Spruch:
Im Verfahren AZ 10 U 29/09b des Bezirksgerichts Knittelfeld gegen Bernd S***** wegen § 198 Abs 1 StGB verletzt im Berufungsverfahren des Landesgerichts Leoben, AZ 9 Bl 28/10p, das Unterbleiben der Aufhebung des gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO (Punkt 1./) und gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO (Punkt 2./) gefassten Beschlusses des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 30. November 2009, GZ 10 U 29/09b-9, das Gesetz in dem sich aus §§ 494a Abs 1, 498 Abs 3 dritter SatzStPO ergebenden Grundsatz der Abhängigkeit von nach § 494a StPO gefassten Beschlüssen vom aufrechten Bestand eines konnexen Strafausspruchs.
Der Beschluss des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 30. November 2009, GZ 10 U 29/09b-9, wird in seinem Ausspruch auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 35 Hv 10/09i des Landesgerichts Leoben ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht samt Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre aufgehoben und dem nunmehr gemäß § 495 Abs 1 StPO zuständigen Landesgericht Leoben aufgetragen, im Verfahren AZ 35 Hv 10/09i über das Absehen vom Widerruf unter allfälliger Verlängerung der Probezeit der mit Urteil vom 26. März 2009 gewährten bedingten Strafnachsicht zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 30. November 2009, GZ 10 U 29/09b-9, wurde Bernd S***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Unter einem widerrief dieses Gericht (zu 1./) gemäß § 494a Abs (zu ergänzen: 1 Z) 4 StPO die mit Urteil des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 16. März 2006, AZ 10 U 62/05z, gewährte bedingte Strafnachsicht (deren Probezeit mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 26. März 2009, AZ 35 Hv 10/09i, auf fünf Jahre verlängert worden war) und sah (zu 2./) gemäß § 494a Abs (zu ergänzen: 1 Z 2 und Abs) 6 StPO unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre vom Widerruf der mit dem genannten Urteil des Landesgerichts Leoben gewährten bedingten Strafnachsicht ab.
Während die Staatsanwaltschaft diese Entscheidungen unbekämpft ließ, ergriff Bernd S***** Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und erhob überdies Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss (1./).
Das Landesgericht Leoben als Berufungsgericht erkannte den Angeklagten - nach Urteilsaufhebung wegen eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 471 StPO) und „Beweiswiederholung“ (ON 13 S 6; vgl dazu aber Ratz, WK-StPO § 473 Rz 13 f) - mit Urteil vom 8. Juli 2010, AZ 9 Bl 28/10p (ON 13 im U-Akt), neuerlich des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig und verurteilte ihn wiederum zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. In Stattgebung der Beschwerde des Angeklagten sah das Landesgericht Leoben vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 16. März 2006, AZ 10 U 62/05z, bedingten Strafnachsicht ab. Den (unangefochten gebliebenen) Beschluss auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit (2./) ließ das Berufungsgericht unberührt.
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieser Vorgang mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Bei den Beschlüssen nach § 494a StPO handelt es sich in allen Fällen um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für ihr Ergehen bildet (SSt 61/119). Jede Abänderung oder Aufhebung des Strafausspruchs der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse - unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht - hinfällig und bedingt deren Aufhebung (RIS-Justiz RS0101886; Jerabek, WK-StPO § 498 Rz 8, 10).
Das Berufungsgericht hätte daher zufolge der Kassation des gegen Bernd S***** ergangenen Urteils auch den gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss zur Gänze (in den Punkten 1./ und 2./) aufheben und nach Neubemessung der Strafe eine neue Entscheidung nach § 494a StPO in den durch das Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO iVm § 471 StPO) gezogenen Grenzen treffen müssen (15 Os 130/11y; 13 Os 140/09a). Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss wäre der Angeklagte auf die Entscheidung des Berufungsgerichts zu verweisen gewesen.
Die verfehlte Beschwerdeentscheidung des Landesgerichts Leoben auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 10 U 62/05z des Bezirksgerichts Knittelfeld gereichte dem Angeklagten nicht zum Nachteil. Hinsichtlich des unbekämpft gebliebenen Ausspruchs des Bezirksgerichts Knittelfeld auf Absehen vom Widerruf unter Verlängerung der Probezeit (2./) liegt ein solches Defizit jedoch im Unterbleiben der Aufhebung samt neuer Entscheidung gemäß § 494a StPO mit Blick auf die Möglichkeit eines bloßen Vorgehens nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO potentiell vor (vgl 13 Os 140/09a). Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, die Feststellung der zuletzt erwähnten Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Somit wird das nunmehr gemäß § 495 Abs 1 StPO zuständige Landesgericht Leoben im Verfahren AZ 35 Hv 10/09i über das Absehen vom Widerruf und die allfällige Verlängerung der Probezeit der mit Urteil vom 26. März 2009 gewährten bedingten Strafnachsicht zu entscheiden haben.
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