European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00085.18M.1113.000
Spruch:
1./ In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten Werner Schw*****, Ruth Sch*****, Daniel S*****, Anita K***** und Bettina A***** wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Freisprüchen zu I./7./ (nur in Betreff des Daniel S*****), I./24./ und I./26./ aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
2./ Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Privatbeteiligten Michèle Li*****, Katharina St*****, Helmut S*****, Susanne S*****, Anita S*****, Siegfried La*****, Ursula La*****, Markus Scha*****, Sabrina Scha***** und Vasilica Sta***** werden verworfen.
3./ Den zu 2./ genannten Privatbeteiligten fallen die durch ihr ganz erfolglos gebliebenes Rechtsmittel verursachten Kosten des Strafverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen – auch einen rechtskräftigen Schuldspruch wegen Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (III./) enthaltenden – Urteil wurde Klaus Z***** gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe
I./ im Zeitraum von Anfang 2006 bis 31. Oktober 2010 in G***** und andernorts als Kundenbetreuer in zahlreichen Angriffen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung schwerer Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, „Berechtigte der L***** AG durch Vorlage von Barauszahlungsbelegen, die zum Teil von Kunden des genannten Finanzinstituts blanko unterfertigt und in der Folge vom Angeklagten abredewidrig ausgefüllt sowie von ihm zum Teil mit einer gefälschten Kundenunterschrift unterzeichnet worden waren, in Verbindung mit der wahrheitswidrigen Vorgabe, er sei von den Kunden beauftragt worden, Barabhebungen von deren Konten in der aus dem Barauszahlungsbeleg ersichtlichen Höhe vorzunehmen, und er werde die Geldbeträge in voller Höhe an die Kunden zur Auszahlung bringen, sohin durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher Urkunden, zur Auszahlung von Geldbeträgen an ihn, somit zu Handlungen verleitet, die dadurch, dass er das solcherart zur Auszahlung gelangte Geld zur Gänze oder zumindest teilweise für sich selbst verwendete, die im Urteil angeführten Kunden des genannten Finanzinstituts in 27 Angriffen mit insgesamt rund Euro 2,6 Millionen am Vermögen schädigten, darunter (soweit hier von Relevanz)
1./ Michèle Li***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 75.000;
5./ Katharina St***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 26.000;
6./ Helmut S***** und Susanne S***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 112.000;
7./ Anita S***** und Daniel S***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 100.000;
15./ Siegfried La***** und Ursula La***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 70.000;
21./ Vasilica Sta***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 110.000;
24./ Anita K***** und Bettina A***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 100.000;
25./ Markus Scha***** und Sabrina Scha***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 50.000;
26./ Werner Schw***** und Ruth Sch***** in einem Betrag von insgesamt rund Euro 38.253,66;
II./ am 28. Mai 2010 ein ihm anvertrautes Gut in einem (nunmehr:) Euro 5.000, nicht aber Euro 300.000 übersteigenden Wert, nämlich einen von Michael An***** zum Zweck der Einzahlung auf dessen Firmenkonto entgegengenommenen Bargeldbetrag in der Höhe von Euro 75.000, sich mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet, indem er den Bargeldbetrag nicht wie vereinbart auf das erwähnte Konto überwies, sondern für sich behielt und für eigene Zwecke verwendete“.
