OGH 11Os185/96 (11Os186/96)

OGH11Os185/96 (11Os186/96)10.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Dezember 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler, Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Riedler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Osman K***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 2.April 1996, GZ U 433/95-6, sowie gegen den gleichzeitig mit diesem Urteil gefaßten Beschluß gemäß § 494 a StPO, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Fabrizy, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren zum AZ U 433/95 des Bezirksgerichtes Bludenz wurde das Gesetz verletzt

1. durch das Urteil vom 2.April 1996 (ON 6) im Strafausspruch in den Bestimmungen der §§ 31, 40 StGB;

2. durch den Beschluß vom selben Tag (ON 6) in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO sowie in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Der Strafausspruch des zu Punkt 1 bezeichneten Urteils und der Beschluß gemäß § 494 a StPO (Punkt 2) werden aufgehoben. Dem Bezirksgericht Bludenz wird aufgetragen, bei der (neuerlichen) Strafbemessung dem Gesetz gemäß zu verfahren.

Text

Gründe:

Osman K***** wurde mit dem (am 10.Juni 1996 in Rechtskraft erwachsenen) Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 2.April 1996, GZ U 433/95-6, wegen des am 4.November 1995 begangenen Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde "gemäß § 494 (zu ergänzen: a Abs 1 Z 2 und Abs 6) StPO vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten zu den Verfahren AZ U 700/93 des Bezirksgerichtes Feldkirch, 17 Vr 477/94 des Landesgerichtes Feldkirch und 20 Vr 887/94 des Landesgerichtes Feldkirch abgesehen und die Probezeit (jeweils) von drei auf fünf Jahre verlängert" (41).

Dieser (erst in der Ausfertigung näher konkretisierte, siehe 51 ff) Beschluß auf Verlängerung der Probezeiten betraf folgende Vorverurteilungen:

(a) Bezirksgericht Feldkirch, Verfahren U 700/93, Strafverfügung vom 27. August 1993, rechtskräftig 14.Oktober 1993, § 168 Abs 1 StGB, 40 Tagessätze zu je 200 S, im Uneinbringlichkeitsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit drei Jahre;

(b) Landesgericht Feldkirch, Verfahren 17 Vr 477/94, Urteil vom 9.Mai 1994, rechtskräftig 16.Mai 1994, § 287 Abs 1 (§ 83 Abs 1) StGB, 120 Tagessätze zu je 30 S, im Uneinbringlichkeitsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon 60 Tagessätze bedingt für eine Probezeit von drei Jahren:

(c) Landesgericht Feldkirch, Verfahren 20 Vr 887/94, Urteil vom 24. April 1995, rechtskräftig 28.April 1995, §§ 91 Abs 1, 83 Abs 1 StGB, 240 Tagessätze zu je 150 S, im Uneinbringlichkeitsfall 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon 120 Tagessätze bedingt für eine Probezeit von drei Jahren.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der im § 494 a Abs 3 StPO normierten Verpflichtung hat der Richter des Bezirksgerichtes Bludenz vor seiner Entscheidung nicht in die Akten betreffend die vorangegangenen Verurteilungen Einsicht genommen, deren Beischaffung zwar angeordnet (siehe 1), aber nicht abgewartet worden war. Zufolge dieser Säumnis hatte das Bezirksgericht Bludenz keine Kenntnis davon, daß die im Verfahren zum AZ 20 Vr 887/94 des Landesgerichtes Feldkirch gewährte bedingte Nachsicht eines Teiles der Geldstrafe im Ausmaß von 120 Tagessätzen bereits im Verfahren zum AZ U 705/95 des Bezirksgerichtes Feldkirch mit rechtskräftigem Beschluß vom 14.November 1995 widerrufen worden war; gleichzeitig war Osman K***** damals mit Urteil von diesem Tage (ON 12) wegen des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt worden. Dem Absehen vom Widerruf der im Verfahren zum AZ 20 Vr 887/94 des Landesgerichtes Feldkirch gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit durch das Bezirksgericht Bludenz stand demnach - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - die materielle Rechtskraft des oben zitierten Widerrufsbeschlusses entgegen.

Das Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 2.April 1996 verletzt darüber hinaus das Gesetz in der Bestimmung der §§ 31, 40 StGB. Dieses Urteil betrifft nämlich eine Straftat, die nach der Zeit ihrer Begehung am 3.November 1995 schon im Verfahren zum AZ U 705/95 des Bezirksgerichtes Feldkirch (Urteil vom 14.November 1995) hätte abgeurteilt werden können. Wenngleich die vom Bezirksgericht Bludenz verhängte Strafe zwar dem Ausmaß nach nicht gegen die zwingenden Grenzen des § 31 StGB verstößt, gereicht die Strafbemessung dem Betroffenen dessen ungeachtet schon deshalb zum Nachteil, weil mit der Unterlassung der Anwendung der in Rede stehenden Gesetzesbestimmungen tilgungsrechtliche Nachteile (§ 4 Abs 4 TilgG) verbunden sind.

Es war daher sowohl der Strafausspruch des genannten Urteils als auch der verfehlte Beschluß auf Verlängerung der Probezeit zu kassieren und dem Erstgericht die neuerliche (gesetzeskonforme) Strafbemessung aufzutragen.

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