OGH 11Os47/06f

OGH11Os47/06f1.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. August 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Asaad El N***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 1. Februar 2006, GZ 8 Hv 101/05z - 49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch 1 in der Annahme der Begehung der Tat als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung strafbarer Handlungen nach dem SMG und demzufolge im Qualifikationsausspruch nach § 28 Abs 4 Z 2 SMG, demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte, dem auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last fallen, auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen unangefochten gebliebenen Teilfreispruch enthält, wurde der ägyptische Staatsangehörige Asaad El N***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG und der Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG (Punkt 1 des Urteilssatzes) sowie der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (2) schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz und Leoben den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift

1) gewerbsmäßig und als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung strafbarer Handlungen nach dem SMG und in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge in Verkehr gesetzt, indem er im Jahre 2004 in mehreren Angriffen mindestens rund 70.000 g Cannabisharz und 7 g Kokain im Spruch näher bezeichneten bekannten sowie unbekannten Abnehmern verkaufte, und

2) erworben und besessen, indem er im Zeitraum 2003 bis 7. März 2005 unbekannte Mengen an Cannabisharz und Marihuana von den gesondert verfolgten Sofiane B*****, Tarek B***** und weiteren unbekannten Personen kaufte (oder erhielt) und selbst konsumierte.

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit seiner auf die Gründe der Z 3, 4, 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher nur zum Teil Berechtigung zukommt. Soweit der Beschwerdeführer zunächst das Unterbleiben eines neuerlichen Anklagevortrags (§§ 244 Abs 1, 276a StPO) in der wegen Zeitablaufs wiederholten Hauptverhandlung vom 1. Februar 2006 als Verfahrensmangel (Z 3) rügt, übersieht er, dass dieser Verfahrensfehler keine Nichtigkeit bewirkt. Eine unter dem Gesichtspunkt einer dadurch erfolgten Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten grundsätzlich mögliche Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO, welche mit der mangelhaften Anklagekenntnis des Schöffensenates bei Durchführung der Beweisaufnahme begründet werden könnte (vgl 11 Os 118/03), scheitert formell am Fehlen der dafür erforderlichen Antragstellung, der Sache nach aber daran, dass sich die Zusammensetzung des Senates gegenüber der wiederholten Hauptverhandlung, in welcher der Anklagevortrag erfolgte, nicht geändert hat (vgl § 281 Abs 3 StPO).

Der Beschwerde (Z 3) zuwider genügt die im Schuldspruch 1 erfolgte pauschale Zusammenfassung gleichartiger Einzeltaten zu einer gleichartigen Verbrechensmenge durch die Angaben von Tatzeitraum (2004), Tatorten (Graz und Leoben) sowie Art und Gesamtmenge der verhandelten Suchtgifte (rund 65.650 Gramm Cannabisharz) auch ohne namentliche Bezeichnung der Käufer oder der konkreten Verkaufsmodalitäten durchaus dem Individualisierungsgebot des § 260 Abs 1 Z 1 StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 291). Dennoch mögliche Zweifel würden überdies zu Gunsten eines neuerlich Verurteilten unter dem Aspekt des ne-bis-in-idem Verbotes zu beachten sein (Ratz aaO Rz 268).

Mit dem Einwand, die ein faires Verfahren sichernden Grundsätze des Art 6 Abs 3 lit a und b MRK seien durch die unzureichende Individualisierung - gemeint Konkretisierung - des den Verkauf von ca 65 kg Cannabisharz betreffenden Anklagevorwurfes an unbekannte Abnehmer verletzt worden, wird der damit relevierte Verfahrensmangel (Z 4) mangels Bezugnahme auf einen entsprechenden Verfahrensantrag oder auf ein Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung gebracht (Mayerhofer StPO5 § 281 Z 4 E 4).

