OGH 11Os24/11f

OGH11Os24/11f19.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Varga als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jaspal S***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Jaspal S*****, Tarsem S*****, Satwinder S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 28. September 2010, GZ 601 Hv 2/10w-518, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden und die vom Angeklagten Satwinder S***** erhobene Berufung werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen der anderen Angeklagten werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Jaspal S*****, Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche der Angeklagten Tarsem S*****, Satwinder S***** und Surjit S***** enthält, wurden Jaspal S***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und nach §§ 15, 75 StGB (I./), Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und nach §§ 15, 75 StGB, jeweils als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB (II./), Satwinder S***** und Hardeep S***** mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III./) sowie Sukhwinder S***** und Surjit S***** mehrerer Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.

Danach haben am 24. Mai 2009 in Wien

I./ Jaspal S***** durch Schussabgabe aus seiner Pistole Marke „Makarow“

A./ Sant Rama N***** vorsätzlich getötet sowie

B./ Sant Niranjan D***** und

C./ Kishan P*****

vorsätzlich zu töten versucht;

II./ Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** jeweils in Ausführung eines gemeinschaftlich mit Jaspal S***** vorab gefassten Tatplans zur Tötungshandlung des Jaspal S***** durch Schussabgabe mit dessen Pistole gegen Sant Rama N***** und Sant Niranjan D***** vorsätzlich beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB), indem sie sich gemeinsam mit scharfen bzw spitzen Dolchen und Jagdmessern bewaffneten, aufgeteilt auf zwei Fahrzeuge gemeinsam mit Jaspal S***** zum Tatort fuhren - wobei Sukhwinder S***** das Fahrzeug lenkte, in welchem sich neben Jaspal S***** auch Satwinder S***** befand, und dieses unversperrt zurückließ, um die der Tat nachfolgende Flucht zu beschleunigen, während Hardeep S***** und Surjit S***** sich vom abgesondert verfolgten Hoshiar S***** K***** zum Tatort führen ließen -, sie sich am Tatort „strategisch“ unter den Gläubigen der Ravidass-Gemeinschaft verteilten, um Jaspal S***** hiedurch in dem bereits gemeinschaftlich gefassten Tatentschluss zu bestärken und sich zum Eingriff bereitzuhalten und „damit“ willkürlich auf eine nicht mehr feststellbare Anzahl von Personen einstachen, um hiedurch die unbeeinträchtigte weitere Schussabgabe des Jaspal S***** in Richtung Sant Rama N***** und Sant Niranjan D***** sowie die anschließende gemeinsame Flucht zu ermöglichen;

III./ Satwinder S***** und Hardeep S***** durch Vorhalt bzw „Fuchteln“ oder Schwingen ihres Dolchs gegen eine nicht mehr feststellbare Anzahl von Personen, sohin durch gefährliche Drohung, diese Personen zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von der Anhaltung des Schützen oder ihrer eigenen Anhaltung zu nötigen versucht;

IV./ Sukhwinder S***** und Surjit S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) mit Dolchen und Messern eine nicht mehr näher feststellbare Anzahl von Personen vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Taten jeweils mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen wurden, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, insbesondere, (indem)

A./ Surjit S***** den Kulvir S***** R***** mit einem Dolch gegen dessen Nacken stach und ihm dadurch eine Durchstichverletzung im Halsbereich zufügte;

B./ einer der Genannten auf Jatinder Ku***** mit zwei Dolchen einstach und ihm dadurch Stichverletzungen am rechten Oberschenkel und in der linken Gesichtshälfte samt Zunge sowie eine Absplitterung des ersten vorderen Backenzahns zufügte;

C./ einer der Genannten Paramjit L***** mit einem Dolch in den Rücken stach und ihm dadurch eine Stichverletzung im Bereich der rechten hinteren Schulter zufügte.

Die Geschworenen hatten die hinsichtlich Jaspal S***** anklagekonform nach Mord und versuchtem Mord an sie gestellten Hauptfragen 1./ bis 3./ bejaht. Weitere Fragen wurden bei diesem Angeklagten nicht gestellt.