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft (Freisprüche zu I./ und II./) sowie mehrerer – oben genannter – Privatbeteiligter (betreffend die jeweils freigesprochenen Fakten zu I./). Die Staatsanwaltschaft macht die Nichtigkeitsgründe der Z 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO geltend. Sämtliche Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten stützen sich auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO, jene der Privatbeteiligten Michèle Li*****, Katharina St*****, Helmut S*****, Susanne S*****, Anita S***** (nunmehr S*****), Siegfried La*****, Ursula La*****, Markus Scha***** und Sabrina Scha***** darüber hinaus auch auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Entgegen dem aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO erstatteten Vorbringen hat das Erstgericht durch die Verlesung (ON 396 S 13) der Passagen aus der „vorläufigen gutachterlichen Stellungnahme zum Handschriftenvergleich“ der Sachverständigen für Handschriftenuntersuchung betreffend den „Bedarf an Beweismitteln“ und die „Chancen weiterführender Untersuchung“ (ON 383 S 33 f) – der sich die Anklagebehörde widersetzt hatte (ON 396 S 9, 13) – nicht gegen § 252 Abs 1 StPO verstoßen. Gutachtenerstattung ist das Ziehen und die Begründung rechtsrelevanter Schlüsse aus den im Rahmen der Befundaufnahme festgestellten beweiserheblichen Tatsachen (§ 125 Z 1 StPO). Bei den von der Staatsanwaltschaft als Gutachten gewerteten Ausführungen der Sachverständigen (ON 383 S 33 f) handelt es sich jedoch (noch) nicht um gutachterliche Schlussfolgerungen, welche im vorliegenden Fall in einer Stellungnahme zur Echtheit der Kundenunterschriften auf den Belegen bzw zu deren Zuordenbarkeit zum Angeklagten– allenfalls unter Angabe des Grades der Wahrscheinlichkeit – bestanden hätten, sondern im Wesentlichen um einen der Vorbereitung der Befundaufnahme dienenden Hinweis („Bedarf an Beweismitteln“) sowie um eine – angesichts der Vielzahl an Belegen zudem zweckmäßige (vgl § 25 Abs 1a GebAG) – vorläufige Einschätzung, ob eine solche Befundaufnahme Ergebnisse im höheren bzw hohen und höchsten Wahrscheinlichkeitsbereich überhaupt erwarten lässt („Chancen weiterführender Untersuchung“). Da es sich hier demnach nicht um ein dem (eingeschränkten) Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO unterliegendes Gutachten handelt (andere als Gutachten zu qualifizierende Teile der Stellungnahme ON 383 wurden explizit von der Verlesung ausgenommen), sondern um ein wesentliches „Schriftstück anderer Art“, das gemäß § 252 Abs 2 StPO zu verlesen ist (und verlesen wurde; ON 396 S 12 f), liegt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht vor.
Auf die Verfahrensrüge (Z 4) ist inhaltlich nicht einzugehen, weil die Staatsanwaltschaft sich zwar dem Beweisantrag der Privatbeteiligten Vasilica Sta***** in der Hauptverhandlung am 28. September 2017 angeschlossen (ON 396 S 8), nach Abweisung des Antrags durch den Schöffensenat aber – entgegen § 281 Abs 3 letzter Halbsatz StPO – die Nichtigkeitsbeschwerde nicht sofort vorbehalten hat (ON 396 S 9).
Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde auch die Aufhebung des Urteils im Freispruch II./ begehrt, werden diesen betreffende Nichtigkeitsgründe nicht deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) dargetan.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Privatbeteiligten Michèle Li*****, Katharina St*****, Helmut S*****, Susanne S*****, Anita S*****, Siegfried La*****, Ursula La*****, Markus Scha***** und Sabrina Scha*****:
Entgegen dem Vorbringen in der Verfahrensrüge (Z 4) liegt ein – unmissverständlicher (RIS‑Justiz RS0119854; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 324) – Anschluss der Privatbeteiligten an den Beweisantrag der Staatsanwaltschaft (der selbst in Form eines Anschlusses an den Beweisantrag der Privatbeteiligten Vasilica Sta***** gestellt worden war [ON 396 S 8]) nicht vor; vielmehr bezog sich die – nach Abweisung des Beweisantrags und nach Schluss des Beweisverfahrens erfolgte – „Anschlusserklärung“ auf die „Anträge und Ausführungen“ des Staatsanwalts im Rahmen des Schlussvortrags (ON 396 S 13). Hat sich der Beschwerdeführer aber dem Beweisantrag einer anderen Prozesspartei nicht (ausdrücklich) angeschlossen, kann er die Nichtdurchführung dieses Beweises nicht rügen (RIS‑Justiz RS0099328; SSt 42/56).
Da einem Privatbeteiligten die Nichtigkeitsbeschwerde zum Nachteil des Angeklagten nur aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO zusteht (§ 282 Abs 2 StPO), ist auf das in der Mängelrüge (Z 5) erstattete Vorbringen nicht einzugehen.
