OGH 12Ns55/22t

OGH12Ns55/22t22.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Jugendstrafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 145 Hv 26/22i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über Vorlage gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Wien, AZ 21 Bs 148/22a, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120NS00055.22T.1122.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

 

Gründe:

[1] Mit beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebrachter Anklageschrift vom 4. Mai 2022 (ON 23) legt die Staatsanwaltschaft Linz dem am 21. April 2006 geborenen * K* als Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (Punkt Ⅱ. der Anklageschrift) sowie als Verbrechen der schweren Körperverletzung (richtig) nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB (Punkt Ⅰ. der Angeklageschrift) beurteilteHandlungen zur Last.

[2] Gegen diese Anklageschrift erhob * K* keinen Einspruch.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Akten wurden von der Vorsitzenden des Schöffengerichts wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO dem Oberlandesgericht Wien und von diesem – weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 5 sowie 7 und 8 StPO genannten Gründe (vgl RIS‑Justiz RS0124585) gemäß §§ 213 Abs 6 letzter Satz, 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[4] Für Jugendstrafsachen ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte zu Beginn des Strafverfahrens (§ 1 Abs 2 StPO) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder hatte (§ 29 JGG). Das Strafverfahren beginnt, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) nach den Bestimmungen des 2. Teils dieses Bundesgesetzes ermitteln; es ist solange als Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter oder die verdächtige Person zu führen, als nicht eine Person aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben (§ 48 Abs 1 Z 2 StPO), danach wird es als Ermittlungsverfahren gegen diese Person als Beschuldigten geführt (§ 1 Abs 2 StPO).

[5] Nach dem Akteninhalt (vgl zu dessen Maßgeblichkeit RIS‑Justiz RS0131309 [T3]) ermittelte die Kriminalpolizei aufgrund einer Videoaufzeichnung von den hier in Rede stehenden Handlungen zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3 StPO) gegen fünf unbekannte Täter. Im Zeitraum 14. Jänner 2022 bis 16. Jänner 2022 forschte die Kriminalpolizei die Namen von fünf Personen aus, worauf sie das Ermittlungsverfahren gegen fünf (aufgrund bestimmter Tatsachen) konkret verdächtige Personen, mit anderen Worten gegen fünf Beschuldigte (weiter‑)führte und in weiterer Folge am 5. Februar 2022 (erstmals) der Staatsanwaltschaft gemäß § 100 Abs 2 Z 2 StPO (ON 2) berichtete.

[6] Erst aufgrund der Ergebnisse der Vernehmung des Beschuldigten * A* am 22. März 2022 ermittelte die Kriminalpolizei (zur Aufklärung eines Anfangsverdachts iSd § 1 Abs 3 StPO) gegen eine sechste, damals namentlich nicht bekannte Person (ON 12.2, 3). Die Identifizierung dieser Person als * K* brachte die Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft am 7. April 2022 zur Kenntnis (ON 16). Am 8. April 2022 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen A* gemäß § 190 Z 2 StPO ein (ON 1.9, 1) und erhob Anklageschrift gegen die vier anderen Beschuldigten (ON 20), nicht aber gegen K*. Dessen Beschuldigtenvernehmung führte die Kriminalpolizei am 3. Mai 2022 durch (ON 22). Seit 3. Februar 2022 hat K* seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wien (ON 18.2, 3; ON 30).

[7] Für die örtliche Zuständigkeit (§ 29 JGG) des Landesgerichts als Jugendschöffengericht im Strafverfahren gegen K* kommt es nicht auf den vor dem 3. Februar 2022 gelegenen Beginn des Strafverfahrens gegen die fünf anderen, von der Anklageschrift gar nicht umfassten (zunächst unbekannten und in der Folge konkret verdächtigen) Personen an (vgl zum hier nicht vorliegenden Fall der Anklage gegen mehrere tatbeteiligte jugendliche Angeklagte Schroll in WK² JGG § 29 Rz 10/1 iVm Rz 9/1). Da hinsichtlich K* das Strafverfahren – ausgehend vom vorstehend geschilderten Verfahrensverlauf – nach dem 2. Februar 2022 begann, begründet sein gewöhnlicher Aufenthalt ab 3. Februar 2022 in Wien die örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren.

[8] Daher war die Sache dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO die Sache dem zuständigen Landesgericht zuzuweisen hat (vgl 14 Ns 41/14m).

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