Die anklagekonform gestellten Hauptfragen in Richtung des Tatbestands der §§ 12 dritter Fall, (15,) 75 StGB hatten die Geschworenen hinsichtlich der Angeklagten Tarsem S***** (Hauptfrage 7./ und 8./), Surjit S***** (Hauptfrage 16./ und 17./), Sukhwinder S***** (Hauptfrage 13./ und 14./) und Hardeep S***** (Hauptfrage 4./ und 5./) bejaht. Hinsichtlich des Angeklagten Satwinder S***** waren diese Hauptfragen (Hauptfrage 10./ und 11./) hingegen verneint worden.

Die weiteren an die Geschworenen gestellten Hauptfragen wegen versuchter absichtlich schwerer Körperverletzung waren bei Tarsem S***** (Hauptfrage 9./), Satwinder S***** (Hauptfrage 12./), Sukhwinder S***** (Hauptfrage 15./), Hardeep S***** (Hauptfrage 6./) und bei Surjit S***** (Hauptfrage 18./) verneint worden. Die in diesem Zusammenhang gestellten Eventualfragen nach schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 StGB) waren bei Tarsem S***** (Eventualfrage 7./), Satwinder S***** (Eventualfrage 9./) sowie bei Hardeep S***** (Eventualfrage 4./) verneint, jedoch bei Sukhwinder S***** (Eventualfrage 11./) und Surjit S***** (Eventualfrage 13./) bejaht worden. Hinsichtlich Satwinder S***** (Eventualfrage 10./) und Hardeep S***** (Eventualfrage 5./) hatten sie (mit einer Beschränkung) die Eventualfragen nach versuchter Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1 StGB) bejaht und beim Angeklagten Hardeep S***** die für den Fall der Bejahung der Eventualfragen gestellte Zusatzfrage nach Notwehr, Notwehrüberschreitung, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung (Zusatzfrage 1./) verneint, worauf die Beantwortung der Eventualfrage nach fahrlässiger Körperverletzung (Eventualfrage 6./, fortlaufend 13./) entfiel.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die in einem Schriftsatz ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Jaspal S*****, Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S*****, Surjit S***** und Satwinder S*****, welche von Jaspal S***** auf die Gründe der Z 6 und 13, von Tarsem S***** auf die Gründe der Z 6, 9 und 13, von Hardeep S*****, auf die Gründe der Z 6, 12 und 13, von Sukhwinder S***** und Surjit S***** auf die Gründe der Z 6, 9, 12 und 13 sowie von Satwinder S***** auf die Gründe der Z 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützt werden.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Satwinder S*****:

Mit Blick auf die Erklärung des Angeklagten, seine angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zurückzuziehen (ON 530), waren dessen dennoch ausgeführte Rechtsmittel schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1, 285a Z 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2, 344 StPO).

Der durch den Verteidiger erklärte Rechtsmittelverzicht ist unwiderruflich, die Erklärung des Angeklagten, die Zurückziehung sei ohne seinen Auftrag erfolgt (ON 534), unbeachtlich (vgl Ratz, WK-StPO § 284 Rz 8).

Der Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden der anderen Angeklagten ist voranzustellen:

Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) erfordert eine deutliche und bestimmte Bezeichnung des die vermisste Fragestellung indizierenden (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) Tatsachensubstrats, und zwar samt Angabe der Fundstelle in den Akten (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23; RIS-Justiz RS0119417 [T1]; RS0124172). Entgegen der gesetzlichen Anordnung (§§ 344, 285 Abs 1 zweiter SatzStPO) unterlassen es die Angeklagten, die Fundstellen ihres Vorbringens in den zweiundzwanzig Bände umfassenden Akten mit zehn Verhandlungstagen bestimmt zu bezeichnen und verfehlen bereits deshalb die prozessordnungsgemäße Darstellung des Nichtigkeitsgrundes. Lediglich der Vollständigkeit halber wird auf das Vorbringen der Fragenrügen dennoch eingegangen.

Bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten können nicht zum Gegenstand einer Eventualfrage gemacht werden, weil die Fragestellung nicht dazu dient, einen Wahrspruch über Mutmaßungen einzuholen (RIS-Justiz RS0102724).

