OGH 11Os56/12p

OGH11Os56/12p28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Angrosch als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerald H***** und Thomas V***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten H***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. März 2012, GZ 111 Hv 11/12v-51, sowie dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten H***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden die den Angeklagten Thomas V***** betreffenden Schuldsprüche in der Nichtannahme von § 27 Abs 2 SMG (B I) und von § 30 Abs 2 SMG (B II) sowie somit der Strafausspruch hinsichtlich dieses Angeklagten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Schuld- und Freisprüche des Thomas V***** enthält - wurde Gerald H***** des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB (A I) und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Strafsatz StGB (A II) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung -

A

I ...

II am 9. Dezember 2011 Thomas V***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er gegenüber den Polizeibeamten Hannes B***** und Eduard P***** behauptete, dass Thomas V***** der Mittäter zu den im Punkt I. angeführten Einbruchsdiebstählen gewesen sei, den Genannten somit einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB falsch verdächtigt, wobei er wusste, dass diese Verdächtigung falsch war.

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H***** aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und „9“ StPO.

Rechtliche Beurteilung

Inhaltlich wendet sich der Rechtsmittelwerber ausschließlich gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens der Verleumdung. Trotz der Erklärung, auch den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB anfechten zu wollen, bezeichnete der Beschwerdeführer dazu keine Nichtigkeitsgründe. Auf sie war somit keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 StPO).

Durch die Abweisung (ON 50 S 51) des Antrags auf Vernehmung der „Stefanie K***** zum Beweis dafür, dass der Erstangeklagte den Namen Thomas von ihr per SMS bekommen hat“ und „Einsichtnahme in die beiden sichergestellten Mobiltelefone“ (ON 50 S 43) wurden der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider keine Verteidigungsrechte verletzt. Denn die solcherart angesprochene Motivation zur - stets unbestrittenen - Begehung der Verleumdung bezog sich auf keine entscheidende Tatsache (RIS-Justiz RS0088761). Dass etwas für einen Schuldspruch „irgendwie mitbestimmend“ ist, reicht - dem Beschwerdestandpunkt entgegen - für diese Relevanz nicht hin.

Die zur Antragsfundierung nachgetragenen Beschwerdeausführungen sind unbeachtlich, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Aus Z 5 und „Z 9“ des § 281 Abs 1 StPO (der Sache nur Z 9 lit b) releviert der Nichtigkeitswerber einen Feststellungsmangel zur tätigen Reue nach § 297 Abs 2 StGB. Mit seinem Vorbringen, er hätte die vor der Polizei dezidiert getätigte Anschuldigung (ON 7 S 173) bereits vor dem Haftrichter widerrufen (ON 9), lässt er die festgestellte konkrete Verfolgung (und sogar zweimonatige Inhaftierung) des Verleumdeten (US 6, 7, 16) - der angeklagt (ON 27), aber mit gegenständlichem Urteil freigesprochen wurde - außer Acht und versäumt jegliche juristische Auseinandersetzung mit der Behauptung, es läge (des ungeachtet) tätige Reue im Sinne von § 297 Abs 2 StGB vor.

Der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass einem die Gefahr behördlicher Verfolgung nicht beseitigenden Widerruf einer Verleumdung keine Bedeutung im Sinne von § 297 Abs 2 StGB zukommt (RIS-Justiz RS0096870); die Gefahr des Misserfolgs der Bemühungen um die Beseitigung der Verfolgungsgefahr trägt der Verleumder (RIS-Justiz RS0096873; Pilnacek in WK² § 297 Rz 44).

In Übereinstimmung mit dem Croquis der Generalprokuratur war die Nichtigkeitsbeschwerde daher - ebenso wie die angemeldete (ON 53) Berufung wegen Schuld, die gegen kollegialgerichtliche Urteile gesetzlich nicht vorgesehen ist - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1; 280, 283 Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und die (implizierte) Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Gerald H***** musste sich der Oberste Gerichtshof - ebenso wie die Generalprokuratur - allerdings davon überzeugen, dass das unbekämpfte Urteil gegen den Mitangeklagten Thomas V***** mit Nichtigkeit behaftet ist (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 10 StPO; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 17).

Dieser wurde der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (B I) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 erster, zweiter und achter Fall SMG (B II) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien vorschriftswidrig

I. Suchtgift erworben und besessen, und zwar

1. am 18. März 2011 eine Tablette Substitol, enthaltend Morphin-Sulfatpentahydrat, und eine Tablette Compensan, enthaltend Morphin-Hydrochlorithydrat,

2. am 21. April 2011 eine Tablette Substitol, enthaltend Morphin-Sulfatpentahydrat, sowie

3. am 9. Juni 2011 eine Tablette Substitol, enthaltend Morphin-Sulfatpentahydrat;

II. psychotrope Stoffe erworben, besessen und anderen überlassen, und zwar

1. am 21. April 2011 ein Stück Somnubene, enthaltend Flunitrazepam, und zehn Stück Praxiten, enthaltend Oxazepam, wobei er diese dem abgesondert verfolgten Stefan Be***** überließ, sowie

2. am 28. April 2011 fünf Stück Somnubene, enthaltend Flunitrazepam, wobei er diese der abgesondert verfolgten Nicole Ingrid L***** überließ.

Das Erstgericht stellte dazu fest, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung Ende August 2008 zusätzlich zu seiner Substitution in geringen Mengen Suchtgifte und gelegentlich psychotrope Stoffe konsumierte sowie zu den angeführten Zeitpunkten konkret genannte Tabletten erwarb, besaß und teilweise auch abgesondert verfolgten Personen weitergab (US 11).

Die in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 50 S 53) Verfahrensergebnisse (ON 44) indizieren (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602) zwar nicht das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 35, 37 SMG (eine Diversion im Sinne dieser Gesetzesstellen wurde erfolglos versucht) und jene nach § 30 Abs 3 SMG (vgl ON 9 und ON 12 in ON 44), wohl aber die der privilegierenden Normen des § 27 Abs 2 SMG und des § 30 Abs 2 SMG (vgl RIS-Justiz RS0126214, RS0124624; Fabrizy, Suchtmittelrecht5 § 27 Rz 17). Entsprechende Feststellungen enthält das Ersturteil jedoch nicht (US 11).

Deshalb war wie aus dem Spruch ersichtlich vorzugehen (Ratz, WK-StPO § 288 Rz 8).

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