European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00093.20S.1102.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden die Angeklagten Leotrim A***** und Aladin Al***** jeweils zweier Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A***** zu I./A./1./ und 2./; Al***** zu II./ iVm I./A./1./ und I./A./2./ als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB), sowie Leotrim A***** darüber hinaus auch eines Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (I./B./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben am 15. Dezember 2019 in S*****
I./ Leotrim A*****
A./ nachstehende Personen zu töten versucht, und zwar
1./ Rilind T*****, indem er ihm mit einem Butterfly‑Messer einen wuchtigen Stich in den linken Bauchraum versetzte, wodurch der Genannte eine Stichwunde am linken Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle erlitt;
2./ Daniel S*****, indem er ihm mit einem Butterfly‑Messer einen Stich in den Rücken versetzte, wodurch der Genannte eine Stichverletzung in der linken Lendenregion erlitt;
B./ wenn auch nur fahrlässig eine Waffe, nämlich das zu I./A./ genannte Butterfly‑Messer besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war;
II./ Aladin Al***** zur Ausführung der in I./A./ beschriebenen Taten des Leotrim A***** beigetragen, indem er diesem sein Butterfly‑Messer überließ und Daniel S***** körperlich attackierte, während Leotrim A***** auf den Genannten einstach.
[3] Die Geschworenen bejahten die anklagekonformen Hauptfragen in Richtung Mord nach §§ 15, 75 StGB (I./, II./) bzw nach §§ 12 3. Fall; 15, 75 StGB (IV./, V./) und nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (III./). Die in Ansehung des Angeklagten Leotrim A***** jeweils in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB gestellten Eventualfragen blieben demnach unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen dieses Urteil wenden sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A***** (Schuldsprüche I./A./) und die aus „Z 6 in Verbindung mit Z 8 und Z 11 lit a“ und Z 6 des § 345 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Al*****.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A*****:
[5] Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) die begehrte Frage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS‑Justiz RS0100860). Weiters darf der Rechtsmittelwerber den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage isoliert herausgegriffener Teile von Beweisergebnissen führen, sondern hat diese in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0120766).
[6] Diesen Erfordernissen wird das Rechtsmittel nicht gerecht, das die Unterlassung der Stellung von Eventualfragen in Richtung § 84 Abs 4 StGB zur Hauptfrage I./ und in Richtung § 83 Abs 1 StGB zur Hauptfrage II./ kritisiert.
Die konkreten Taten erfolgten mit einem Butterfly‑Messer, betreffend T***** durch einen wuchtigen Stich in den linken Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle, betreffend S***** durch einen Stich gegen den Rücken, was zu einer Stichverletzung im Bereich der linken Lendenregion führte. Der Rechtsmittelwerber bekannte sich eingangs der Hauptverhandlung – bei verständiger Lesart seiner unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Anklageschrift (ON 50) und die Gegenäußerung seines Verteidigers erfolgten Erklärung – der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig (ON 79 S 3). Indem die Nichtigkeitsbeschwerde diesen Kontext vernachlässigt und bloß selektiv den Tötungsvorsatz in Abrede stellende Aussagepassagen (ON 79 S 8 f) hervorhebt, verfehlt sie mangels Berücksichtigung der Aussage in ihrer Gesamtheit (im Übrigen vom Verteidiger selbst im Schlussvortrag als „geständige Verantwortung ... nach § 87 StGB“ bezeichnet – ON 81 S 19 f) die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes. Weshalb diese Verantwortung in ihrer Gesamtheit bei Berücksichtigung der konkreten Tatumstände ein ernst zu nehmendes Indiz für einen (bloß) bedingten Vorsatz darstellen soll, T***** schwer und S***** (bloß) leicht am Körper zu verletzen, lässt die Beschwerde nicht erkennen.
[7] Auch soweit sie die Alkoholisierung des Nichtigkeitswerbers zum Tatzeitpunkt betont und auf die von T***** getragene Kleidung (eine bei der Tat immerhin durchstochene Lederjacke) hinweist, werden keine die begehrte Fragestellung ernsthaft indizierenden Verfahrensergebnisse aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0132012).
