European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00083.20W.1020.000
Spruch:
Im Verfahren AZ 37 Hv 89/19m des Landesgerichts Leoben verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Juli 2020, AZ 1 Bs 69/20m, § 295 Abs 2 zweiter Satz StPO.
Dieses Urteil, das sonst unberührt bleibt, wird im Jasmin N***** betreffenden Strafausspruch aufgehoben und dem Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht aufgetragen, die Strafe neu zu bemessen.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 9. Dezember 2019, GZ 37 Hv 89/19m‑17, wurde – soweit hier von Bedeutung – Jasmin N***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 16 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
Während die Staatsanwaltschaft das Urteil unbekämpft ließ, erhob die Angeklagte Berufung gegen den Strafausspruch (ON 21, 23). Diesem Rechtsmittel gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 21. Juli 2020, AZ 1 Bs 69/20m, „dahin Folge“, dass es gemäß § 43a Abs 2 StGB eine (unbedingte) Geldstrafe von 720 Tagessätzen zu je 4 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit gemäß § 19 Abs 3 StGB eine Ersatzfreiheitsstrafe von 360 Tagen, und eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten über sie verhängte, die es gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah.
Die Verhängung einer (unbedingten) Geldstrafe anstelle (eines Teils) der (bedingten) Freiheitsstrafe war weder von der – eine Reduktion der Freiheitsstrafe und deren gänzlich bedingte Nachsicht anstrebenden – Berufung beantragt worden noch hatte die Angeklagte einer solchen Vorgangsweise zugestimmt (ON 23 und das Protokoll über die Berufungsverhandlung vom 21. Juli 2020).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt, steht das Urteil des Oberlandesgerichts Graz mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Ist – wie hier – die Berufung lediglich zugunsten des Angeklagten ergriffen worden, darf das Oberlandesgericht keine strengere Strafe über ihn verhängen, als das erste Urteil ausgesprochen hatte. Auf Antrag des Angeklagten oder mit seiner Zustimmung kann jedoch anstelle einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt werden, die nicht bedingt nachgesehen wird (§ 295 Abs 2 StPO).
Das (damit für das Verfahren über Berufungen konkretisierte) Verbot der reformatio in peius (vgl §§ 16, 290 Abs 2, 293 Abs 3 StPO) betrifft seit dem StRÄG 1987 jede einzelne Unrechtsfolge – also Strafart und Strafmaß, bei in Tagessätzen bemessenen Geldstrafen jeden der Bemessungsaspekte (Anzahl und Höhe der Tagessätze) – und Aussprüche bedingter Nachsicht und über die Dauer von Probezeiten je für sich (RIS-Justiz RS0100700; Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 43).
Trotz der unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots gesondert zu bewertenden Strafzumessung iwS kann dabei – unter den Voraussetzungen des § 295 Abs 2 zweiter Satz StPO – eine bedingte Freiheitsstrafe durch eine unbedingte Geldstrafe, deren Ersatzfreiheitsstrafe (§ 19 Abs 3 StGB) das Maß jener nicht übersteigen darf, ersetzt werden (abermals RIS-Justiz RS0100700; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 47).
Vorliegend übersteigen die nach § 19 Abs 3 StGB festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe (von 360 Tagen) und die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe (von zwölf Monaten) gemeinsam nicht die Höhe der vorangegangenen Freiheitsstrafe (von 24 Monaten). Insofern ist die vom Oberlandesgericht verhängte Strafe daher nicht strenger als die mit dem ersten Urteil ausgesprochene (vgl RIS-Justiz RS0090031; Birklbauer, WK-StPO § 16 Rz 35; Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 45).
Die nach § 43a Abs 2 StGB verhängte Geldstrafe ersetzt einen zwölfmonatigen Teil der (vorangegangenen) Freiheitsstrafe. Damit tritt sie zum Teil an die Stelle einer unbedingten Freiheitsstrafe, nämlich jenes Strafteils von acht Monaten, den das Erstgericht nicht bedingt nachgesehen hatte. Insoweit ist sie – demgegenüber – jedenfalls die mildere Sanktion.
Soweit sie aber einen (verbleibend: viermonatigen) Teil der Freiheitsstrafe substituiert, den das Erstgericht bedingt nachgesehen hatte, ist sie – unter dem Aspekt des Verbots der reformatio in peius – im Verhältnis dazu sowohl milder als auch strenger (vgl JAB StRÄG 1987, 46 f; grundlegend 13 Os 74/05i; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 49).
In diesem Umfang war die Verhängung der Geldstrafe anstelle der Freiheitsstrafe (nur) nach Maßgabe des § 295 Abs 2 zweiter Satz StPO zulässig, somit von Antrag oder Zustimmung der Angeklagten abhängig.
Da diese Voraussetzung nicht erfüllt war, verletzt das angefochtene Urteil die genannte Bestimmung.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil der Verurteilten wirkt. Daher sah sich der Oberste Gerichtshof dazu bestimmt, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
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