Zur prozessförmigen Ausführung einer Rechts- oder Subsumtionsrüge genügt es nicht, die angestrebte Konsequenz bloß zu behaupten, diese ist vielmehr methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten (RIS-Justiz RS0116569; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Die gesetzmäßige Ausführung des Nichtigkeitsgrundes der Z 12 des § 345 Abs 1 StPO setzt einen Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen enthaltenen und damit festgestellten Tatsachen mit dem darauf angewendeten Strafgesetz voraus (RIS-Justiz RS0101476).

Nach dem systematischen Aufbau der Rechtsmittelschrift, die sich zunächst nach den Nichtigkeitsgründen, sodann nach Angeklagten gliedert, bleibt in Ansehung der Z 12 des § 345 Abs 1 StPO unklar, wer die Schuldsprüche III./ und IV./ B./ bekämpft. Mit Blick auf den Einleitungssatz der Nichtigkeitsbeschwerden war eine Anfechtung der Schuldsprüche durch die jeweils davon Betroffenen erkennbar.

Die Sanktionsrügen werden nach dem Eingehen auf die einzelnen Nichtigkeitsbeschwerden gemeinsam behandelt.

Zur gegen den Schuldspruch I./ A./ B./ und C./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Jaspal S*****:

Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert die Unterlassung der Stellung von genau bezeichneten Eventualfragen. Soweit sie aber lediglich Erinnerungslücken des Jaspal S***** und einen fehl gegangenen Schuss vorbringt sowie Spekulationen anstellt, wonach die Abgabe der Schüsse von verschiedenen Vorstellungen getragen gewesen sein könnte, verfehlt sie ebenso die Ausrichtung am Verfahrensrecht, wie wenn sie ohne Bezeichnung eines Tatsachenvorbringens in der Hauptverhandlung am Tötungsvorsatz zweifelt und einen allfälligen Verletzungsvorsatz behauptet.

Zur gegen den Schuldspruch II./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S*****:

Mit Bezugnahme auf die Einlassung der Beschwerdeführer, die jede Beitragshandlung, demnach auch einen Tötungsvorsatz bestritten haben, bezeichnet die Fragenrüge (Z 6) kein zur Stellung von Eventualfragen taugliches Tatsachensubstrat.

Auch die substratlose Behauptung eines Exzesses des unmittelbaren Täters zeigt den Nichtigkeitsgrund nicht auf.

Gleiches gilt für Spekulationen, wonach die Angeklagten allenfalls andere Vorstellungen von der Wirkung der von Jaspal S***** abgegebenen Schüsse gehabt haben.

Die nur vom Angeklagten Tarsem S***** zu diesem Faktum erhobene (nominell auf die Z 9 gestützte) Rechtsrüge (Z 11 lit a) verfehlt die gebotene Orientierung an der Gesamtheit des Wahrspruchs der Geschworenen, indem sie von ihm gesetzte Tatbeiträge vermisst, dabei aber die festgestellten Tatsachen übergeht, wonach sich die Angeklagten - demnach auch der Beschwerdeführer - mit Jaspal S***** zum Tatort begaben, unter den Gläubigen der Ravidass-Gemeinschaft verteilten, um ihn im Tatplan zu bestärken, und sich auch zum Eingriff bereithielten, um diesem dadurch die ungehinderte Schussabgabe in Richtung Sant Rama N***** und Sant Niranjan D***** zu ermöglichen (US 17 ff).

Indem der Beschwerdeführer den Wahrspruch eigenständig interpretiert, bekämpft er unzulässig die allein den Geschworenen vorbehaltene Beweiswürdigung.

Im Übrigen legt die eine Beitragshandlung isoliert betrachtende Beschwerde (der Sache nach Z 11 lit a) nicht dar, aus welchem Grund die Strafbarkeit der Beitragshandlung von ihrer zeitlichen Nähe zur Tatausführung abhängen sollte (vgl RIS-Justiz RS0090195; RS0090529).