Zu den Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten Vasilica Sta***** bzw Werner Schw*****, Ruth Sch*****, Daniel S*****, Anita K***** und Bettina A*****:
In der Hauptverhandlung am 28. September 2017 beantragte der Vertreter der Privatbeteiligten Vasilica Sta***** die Ergänzung und Erörterung der vorläufigen gutachterlichen Stellungnahme der Sachverständigen für Handschriften-untersuchung (ON 383) zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte bei den von der Sachverständigen als verdächtig angeführten Unterschriften sämtliche Unterschriften tatsächlich selbst gefälscht hat“. Eine Relevanz für das Faktum I./21./ betreffend die genannte Privatbeteiligte sei deshalb gegeben, weil der Angeklagte sämtliche ihm angelastete Betrugshandlungen beharrlich leugne und sich durch das Gutachten bereits die Unrichtigkeit seiner Verantwortung hinsichtlich der objektiven Unrichtigkeit von Urkunden ergeben werde. Eine Ergänzung und Erörterung des Gutachtens werde ergeben, dass die vom Angeklagten abgestrittenen Fälschungen tatsächlich von ihm stammten (ON 396 S 8).
Der Vertreter der Privatbeteiligten Werner Schw*****, Ruth Sch*****, Daniel S*****, Anita K***** und Bettina A***** erklärte, sich diesem Beweisantrag inhaltlich anzuschließen und führte zum Faktum I./24./ betreffend Anita K***** ergänzend aus, dass sich im Hinblick auf das heutige Geständnis des Angeklagten in Bezug auf die ausgedehnten Anklagepunkte ergeben habe, dass der Angeklagte Unterschriften der K***** auf dem Kontoeröffnungsvertrag gefälscht habe und das ergänzte Gutachten daher den Beweis erbringen werde, dass auch die von der Sachverständigen als fälschungsverdächtig bezeichneten Unterschriften der K***** (auf Barauszahlungsbegehren) vom Angeklagten gefälscht worden seien (ON 396 S 8).
Das Erstgericht wies die Beweisanträge zusammengefasst mit der Begründung ab, dass es sich hierbei – unter Hinweis auf die „vorläufige Stellungnahme“ der Sachverständigen (ON 383 S 33) – einerseits um einen unmöglichen Beweis, andererseits um einen Erkundungsbeweis handle (ON 396 S 9).
Die Nichtigkeit aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO geltend machenden Verfahrensrügen der Privatbeteiligten Werner Schw***** und Ruth Sch***** (Faktum I./26./), Daniel S***** (Faktum I./7./) sowie Anita K***** und Bettina A***** (Faktum I./24./) sind im Recht:
Indem das Erstgericht die (auch) auf Erörterung der „vorläufigen gutachterlichen Stellungnahme“ (ON 383) gerichteten Beweisanträge abwies, wurden die Antragsteller– die den Angeklagten ua der Urkundenfälschung bezichtigt hatten – um die Möglichkeit gebracht, die Sachverständige zu den Voraussetzungen der (für eine Gutachtenserstattung tauglichen) Befundaufnahme und zu ihrer Einschätzung der Erfolgsaussichten zu befragen. Das Einräumen einer solchen Gelegenheit wäre mit Blick auf ein faires Verfahren geboten gewesen, zumal das Erstgericht bei Abweisung des Antrags (gerichtet auch auf die Erstattung eines ergänzenden Gutachtens) wiederum auf eben jene Passagen der „vorläufigen gutachterlichen Stellungnahme“ Bezug nahm, deren Erörterung die Beschwerdeführer beantragt hatten.
Hingegen lässt der Antrag der Privatbeteiligten Vasilica Sta***** nicht erkennen, inwieweit die beantragte Erörterung der vorläufigen gutachterlichen Stellungnahme geeignet sein soll, zur Klärung des Faktums I./21./ (vgl zur Anfechtungsberechtigung Ratz, WK‑StPO § 282 Rz 43 und 45) beizutragen, weil diese Privatbeteiligte selbst weder in der Sachverhaltsdarstellung (ON 60) noch im Zug ihrer Vernehmungen vor der Kriminalpolizei (ON 148) oder in der Hauptverhandlung (ON 300 S 45) die Fälschung ihrer Unterschrift auf (ihr Konto betreffenden) Auszahlungsbelegen durch den Angeklagten auch nur behauptet hat (vgl US 207 f).
Demnach war in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten Werner Schw*****, Ruth Sch*****, Daniel S*****, Anita K***** und Bettina A***** im Freispruch zu den Fakten I./7./ (nur in Betreff des Daniel S*****), I./24./ und I./26./ aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zu verweisen.
Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Privatbeteiligten Michèle Li*****, Katharina St*****, Helmut S*****, Susanne S*****, Anita S*****, Siegfried La*****, Ursula La*****, Markus Scha*****, Sabrina Scha***** und Vasilica Sta***** waren zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 zweiter Satz StPO.
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