[8] Ebensowenig stellt die im gerichtsmedizinischen Gutachten dokumentierte, aus medizinischer Sicht ex post als „leicht“ einzustufende Verletzung des Daniel S***** (ON 43 S 12; ON 81 S 11) ein ernst zu nehmendes Indiz für einen (bloß) bedingten Vorsatz auf Zufügung einer nur leichten Verletzung im Tatzeitpunkt dar (RIS‑Justiz RS0119417).
[9] Der Umstand, dass die Art der Tat nicht zwingend zum Tod eines Menschen führt, kann im Übrigen zwar eine Schlussfolgerung nach bloßem Verletzungsvorsatz denkbar erscheinen lassen, begründet für sich allein aber ebenfalls keinen die hier gewünschte Fragestellung erfordernden Umstand (RIS‑Justiz RS0117447 [T12]).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Aladin Al*****:
[10] Die Fragenrüge (Z 6) behauptet zunächst eine Undeutlichkeit der Schuldfragen infolge der Verwendung des nach Ansicht des Rechtsmittelwerbers „mehrdeutigen“ Begriffs des „Überlassens“. Weshalb die in den Hauptfragen IV./ und V./ gebrauchte Formulierung, „... indem er sein Butterfly‑Messer dem Leotrim A***** überließ …, wobei er mit dem Vorsatz gehandelt hat, dass … getötet wird, ...“, auch „als passives Verhalten (Unterlassen)“ und „Aufgabe der Abwehr der Abnahmeversuche des Erstangeklagten“ verstanden werden könnte, macht die Beschwerde mit dem Hinweis auf bloß in anderem Zusammenhang denkmögliche Wortbedeutungen nicht klar.
[11] Die auf einer solchen – zudem mit beweiswürdigenden Erwägungen zur in der Hauptverhandlung vorgeführten Videoaufzeichnung des Vorfalls verbundene – Interpretation des im konkreten Kontext verwendeten Begriffs „Überlassen“ aufbauende Kritik an der Rechtsbelehrung (Z 8) entzieht sich somit ebenso einer inhaltlichen Antwort wie die aus einer vermeintlichen „Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit des Begriffs 'überlassen'“ abgeleitete Behauptung eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen (Z 11 lit a).
[12] Die weitere Fragenrüge (Z 6) vermisst gleichfalls Eventualfragen in Richtung des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (jeweils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB). Auch sie bezeichnet dabei allerdings kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes, die Stellung derartiger Fragen ernsthaft indizierendes Tatsachensubstrat (Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 23; RIS‑Justiz RS0100860 und RS0117447 [T4]).
Der Beschwerdeführer selbst hatte nämlich die ihm zur Last gelegten Taten, insbesondere einen Tötungs- oder Verletzungsvorsatz geleugnet und davon gesprochen, das Messer sei ihm gegen seinen Willen aus der Hand genommen bzw gerissen worden (ON 79 S 14–20), sodass bei Wahrheit seiner Behauptung mit einer Verneinung der ihn betreffenden Hauptfragen und damit mit Freispruch, nicht aber mit einer Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz vorzugehen gewesen wäre. Das völlige Bestreiten des Tatvorwurfs schließt – dem Beschwerdevorbringen zuwider – gerade nicht eine Verantwortung des Nichtigkeitswerbers mit ein, dass er zwar nicht mit dem ihm vorgeworfenen bedingten (Tötungs-)Vorsatz, wohl aber mit dem Vorsatz auf Zufügung einer Verletzung am Körper vorgegangen sei (vgl etwa 14 Os 116/99; 15 Os 77/15k).
Weshalb in diesem Kontext gerade die (einen eigenen Tötungsvorsatz leugnende) Verantwortung des Mitangeklagten A***** (vgl ON 79 S 5 f, 8 f) eine auf Aggressionshandlungen des unmittelbaren Täters gegen die Opfer und auf deren Verletzung gerichtete Intention des Beschwerdeführers indizieren sollte, macht die Beschwerde nicht klar (RIS‑Justiz RS0100634; RS0100991).
[13] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit dem Croquis – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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