OGH 11Os47/19z

OGH11Os47/19z28.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz‑Hummel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Korner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Milan C***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, AZ 6 U 94/16a des Bezirksgerichts Mödling, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00047.19Z.0528.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 3. November 2017, GZ 6 U 94/16a‑79, wurde Milan C***** (im zweiten Rechtsgang) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er am 13. Februar 2016 in V***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Make-up im Wert von 49,95 Euro Gewahrsamsträgern eines im Urteil bezeichneten Unternehmens weggenommen hat.

Seiner dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Landesgericht Wiener Neustadt als Berufungsgericht am 13. August 2018, AZ 14 Bl 4/18v, in der Schuldfrage nicht, wohl aber zum letztgenannten Berufungspunkt teilweise Folge und reduzierte die Geldstrafe.

Rechtliche Beurteilung

Im Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird eine Verletzung von Art 6 MRK und Art 1 1. ZPMRK „angesichts der Verurteilung des Einschreiters“ behauptet.

Soweit sich der Antrag undifferenziert auch gegen das bezeichnete Urteil des Bezirksgerichts Mödling wendet, ist er schon deshalb unzulässig, weil eine Entscheidung, die mit Rechtsmittel bekämpft werden kann (und wurde), nicht Gegenstand eines – wie hier nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten – Erneuerungsantrags ist (vgl § 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0124739 [T4], RS0122737).

Hinsichtlich der Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht behauptet der Erneuerungswerber eine Verletzung in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK), weil sich das Gericht mit der Unmöglichkeit des Versteckens des Make‑ups in seiner Jackentasche zufolge dessen Größe und anschließendem Wegwerfen dieses sowie weiterer Gegenstände nicht auseinandergesetzt habe. Überdies sei den widersprüchlichen Aussagen von Belastungszeugen gefolgt worden, obwohl gegen deren Glaubwürdigkeit erhebliche Bedenken bestünden.

Die Behandlung von Erneuerungsanträgen bedeutet allerdings – entgegen der offenbaren Meinung des Verurteilten – gerade nicht Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle (vgl RIS‑Justiz RS0126458, RS0129606).

Für einen nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag gelten überdies alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1, Abs 2 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737).

Und weil Opfereigenschaft im Sinn des Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 16), hat ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung iSd § 363 Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]).

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten. Der EGMR prüft lediglich, ob Beweisaufnahmen und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das gesamte Strafverfahren unfair erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0120958, RS0105692; vgl Grabenwarter/Pabel EMRK 6 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet.

Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen (im Sinne der Rechtsprechung des EGMR: „arbitrary or manifestly unreasonable“) Urteils- oder Beschlussannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0129981).

Derartiges wird im Antrag nicht einmal behauptet.

Vielmehr wiederholt er das Berufungsvorbringen ohne substantielle Auseinandersetzung mit den Begründungserwägungen des Berufungsgerichts und zieht auf Basis eigenständiger Erwägungen die vom Gericht bejahte Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen in Zweifel (vgl RIS‑Justiz RS0106588 [T9]), womit er jenseits der gerade genannten Kriterien bloß die Beweiswürdigung über die Grundrechtskonformität hinaus bekämpft – dazu dient der in Anspruch genommene Rechtsbehelf gerade nicht.

Soweit der Erneuerungswerber das Unterbleiben der im Rahmen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld beantragten Tatrekonstruktion (zum Beweisantragsrecht im Rechtsmittelverfahren vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 6.43 ff) durch das Landesgericht Wiener Neustadt als Verstoß gegen Art 6 MRK kritisiert, macht er nicht klar, weshalb der den Zugang zu einem Gericht absichernde Art 6 MRK ein Recht auf eine zweite Instanz einräumen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0074613) und warum (ungeachtet des Gesetzesvorbehalts im letzten Satz des Art 2 Abs 1 7. ZPMRK) ein generelles (Grund‑)Recht auf Beweisaufnahme im Berufungsverfahren (vgl §§ 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO) bestehen sollte (RIS‑Justiz RS0132214; vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 171).

Eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK erblickt der EGMR im Übrigen nur dann, wenn das Berufungsgericht (bei voller Kognitionsbefugnis in der Schuldfrage) von der Beweiswürdigung des Erstgerichts zum Nachteil des Angeklagten ohne unmittelbare Beweisaufnahme abweicht (vgl RIS‑Justiz RS0132214; EGMR 29. 3. 2016, 61112/12, Gómes Olmeda/Spanien [Z 33 ff]; Wiederin , WK‑StPO § 6 Rz 65). Im vorliegenden Fall hegte das Berufungsgericht dementgegen gerade keine Bedenken gegen die Feststellungen (samt korrespondierender Beweiswürdigung) des Erstgerichts (vgl § 473 Abs 2 StPO; Ratz , WK‑StPO § 473 Rz 6 und 8/1).

Bleibt überdies anzumerken, dass der EGMR die unterbliebene Zulassung eines (wie hier begehrten) Erkundungsbeweises unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d MRK nicht beanstandet (vgl RIS‑Justiz RS0099353 [T17] Ratz , WK‑StPO, § 281 Rz 330; EGMR 4. 4. 2013, 30465/06, C. B./Österreich [Z 45]).

In Betreff der Reklamation einer Verletzung von Art 1 1. ZPMRK ist der Antrag schon mangels horizontaler Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig, weil eine diesbezügliche Konventionsverletzung im Instanzenzug nicht behauptet wurde (RIS‑Justiz RS0122737). Im Übrigen legt der Antrag nicht substantiiert dar, inwiefern von Art 1 1. ZPMRK garantierter Eigentumsschutz (s fallbezogen dazu Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 25 Rz 15) verletzt worden sein könnte, sodass es an einem nachvollziehbaren Bezug zum reklamierten Grundrecht fehlt (vgl RIS‑Justiz RS0124359 [T2]).

Der Erneuerungsantrag war daher bei der nichtöffentlichen Beratung – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teils als unzulässig, teils als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und Z 3 StPO).

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