Spruch:
Es verletzen das Gesetz
1. das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. Mai 2006, GZ 22 Hv 211/05m-35, in der Bestimmung des § 29 StGB;
2. die (sofortige) Fällung des Urteiles des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. September 2006, AZ 7 Bs 414/06z (ON 50 des Aktes AZ 22 Hv 211/05m des Landesgerichtes Innsbruck), ohne Anhörung der Parteien zu dem (in Richtung einer Tatbeurteilung nach § 141 Abs 1 und 15 StGB) geänderten rechtlichen Gesichtspunkt in der Bestimmung des § 262 StPO iVm §§ 474 und 489 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. Mai 2006, GZ 22 Hv 211/05m-35, das auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch enthält, wurde Miluse N***** - im Sinne der Anklage (ON 4 in ON 8 sowie ON 4 in ON 30), jedoch rechtlich verfehlt - „des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB" schuldig erkannt, weil sie mit einem auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz fremde bewegliche Sachen, nämlich (I./) am 15. Juni 2005 in Kufstein Verfügungsberechtigten des Bezirkskrankenhauses Kufstein eine Flasche des suchtmittelhältigen Medikamentes Paracodein weggenommen, und (II./) am 8. April 2006 einem Verfügungsberechtigten des Seniorenheimes Wörgl diverse Medikamente, insbesondere Beruhigungsmittel, wegzunehmen versucht hatte.
Gegen dieses Urteil erhob die Angeklagte Berufung wegen Nichtigkeit (§§ 468 Abs 1 Z 4, 281 Abs 1 Z 11 iVm § 489 Abs 1 StPO) und Strafe (ON 43).
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hob mit Urteil vom 28. September 2006, AZ 7 Bs 414/06z (ON 50 des Hv-Aktes), das angefochtene Urteil aus Anlass der Berufung in amtswegiger Wahrnehmung einer Urteilsnichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO (§ 489 Abs 1 iVm § 477 Abs 1 zweiter Satz StPO) nach einer Beweiswiederholung zu den durch Feststellungen des Ersturteiles ungeklärt gebliebenen, seiner Ansicht nach jedoch durch erstinstanzliche Verfahrensergebnisse indizierten Privilegierungsmerkmalen des § 141 Abs 1 StGB (nämlich einer jeweiligen Tatbegehung zur Befriedigung eines Gelüstes) auf und sprach die Angeklagte mangels einer solcherart (§ 141 Abs 2 StGB) erforderlichen Ermächtigung der jeweils Verletzten zur Strafverfolgung von beiden Anklagepunkten gemäß § 259 Z 3 StPO frei. Eine Erörterung der vom Berufungsgericht solcherart ins Auge gefassten geänderten rechtlichen Gesichtspunkte mit den Verfahrensparteien im Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung vom 28. September 2006 ist indes unterblieben (ON 49).
Rechtliche Beurteilung
Das Vorgehen des Gerichtshofes zweiter Instanz sowie das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck verletzen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - das Gesetz.
Nach dem Zusammenrechnungsprinzip des § 29 StGB bilden alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen oder einzelne beim Versuch geblieben sein, bei der rechtlichen Beurteilung eine Subsumtionseinheit (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO). Die getrennte Subsumtion der beiden selbständigen (in einem Fall in der Entwicklungsstufe des Versuches verbliebenen) Diebstahlstaten als zwei gesonderte strafbare Handlungen im Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 30. Mai 2006 war daher verfehlt (Ratz in WK2 § 29 StGB Rz 5; RIS-Justiz RS0114927).
Nach der - gemäß §§ 474 iVm 489 Abs 1 StPO auch im Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Einzelrichters des Gerichtshofes erster Instanz geltenden (SSt 30/73) - Vorschrift des § 262 StPO hat das Gericht, wenn es eine andere als die in der Anklage bezeichnete (nicht einem Gericht höherer Ordnung vorbehaltene) strafbare Handlung für verwirklicht erachtet, vor der Urteilsfällung die Parteien über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt zu hören und über einen allfälligen Vertagungsantrag zu entscheiden. Gelangt das Gericht daher zur Ansicht, dass eine angeklagte Tat - anklagedifform - rechtlich als eine andere strafbare Handlung zu beurteilen ist, so hat es in Befolgung des § 262 StPO den Parteien seinen von der Anklage abweichenden Rechtsstandpunkt mitzuteilen, um jenen solcherart Gelegenheit zu geben, sich hiezu zu äußern und gegebenenfalls entsprechende Anträge zu stellen (14 Os 34/00, EvBl 2000/221, 909; RIS-Justiz RS0113755).
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hätte daher die Parteien über den nach der Beweiswiederholung geänderten rechtlichen Gesichtspunkt einer Tatbeurteilung nach §§ 141 Abs 1 (und 15) StGB in Kenntnis zu setzen gehabt. Indem der Gerichtshof zweiter Instanz dies unter Hintansetzung der in Rede stehenden Verfahrensvorschriften zu Gunsten einer sofortigen Urteilsfällung (§ 259 Z 3 StPO) unterließ, wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 262 StPO verletzt. Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen letztlich nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben, kann es mit der Feststellung des Gesetzesverstoßes sein Bewenden haben.
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