein Schöffengericht in der im § 32 Abs. 2 und 3 JGG vorgesehenen Besetzung unter Beachtung der in Betracht kommenden weiteren Vorschriften des III. und VII. Hauptstückes des Jugendgerichtsgesetzes (ausgenommen also jene, die nur anzuwenden sind, wenn der Angeklagte zur Zeit der betreffenden Prozeßhandlung noch Jugendlicher ist) hätte erfolgen müssen. Auf Grund dieser Gesetzeslage hätte der Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch schon nach Einlangen des Strafantrages seine Unzuständigkeit erkennen, die Ausschreibung einer Hauptverhandlung unterlassen und statt dessen gemäß § 485 Abs. 1 Z 2 StPO die Entscheidung der Ratskammer einholen müssen.

Der durch die erwähnte nicht gehörige Besetzung des erkennenden Gerichtes verwirklichte (formelle) Nichtigkeitsgrund des § 468 Z 1 (§ 489 Abs. 1) StPO ist, wie schon vorstehend ausgeführt, von der Staatsanwaltschaft nicht geltend gemacht worden und kann daher im noch anhängigen ordentlichen Rechtsmittelverfahren über den vom Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch (irrtümlich) gefällten Freispruch gemäß § 259 Z 4 StPO nicht gemäß § 477 Abs. 1 (§ 489 Abs. 1) StPO behoben werden. Vielmehr müßte das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht seiner Entscheidung über die Nichtigkeitsberufung der Staatsanwaltschaft Feldkirch den vom Erstrichter festgestellten Sachverhalt zugrundelegen und - zumal der von der Staatsanwaltschaft geltend gemachte materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund vorliegt und der vom Erstrichter festgestellte Sachverhalt nach den unangefochtenen und der Rechtsmittelentscheidung zugrunde zu legenden Urteilsfeststellungen alle objektiven und subjektiven Tatbildmerkmale des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB verwirklicht (vgl SSt 49/44) - ungeachtet der dem Verfahren anhaftenden Fehler wenigstens unter Aufhebung des aus dem Grunde des § 42 StGB freisprechenden Urteils über den Angeklagten einen Schuldspruch (§ 13 Abs. 1 JGG) fällen. Dem Angeklagten könnte damit aus der dem Landesgericht Feldkirch unterlaufenen, hier aufgezeigten Gesetzesverletzung ein Nachteil erwachsen. Es war daher im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes die Aufhebung des Urteiles des Landesgerichtes Feldkirch vom 31. Jänner 1983, GZ 17 b E Vr 2.757/82-9 und die Verfahrenserneuerung ab Anordnung der Hauptverhandlung zu erwirken. Sollte der Strafantrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch nicht durch eine Anklageschrift ausgetauscht werden, wird gemäß § 485 Abs. 1 Z 2 StPO die Entscheidung der Ratskammer eingeholt werden müssen. Auf Grund der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu erkennen.

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