Weshalb die Tatsache, dass sich Satwinder S***** zum Tatort chauffieren ließ, sich aber nach dem Wahrspruch und zufolge Streichungen der Geschworenen an den Verbrechen des Mordes nicht beteiligt hat, eine Mangelhaftigkeit des Wahrspruchs betreffend Tarsem S***** begründen soll, ist nicht nachzuvollziehen.

Der die Tatwerkzeuge betreffende Vorwurf der Unvollständigkeit und Undeutlichkeit (Z 9) durch denselben Angeklagten verfehlt die gebotene Orientierung am Wahrspruch, wonach auch nach Streichung einer Fragenpassage als unmittelbare Anknüpfung für das Wort „damit“ klar ist, dass der Angeklagte (mit den zuvor genannten Personen) mit Dolchen und Jagdmessern bewaffnet zum Tatort fuhr (US 17 ff), um damit dort auf andere einzustechen, und entzieht sich dadurch einer meritorischen Erwiderung.

Der Nichtigkeitsgrund der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO kann weder aus einer verneinten Eventualfrage noch aus der Niederschrift der Geschworenen, sondern ausschließlich aus dem Wahrspruch selbst abgeleitet werden. Soweit der Beschwerdeführer dennoch nicht auf den Wahrspruch gestützt behauptet, von ihm sei weder eine willensbeugende Gewalt noch eine gefährliche Drohung ausgegangen, verfehlt er den Bezugspunkt der Anfechtung.

Zur gegen den Schuldspruch III./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Hardeep S*****:

Die Subsumtionsrüge (Z 12) orientiert sich nicht am Verfahrensrecht, indem sie zwar behauptet, der Umstand der Willensbeugung mehrerer Personen sei nur bei der Strafbemessung zu berücksichtigen und dem Angeklagten zufolge einer Tat auch nur ein Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB anzulasten, diese Beschwerdethese aber nicht aus dem Gesetz ableitet.

Im Übrigen erweist sich die Rechtsauffassung als verfehlt und ist auch der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Begriff der „verstärkten Tatbildmäßigkeit“ in diesem Zusammenhang als überholt anzusehen. Im Fall einer einzigen Tat mit mehreren Opfern ist ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung prinzipiell von (echter) Idealkonkurrenz auszugehen. Soll gleichwohl Subsidiarität gelten, bedarf es einer zweifelsfreien Begründung, die in Abweichung von diesem Grundsatz die Annahme rechtfertigt, der Gesetzgeber habe an Stelle von Idealkonkurrenz stillschweigend Subsidiarität vorausgesetzt (RIS-Justiz RS0113812). Mit Blick auf das gegen eine Opfermehrheit gerichtete Handeln liegt weder stillschweigende Subsidiarität noch eine tatbestandsmäßige Handlungseinheit vor (vgl RIS-Justiz RS0113812; Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28-31 Rz 11, 16 f, 26, 37, 104 ff; Burgstaller in WK² § 88 Rz 93 ff; 13 Os 39/10z sowie 13 Os 1/07g [vS], EvBl 2007/114, 614).

Zur gegen den Schuldspruch IV./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Sukhwinder S***** und Surjit S*****:

Der (auf die Z 9 des § 345 Abs 1 StPO gestützte) Einwand des Fehlens von Feststellungen zur Mittäterschaft (dSn Z 11 lit a) nimmt nicht auf die im Wahrspruch festgestellten Tatsachen Bezug, wonach Sukhwinder S***** und Surjit S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) eine nicht mehr näher feststellbare Anzahl von Personen mit Dolchen und Messern vorsätzlich am Körper verletzten. Damit bringt er den Nichtigkeitsgrund nicht zur prozessordnungsgemäßen Darstellung,

Welcher konkreten weiteren Feststellungen es zur Annahme einer Mittäterschaft bedurft hätte, legt die Beschwerde ebenso wenig dar wie sie erklärt, weshalb es trotz des von den Geschworenen angenommenen einverständlichen Zusammenwirkens mit der Folge, dass alle Mittäter für ihre Mitwirkung wechselseitig haften (Fabrizy in WK2 § 12 Rz 26; 11 Os 48/10h ua), einer täterbezogenen Zuordnung der Verletzungsfolgen bedurft hätte. Damit verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht.

