OGH 12Os105/23t

OGH12Os105/23t19.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Besic in der Strafsache gegen * P* und eine Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten P* gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 4. Juli 2023, GZ 37 Hv 117/22v‑64.1, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00105.23T.1019.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des * P* zu I./, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird * P* auf die Urteilsaufhebung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./) sowie jeweils eines Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (II./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (III./), der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (IV./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (V./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in G* und an anderen Orten

I./ am 11. März 2022 M* O* durch das Versetzen eines Kopfstoßes gegen ihren Mund absichtlich eine an sich schwere Körperverletzung in Form von Lockerung von mehreren Zähnen mit vollständiger Lösung von zwei Zähnen aus der Knochenverankerung zugefügt;

II./ von August 2021 bis zum 11. März 2022 vorsätzlich gegen M* O* fortgesetzt Gewalt dadurch ausgeübt, dass er

1./ sie in zahlreichen Angriffen zum Teil vorsätzlich am Körper vor allem in Form von Hämatomen verletzte und zu verletzen versuchte und zum Teil vorsätzlich am Körper misshandelte, indem er sie im September 2021 am Hals packte, sie gegen die Wand drückte, sie würgte und sie auf den Boden warf, ihr am 23. Dezember 2021 einen Faustschlag in ihr Gesicht versetzte, im März 2022 die Beifahrertüre eines PKWs mehrmals gegen ihre Beine schlug und sie in dieser Zeit in regelmäßigen Abständen von mehreren Tagen schlug und würgte;

2./ sie am 5. Jänner 2022 zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung an einer Sympathieperson gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr gegenüber äußerte: „Wenn er (gemeint: * H*) kommt, dann haue ich ihm mit dem Hammer den Schädel ein!“

III./ M* O* am 28. Juli 2022 mit der Zufügung einer Körperverletzung gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er äußerte: „Wenn du jetzt gehst, werde ich dich mit dem Messer abstechen!“

IV./ zu einer nicht näher bekannten Zeit zwischen Weihnachten 2021 und März 2022 E* O* widerrechtlich gefangen gehalten, indem er sich für ca 30 Minuten mit ihm in einem Zimmer einsperrte und ihn gegen seinen ausdrücklich artikulierten Willen durch Festhalten am Verlassen des Zimmers hinderte;

V./ M* O* am 28. Juli 2022 in Form von Hämatomen am Rücken und am Oberarm am Körper verletzt, indem er ihr einen heftigen Stoß versetzte, wodurch sie gegen einen Kasten prallte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P* schlägt fehl.

[4] Der gegen den Schuldspruch I./ gerichteten Mängelrüge (Z 5) zuwider ist der aus dem objektiven Geschehen gezogene Schluss des Schöffengerichts auf absichtliches Handeln des Angeklagten (US 15) keine „Scheinbegründung“, sondern unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

[5] Die Angaben der im Rechtsmittel angeführten Zeugen W*, P* und T* hat das Erstgericht dem Beschwerdevorbringen zuwider nicht zur Begründung der subjektiven Ausrichtung herangezogen, sodass sich ein Eingehen darauf erübrigt.

[6] Die weitere Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) übersieht, dass ein Zeugnis ein Bericht über sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen ist, die der Vergangenheit angehören. Nur Tatsachenbekundungen stellen eine Aussage dar. Subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge können daher grundsätzlich nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein, sondern nur die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Prämissen. Daher mussten sich die Tatrichter mit Einschätzungen des Opfers dazu, ob der Angeklagte den Kopfstoß absichtlich gesetzt hat, nicht befassen (vgl zum Ganzen RIS‑Justiz RS0097540 [insb T18]).

[7] Soweit das Rechtsmittel die Konstatierungen zur Absichtlichkeit mit dem Hinweis auf das Vorliegen einer von gegenseitigen Tätlichkeiten geprägten Streitsituation und auf die zum Tatzeitpunkt aufrechte Lebensgemeinschaft in Frage stellt, bekämpft es bloß die tatrichterlichen Feststellungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unbeachtlichen Schuldberufung.

[8] Die Kritik am Fehlen von Feststellungen dazu, ob die Verletzungen als „schwer“ einzustufen sind, geht schon deshalb ins Leere, weil es sich bei diesem Kriterium um eine Rechtsfrage handelt (RIS‑Justiz RS0092554; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 84 Rz 12).

[9] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

[10] Ausgehend davon weckt die Beschwerde keine erheblichen Bedenken gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.

[11] Denn sie erschöpft sich in der bloßen Wiederholung der Argumentation der Mängelrüge und in einer weitwendigen, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung vorgetragenen Kritik, dass die Tatrichter aufgrund der – im Übrigen ohnedies berücksichtigten (US 10 f) – „Inkonsistenzen“ in den Angaben der M* O* der leugnenden Einlassung des Angeklagten folgen hätten müssen.

[12] Mit dem zum Schuldspruch A./II./ erhobenen Einwand, aus den Depositionen der Zeugen P* und W* hätten sich keine Hinweise für regelmäßige Übergriffe im Sinn einer fortgesetzten Gewaltausübung (§ 107b Abs 1 StGB) ergeben, bekämpft der Beschwerdeführer erneut bloß die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung.

[13] Gleiches gilt für die Argumentation zum Schuldspruch A./IV./, das Erstgericht hätte sich hinsichtlich der zeitlichen Dimension nicht auf die Aussage der Zeugin W* stützen dürfen, sondern vielmehr die Einlassung des Angeklagten und der M* O* berücksichtigen müssen, wonach die Freiheitsbeschränkung des E* O* (Schuldspruch A./IV./) lediglich fünf bis zehn Minuten gedauert hätte.

[14] Hingegen wendet die – mit dem Ziel einer Tatbeurteilung nach § 83 Abs 1 StGB erhobene – Subsumtionsrüge (Z 10) gegen den Schuldspruch A./I./ zutreffend ein, dass die Feststellungen zu den Verletzungsfolgen, nämlich die Lockerung mehrerer Zähne und die vollständige Ablösung zweier Zähne des Opfers aus der Knochenverankerung (US 6), die rechtliche Bewertung als an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) – und somit die Subsumtion nach § 87 Abs 1 StGB – nicht ermöglichen.

[15] Denn der Verlust oder die Schädigung von Zähnen ist differenzierend zu beurteilen (Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 84 Rz 24): Selbst bei (hier gar nicht ausdrücklich konstatiertem) Verlust eines oder mehrerer Zähne stellt die Rechtsprechung wesentlich darauf ab, ob damit eine wesentliche Beeinträchtigung der Kau‑ und/oder der Beißfunktion verbunden ist. Abgesehen von der Anzahl der verletzten Zähne kommt es insbesondere darauf an, ob sie gesund waren, ob sie in einer vollen Zahnreihe oder isoliert standen, ob ihre Antagonisten vorhanden sind und ob die Zähne abgebrochen oder samt den Wurzeln herausgeschlagen wurden (vgl RIS‑Justiz RS0092546 [T1, T2]; insb 11 Os 186/82 zur weiteren Erörterungsbedürftigkeit des Abbruchs von zwei Schneidezähnen; Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 84 Rz 24; Kienapfel/Schroll, BT I5 § 84 Rz 16; Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB4 § 84 Rz 18 mwN). Zu diesen Anforderungen hat das Schöffengericht aber keine ausreichenden Konstatierungen getroffen.

[16] Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur ist Urteilsaufhebung bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) Folge dieses Rechtsfehlers mangels Feststellungen.

[17] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[18] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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