Soweit die Feststellung des Verkaufs von ca 65 kg Cannabisharz auch unter dem Gesichtspunkt der Mängelrüge thematisiert wird, ist der Unvollständigkeit iSd Z 5 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO behauptenden Beschwerdeargumentation entgegenzuhalten, dass eine gesonderte Erörterung der am 9. November 2004 vor der Polizei deponierten Angaben des Zeugen Silviu George B*****, wonach er „seit Sommer dieses Jahres (2004) ca 6 kg Haschisch geliefert" habe (S 97/I) unterbleiben konnte. Denn das Schöffengericht legte seinen Urteilsannahmen über die verkaufte Suchtgiftmenge von rund 65 Kilogramm Cannabisharz an unbekannte Abnehmer die mit den zeitlich späteren Aussagen dieses Zeugen vor der Polizei vom 22. März 2005 (S 389 ff, insbes S 403 und 407/I) und dem Untersuchungsrichter vom 4. Mai 2005 (S 21 d ff/I) übereinstimmenden Angaben B*****s in der Hauptverhandlung deshalb zu Grunde, weil es diese Aussage aufgrund des dort gewonnenen persönlichen Eindrucks für glaubwürdig hielt (US 11 ff). Eine Auseinandersetzung mit den davon abweichenden ursprünglichen Angaben dieses Zeugen erübrigte sich damit, weshalb die geltend gemachte Unvollständigkeit nicht vorliegt. Der weitere Beschwerdeeinwand, das Erstgericht habe dem Verwertungsverbot des § 258 Abs 1 StPO zuwider seine Feststellungen auch auf ein in der Hauptverhandlung gar nicht vorgekommenes Beweismittel, nämlich auf die „genauen Aufzeichnungen des Zeugen Silviu George B***** der Suchtgiftlieferungen" an den Beschwerdeführer gestützt (sachlich Z 5 vierter Fall), ist nicht stichhältig. Die Feststellung, wonach der Angeklagte von B***** zumindest 70 Kilogramm Cannabisharz bezogen hat, wurde nämlich von den Tatrichtern nicht aus den Aufzeichnungen, sondern - wie angeführt - aus der Aussage dieses Zeugen in der Hauptverhandlung abgeleitet, die in Rede stehenden Aufzeichnungen hingegen nur als Hilfsargument für die Glaubwürdigkeit des Zeugen B***** herangezogen (US 10 f, 14). Im Übrigen wurde eine Seite dieser Aufzeichnungen dem Zeugen in der Hauptverhandlung vorgehalten (S 173/II iVm S 113/I), womit sie zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde.

Das zur Tatsachenrüge (Z 5a) erstattete Vorbringen, wonach den Aussagen B*****s und seiner „Subdealer" zufolge unter Berücksichtigung der bei B***** beschlagnahmten Suchtgiftmenge von 23,9 kg Haschisch der Beschwerdeführer von B***** „rein rechnerisch" nur 31,6 kg Haschisch erhalten haben könne, betrifft keinen schuld- oder subsumtionsrelevanten Tatumstand. Angesichts der unstrittig „zumindest" guten Qualität des vom Beschwerdeführer verhandelten Haschisch (US 7) und eines demgemäß angenommenen Reinheitsgehaltes von 10 % THC (US 16) wäre die „übergroße" Suchtgiftmenge iSd § 28 Abs 4 Z 3 SMG, also das Fünfundzwanzigfache der in der Suchtgiftgrenzmengenverordnung festgesetzten „großen" Menge von 20 Gramm THC, nämlich schon beim Verkauf von (bloß) fünf Kilogramm Cannabisharz erreicht worden.

Dass der Verkauf einer über sechs Kilogramm Cannabisharz hinausgehenden Suchtgiftmenge an den Angeklagten durch die polizeilichen Ermittlungen nicht näher konkretisiert werden konnte und das Kürzel „AD" in den Aufzeichnungen des Zeugen B***** über seine Suchtgiftlieferungen entgegen dessen Angaben auch andere Personen bezeichnen könnte, vermag schließlich keinerlei Bedenken an der Richtigkeit der für den Schuldspruch entscheidenden Tatsachenfeststellungen zu erwecken.

Im Recht ist hingegen der Beschwerdeführer mit seiner die Qualifikation nach § 28 Abs 4 Z 2 SMG zum Schuldspruch 1 betreffenden Subsumtionsrüge (Z 10). Tatsächlich lässt das Urteil jegliche - für die Annahme dieser Qualifikation aber gebotene - Feststellung dahin vermissen, dass vom (zumindest bedingten) Vorsatz des Beschwerdeführers beim Inverkehrsetzen großer Suchtgiftmengen auch der Umstand umfasst war, die Taten als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher strafbaren Handlungen auszuführen. Da eine derartige Feststellung nach den Beweisergebnissen nicht von vornherein auszuschließen ist, war der entsprechende Qualifikationsausspruch und demzufolge auch der Strafausspruch schon in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben und im Umfang der Aufhebung die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285e StPO), der Angeklagte aber mit seiner Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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