Die Subsumtionsrüge (Z 12) bekämpft die Annahme der Qualifikation des § 84 Abs 2 Z 1 StGB und strebt die Unterstellung des Tatgeschehens unter § 83 Abs 1 StGB an, legt aber nicht ausgehend vom Wahrspruch dar, weshalb eine Stichführung in das Gesicht, den Nacken und Rücken der Opfer nicht mit Lebensgefahr verbunden sein sollte und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung.

Zu den Sanktionsrügen des Jaspal S*****, Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** (Z 13 zweiter Fall):

Die Strafzumessungsrüge (Z 13) wendet sich gegen die Bewertung des religiösen Eifers der Angeklagten als besonders verwerflich und bringt dazu vor, nach der festen religiösen Vorstellung der Angeklagten hätten die attackierten Sants durch die Anmaßung, sich auf eine Stufe mit dem „Heiligen Buch“ zu stellen und sich ebenso wie dieses verehren zu lassen, gegen elementare Grundregeln der Sikh-Religion verstoßen und daher auf das Unrecht ihrer Selbsterhöhung hingewiesen werden müssen. Das „Heilige Buch“ als Symbol und höchste Glaubensautorität vor menschlicher Anmaßung zu schützen sei die eigentliche Intention der Angeklagten gewesen. Demnach hätte das tiefe religiöse Gefühl der Angeklagten nicht als erschwerend, sondern als mildernd gewertet werden müssen.

Die Sanktionsrüge geht fehl. Die bei der Strafbemessung in Anschlag zu bringenden besonderen Erschwerungsgründe sind in § 33 StGB nur beispielsweise und nicht taxativ aufgezählt (RIS-Justiz RS0090881). Demnach können auch nicht in dieser Bestimmung angeführte Umstände einen Erschwerungsgrund bilden, vorausgesetzt, dass sie in ihrem Gewicht einem der aufgezählten Gründe gleichwertig sind. Diese Gleichwertigkeit kann sich aus dem Gesinnungsunwert, dem Handlungsunwert oder aus dem verschuldeten Erfolgsunwert ergeben (vgl Ebner in WK2 § 32 Rz 3). Die Einwände der Sanktionsrüge gehen bereits deshalb ins Leere, weil auf den Lebens- und Gesellschaftskreis des Täters nur insoweit abzustellen ist, als dies von der Rechtsordnung gebilligt wird. Mit Blick auf Art 9 MRK, der die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit schützt, kann von einer Billigung der Intention der Angeklagten durch die Rechtsordnung keine Rede sein. Der vom Erstgericht als religiöser Fanatismus bezeichnete Beweggrund der Angeklagten, Andersgläubige während einer Gebetsveranstaltung zum Zwecke der Disziplinierung zu töten bzw zu verletzen und ihnen damit ihren Glauben aufzuzwingen, spiegelt vielmehr eine gegenüber verfassungsrechtlich geschützten Werten auffallend gleichgültige Einstellung wider (§ 32 Abs 2 StGB), die den in § 33 StGB aufgezählten besonderen Erschwerungsgründen gleichwertig ist. Damit kann aber von einer offenbar unrichtigen Beurteilung der für die Strafbemessung maßgebenden entscheidenden Tatsachen keine Rede sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Jaspal S*****, Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** waren demnach - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu von der Verteidigung erstatteten Äußerung - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die vom Geschworenengericht vorgenommene Wertung der fehlenden Schuldeinsicht der leugnenden Angeklagten Jaspal S*****, Tarsem S*****, Sukhwinder S*****, Hardeep S***** und Surjit S***** als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache (US 58), stellt eine von den Nichtigkeitsbeschwerden nicht gerügte unrichtige Gesetzesanwendung dar (§ 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO; RIS-Justiz RS0090897 [T2]). Für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO besteht jedoch kein Anlass, weil die Gesetzesverletzung noch vom Berufungsgericht aufgegriffen werden kann (RIS-Justiz RS0090897; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 29 mwN; § 295 Rz 13).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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